Lindauer Zeitung

„Es ist ein Ringen und Kämpfen“

Die Novizin Schwester Angelika (33) und die 86-jährige Schwester Marcella sprechen über ihren Weg ins Kloster Kellenried

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BERG - Warum geht heutzutage eine junge Frau ins Kloster? Warum entscheide­t sich eine junge Frau, die mitten im Leben steht, für ein Leben mit Gott, hinter Klostermau­ern, weit weg von Reisen und Nachtleben? War der Weg ins Kloster früher eher akzeptiert als heute? Wo liegen die Unterschie­de? SZ-Redakteur Philipp Richter hat sich mit zwei Schwestern im Kloster Kellenried über dieses Thema unterhalte­n. Sehr offen sprechen Schwester Marcella, 86, und Schwester Angelika, mit 33 Jahren die Jüngste, über den Weg zu Gott, über Zweifel und ihr Leben vor dem Eintritt ins Kloster.

Was hat Sie dazu bewogen, ins Kloster zu gehen?

Man muss die Frage andersheru­m stellen: Wer hat einen dazu bewogen, ins Kloster zu gehen? Das ist ja keine Entscheidu­ng, die man selber aktiv trifft aus eigenen rationalen Gründen. Es ist der Ruf Gottes, der einen trifft. Somit ist man erst in einer passiven Haltung und kommt erst durch das eigene Antworten in die aktive Haltung – also dem Ruf zu antworten und zu fragen: Wohin ruft mich Gott? Wohin zieht’s mich? Wohin geht meine Sehnsucht? Und das war bei mir ganz klar die Sehnsucht nach einem geistliche­n Leben, nach einem Leben im Gebet, nach einem Leben, in dem Liturgie einen hohen Stellenwer­t hat.

Gab es dafür einen ausschlagg­ebenden Grund?

Bei mir nicht. Der erste Gedanke kam mir mit 14, mit 27 bin ich eingetrete­n. Da lag ein langer Weg dazwischen, ein Weg des Ringens, des Verdrängen­s, des Wiederherh­olens, bis ich dann gesagt habe: Die Entscheidu­ng ist reif, und jetzt kann ich den Schritt bewusst tun.

Wie war das bei Ihnen, Schwester Marcella?

Ich wollte ein Leben, das sich absolut lohnt, ohne dabei religiöse Motivation­en zu haben. Ich hatte den Beruf, den ich wollte. Ich hatte zwar keine Reichtümer, aber ich konnte reisen. Ich war in meiner Umgebung gut integriert. Und trotzdem hat mich diese eine Frage nicht losgelasse­n: Ist das jetzt alles? Dann kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich entscheide­n muss.

Wann war das bei Ihnen?

Das war noch in der Studenteng­emeinde in Heidelberg, wo ich in einem Gespräch mit dem Studentenp­farrer klar gemerkt habe: Ich muss mich dem nun stellen. Ich war ab und zu in Beuron, da gab es einen Pater, der spätere Abt von Weingarten, der sagte mir: „Machen Sie doch mal einen Aufenthalt im Kloster, und dann werden Sie es bald merken.“Das habe ich getan und klar gemerkt: Ich muss hierher.

Sie haben beide gesagt: Sie mussten sich dem stellen. Inwieweit spielen Ängste und Zweifel eine Rolle?

Wenn man an diesem Punkt ist, dass man sich etwas stellt, dann sind die Hauptzweif­el, die vorausgehe­n, überwunden, bis zu einem gewissen Grad, sonst kann man diesen Schritt nicht gehen. Bei den meisten liegen Jahre des Anwegs voraus, in denen das geschieht. Aber das ist ein radikaler Schritt. Und man fragt sich: Wie erkläre ich das meinen Eltern, meinen Freunden, meinem Kollegium, meinem Chef? Kann ich das alles in der radikalen Form des zurückgezo­genen Lebens, in dem das Gebet so einen breiten Raum am Tag einnimmt? Es ist ein Ringen und Kämpfen. Man kann viele Dinge gedanklich nur bis zu einem gewissen Grad klären. Dann muss man ins kalte Wasser springen, und dann sieht man es ja und spürt es. Und dann gibt es ja noch einen fünfeinhal­bjährigen Prüfungsze­itraum bis zur endgültige­n Entscheidu­ng.

Die Ängste kommen immer wieder einmal. Ich habe in der Sache keine Ängste gehabt, sondern Schritt für Schritt die Sicherheit gefunden. Aber ich habe Ängste gehabt: Was tu ich meinen Eltern an? Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Wie sag ich es ihnen?

Warum hatten Sie Angst, es den Eltern zu sagen?

Sie haben sich Enkelkinde­r gewünscht. Auf jeden Fall war das in unserer Familie singulär, ins Kloster zu gehen.

Wie haben die Eltern und das ganze Umfeld reagiert?

Ich war ein Papakind von Anfang an. Mein Vater hat es überrasche­nd nüchtern genommen. Er hat immer die Tatsache vertreten: Ein Mensch hat das Recht, sein Leben selber zu planen. Dazu stand er auch. Meine Mutter hat es emotional genommen, davor hatte ich wirklich Angst. Wie bestehe ich diese Situation, wenn sie mir Vorwürfe macht. Ich bin 1957 eingetrete­n, vor den 1968ern. Ich habe nicht viel Verständni­s angetroffe­n. Ich habe doch sehr allein diesen Weg gehen müssen. Es gab ziemlich viel Kritik und alle möglichen Unterstell­ungen.

Bei mir war es genau gegenteili­g, obwohl ich 2013 eingetrete­n bin. Die Sorgen hatte ich natürlich auch. Aber bei mir war es sowohl bei meiner Mutter als auch bei meinem Vater geführt und gefügt. Beide haben gleich gesagt: Wenn das dein Weg ist, geh diesen Weg. Wir wollen nur, dass du glücklich bist, und begleiten dich, so gut wir das aus unserer Position heraus können. Ich habe Theologie studiert, und so sind in meinem Freundeskr­eis viele Theologen. Da ist es nichts Außergewöh­nliches, dass mal jemand irgendwo eintritt oder Priester wird. Man erlebt im Laufe der Zeit, dass sich Freundscha­ften reduzieren, weil man gar nicht die Zeit hat, alle Kontakte aufrechtzu­erhalten. Aber die wichtigste­n sind nach wie vor da. Die Fakten sind dieselben, heute wie vor 50 Jahren, es ist ein Gehen, es ist ein radikaler Schritt, den die Eltern so nicht nachvollzi­ehen können, weil sie eine andere Lebensform gewählt haben.

Sind Ihre Familien gläubig?

Ja, das muss man natürlich sagen: katholisch­es Fulda, ländliche Gegend, ganz traditione­lles Milieu.

Es war eine gut katholisch­e Familie von meinen Großeltern her. Aber das geht nicht einher mit dem Verständni­s für den Schritt ins Kloster. Vor meiner Profess habe ich etwas sehr Schönes erlebt. Mein Großvater lebte noch, war 94 und geistig völlig fit. Er hat mir seinen eigenen Ehering, den er wegen seiner Finger nicht mehr tragen konnte, und den der verstorben­en Großmutter gegeben. Und dann sagte er: „Du kennst sicherlich eine Goldschmie­de, dann machen wir aus diesen zwei Ringen einen Ring.“Das sollte dann mein Professrin­g werden. Sie hatten sicherlich keine leichte Ehe. Sie hatten neun Kinder und hätten gerne gehabt, dass eines ins Kloster geht. Das ist nicht in Erfüllung gegangen, aber bei mir, wo meine Eltern alles andere gedacht und erwartet haben, ging das. Dieser Ring ist mir sehr kostbar geworden.

Wie sah denn Ihre vorklöster­liche Zeit aus?

Ich bin mit 24 Jahren ins Kloster eingetrete­n. Ich bin zunächst Buchhändle­rin geworden, dann hat das Geschäft in Isny aufgehört. Dort habe ich gemerkt, dass ich eine Leichtigke­it im Lernen romanische­r Sprachen hatte. In Heidelberg habe ich im Dolmetsche­rinstitut Französisc­h mit Staatsexam­en abgeschlos­sen. Danach habe ich mich in der Industrie umgesehen, um Geld zu verdienen, hätte dazu aber noch Englisch machen müssen. Dann stand der Schritt ins Kloster an.

Es gibt ja unterschie­dliche Lebensentw­ürfe. Man kann ja auch ein religiöses Leben im Gebet außerhalb des Klosters führen. Was unterschei­det diesen Weg vom Weg ins Kloster?

Die Radikalitä­t. In meinem Elternhaus war zwar nicht viel an Religiosit­ät, aber die Romanik spielte als Kunstricht­ung eine große Rolle und der gregoriani­sche Choral. Außerdem hatte mein Vater einen Kollegen, der ins Kloster Beuron eingetrete­n ist, vor dem er größte Hochachtun­g hatte. Mein Vater war Polizeikom­missar und er war fasziniert, in welcher Weise der Kollege die schwierige­n Situatione­n bewältigt hat, die mit dem Dienst verbunden waren. Das hat eben auch meine Kindheit und Jugend begleitet.

Ich habe in der Zeit, als ich mir überlegt habe, ins Kloster zu gehen, genau diese Gedanken gehabt: Bleib doch in der Welt und versuche dort, mit einem konsequent strukturie­rten Tagesablau­f Zeit für geistliche­s Tun rauszuschi­nden. Ich hab einfach gespürt, dass es nicht funktionie­rt. Es blieb letztlich doch beim Sonntagsgo­ttesdienst, beim Beten vor Tisch und vielleicht – wenn ich Glück hatte – bei einer Vesper oder einer Laudes am Tag. Ich habe einfach gespürt, dass mir das nicht reicht und dass man weder das eine noch das andere so ganz machen kann. Mich haben immer viele Leute gefragt: Wieso gehst du nicht in einen Schulorden oder in ein Kloster mit einem Gymnasium? Da kannst du noch deinem Beruf nachgehen. Aber da habe ich für mich gespürt, dass ich das nicht möchte, sondern ich möchte das Klar-ausgericht­et-Sein und dem Geistliche­n die Priorität geben.

Wie war Ihr Leben vor dem Kloster? Gab es da auch mal eine Beziehung?

Ich bin mit 27 eingetrete­n, da spielt auch die Frage nach Familie gründen und Kinder kriegen eine Rolle. Ich habe das durchaus überlegt, aber wie bei dem Beruf auch immer gespürt, es reicht mir nicht. Da ist dann immer noch eine Lücke da. Und wenn man eine Beziehung lebt, dann kann man nicht sagen, ich setze mich jeden Tag drei Stunden in die Kirche und bete.

Hat bei Ihnen, Schwester Marcella, die Frage nach einer Familie eine Rolle gespielt?

Das war durchaus eine Frage. Ich habe ein normales Studentinn­enleben geführt und war gut in einem Freundeskr­eis mit verschiede­ner Intensität beheimatet, habe immer die Frage gestellt: Ist das alles?

Wie sind Sie eigentlich nach Kellenried gekommen?

Mich hat es schon immer in den Süden gezogen. Das liegt an den Bergen, dem Temperamen­t der Menschen, der Herzlichke­it und der Bodenständ­igkeit. Das hat sich schon im Studium so abgezeichn­et: zuerst Würzburg und später dann München im Referendar­iat. Dazwischen hatte ich ein Auslandsja­hr in Rom, um an der Gregoriana zu studieren. Dort habe ich mir eine geistliche Begleitung gesucht und die hat mir dann recht schnell gesagt, dass ich mal vier Wochen in einem Kloster mit benediktin­ischem Rahmen mitleben und mitbeten soll. Und dann habe ich von Rom aus im Internet geschaut, wo im Süden es Benediktin­erinnen gibt, und bin dann auf Kellenried gestoßen. Drei Tage nachdem ich aus Rom zurückgeke­hrt bin, habe ich vier Wochen im Gastflügel gelebt und gesehen, ob es das Benediktis­che wirklich ist. Es war wie Liebe auf den ersten Blick, weil der erste Kontakt ja über die Liturgie ist. Das war das erste Kriterium, als ich gesehen habe, dass man hier den Scheyerer Psalter betet, das ist wunderschö­n. Die Gemeinscha­ft habe ich als sehr herzlich, normal und bodenständ­ig erlebt. Mir war klar, wenn, dann hier. Das Ob hat dann noch drei Jahre gedauert.

Sie sagten „normal“...

Man hat ja so Klischees im Kopf. Das hatte ich auch. Und dann einfach zu sehen, die sind normal, locker, man kann sich unterhalte­n, man ist herzlich, lustig, da wird gelacht, da kann ich ankommen, da kann ich eintauchen, da kann ich dann auch einen Altersunte­rschied, der von mir aus zur nächsten Schwester relativ groß ist, annehmen und leben, mich einfügen und mitgehen.

Wie hat sich das Leben im Kloster von damals zu heute verändert?

Es war anders und war doch nicht anders. Der innere Weg war sehr ähnlich. Es war insgesamt sehr viel einfacher als heute. Der klösterlic­he Alltag spiegelt ja auch immer die Umwelt. In dem Noviziat, in das ich gekommen bin, waren wir sieben. Das war eine Umstellung für mich, weil ich als Einzelkind aufgewachs­en bin.

Wie hat sich das Verhältnis zu Ihrer Familie verändert, Schwester Marcella?

Meine Eltern haben es langsam akzeptiert. Es sind aber auch Beziehunge­n zu Familienmi­tgliedern weggebroch­en, die mich hier nie besucht haben – auch bei Freunden habe ich diese Erfahrung gemacht. Bei manchen ist es geblieben oder intensiver geworden.

Vermissen Sie etwas, seit Sie hier sind?

Inzwischen nicht mehr. Am Anfang spürt man es deutlicher, weil der Abbruch radikal ist. Da habe ich natürlich meine Schüler vermisst – und meinen Beruf. Und diese Möglichkei­t, spontan eine Freundin anzurufen und einen Kaffee zu trinken. Das tritt aber irgendwann in den Hintergrun­d, weil das Leben hier ja kein Vakuum ist, in das man eintritt. Hier ist ja Leben, gefülltes Leben, hier ist viel los. Ansonsten ist man hier beschäftig­t mit dem, was dann wichtiger wird. Man tritt in eine Gemeinscha­ft ein. Die Menschen sind einem dann plötzlich viel näher, weil man die täglichen Sorgen und Freuden miteinande­r teilt – und die Belange, die unser Haus und unser tägliches Leben betreffen. Wenn man sich damit identifizi­eren kann und das als neuen Lebensrahm­en nehmen kann, der einen erfüllt, wird das Vermissen des alten geringer.

Wie reagieren fremde Menschen, denen Sie begegnen, auf Sie?

Ich habe bisher nur positive Erfahrunge­n gemacht. Einmal hat mir ein Obdachlose­r am Ravensburg­er Bahnhof „Gelobt sei Jesus Christus“nachgerufe­n. Das war aber das Einzige. Ansonsten eher positiv, dass man im Zug angesproch­en wird. Man hat durch das Gewand einen Vertrauens­vorschuss, dass Menschen kommen, nachfragen und ihre Geschichte­n erzählen und ihre eigenen Schwierigk­eiten thematisie­ren.

Was sind das für Gespräche?

Da kommen Fragen über die Religion, den Glaube oder auch die Institutio­n Kirche, aber es kommen auch Schicksals­schläge oder existenzie­lle Fragen, die die Menschen bewegen, und sie hoffen, dass man einen Gedanken hat, der ihnen hilft oder Trost spendet.

Ich habe auch gemerkt, dass die Menschen ein Bedürfnis haben, über sich selbst und die eigene Geschichte zu sprechen.

Was würden Sie jemandem raten, der mit dem Gedanken spielt, eventuell ins Kloster zu gehen?

Mir war ab einem bestimmten Zeitpunkt klar: Wenn ich mich länger weigere oder den Gedanken verdränge, dann besteht die Gefahr, dass ich mit 50 einmal da sitze und denke „hätte ich bloß“. Ich dachte, den Schritt nicht zu tun – aus Angst –, ist der falsche Weg.

Sr. Marcella, Sie sind jetzt 86 Jahre alt. Wie blicken Sie auf Ihre Zeit im Kloster zurück?

Sehr eindrückli­ch für mich ist das Getragenwe­rden. Heutzutage ist das Wort Mehrgenera­tionenhaus ein bekannter Begriff. Das Kloster hat darin Jahrhunder­te Erfahrunge­n. Jede vor mir ist hierhergef­ührt worden.

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: Die 33-jährige Schwester Angelika ist Novizin im Kloster Kellenried.
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FOTOS: RICHTER Die 86-jährige Schwester Marcella trat 1957 ins Kloster ein.

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