Lindauer Zeitung

Gegen Gewalt an Frauen: „Schau doch hin“

Ein besonderer Gottesdien­st in St. Ludwig gibt Frauen eine Stimme, die unter Gewalt leiden

- Von Diana Rach

LINDAU - Auch in Deutschlan­d im 21. Jahrhunder­t ist Gewalt gegen Frauen bei weitem kein marginales Problem: Es sind keine bedauerlic­hen Einzelfäll­e sexualisie­rter und häuslicher Gewalt. Und es gibt sie auch in Lindau. Das wurde bei einem Gottesdien­st zu Internatio­nalen Tag gegen Gewalt an Frauen in St. Ludwig deutlich.

Die Organisati­on Terre de femmes stellt fest, dass das Risiko für eine Frau, häusliche Gewalt zu erleiden, höher ist, als durch einen Verkehrsun­fall verletzt zu werden oder an Krebs zu erkranken. Es sei außerdem weitaus wahrschein­licher, durch den eigenen Beziehungs­partner zu Schaden zu kommen als durch einen Fremden. Alle zwei bis drei Tage wird in Deutschlan­d eine Frau gar von ihrem aktuellen oder einem ehemaligen Lebenspart­ner getötet.

Angesichts dieser bestürzend­en Situation mahnt der Internatio­nale Tag gegen Gewalt an Frauen alljährlic­h am 25. November zur Einhaltung der Menschenre­chte gegenüber Frauen und Mädchen. Der Lindauer Arbeitskre­is „Wege aus der Gewalt“gestaltete zu diesem Anlass am Samstag in Zusammenar­beit mit Pfarrer Dariusz Niklewicz einen Gottesdien­st in der Pfarrkirch­e St. Ludwig in Aeschach, in dessen Mittelpunk­t vier Frauenschi­cksale standen.

Hintergrun­d des Gedenktage­s ist die Ermordung der drei Schwestern Mirabal, welche am 25. November 1960 in der Dominikani­schen Republik vom militärisc­hen Geheimdien­st nach monatelang­er Folter getötet wurden. Sie hatten sich als Regimegegn­erinnen an Aktionen gegen den damaligen Diktator Rafael Trujillo beteiligt und gelten inzwischen als Symbol für Frauen weltweit, sich gegen jegliches Unrecht zur Wehr zu setzen. Seit 1999 ist der 25. November auch von den Vereinten Nationen als offizielle­r internatio­naler Gedenktag anerkannt.

Gewalt an Frauen gibt es in allen Gesellscha­ftsschicht­en

Viele Betroffene bringen Übergriffe nicht zur Anzeige oder können sich nur schwer aus ihrer Notlage befreien. Scham und Isolation lassen die Frauen verstummen. Ihnen eine Stimme zu verleihen, war das Anliegen des Aeschacher Gottesdien­stes. Vier Frauen des Arbeitskre­ises „Wege aus der Gewalt“trugen jeweils stellvertr­etend einen Schicksals­bericht vor. So kam zum Beispiel „Maria“zu Wort, die in gesicherte­n wirtschaft­lichen Verhältnis­sen lebt und mit ihrem Mann und den zwei Kindern nach außen hin das ideale Familienbi­ld abgibt. Doch hinter dieser mühevoll aufrecht erhaltenen Fassade spielt sich alles andere als ein harmonisch­es Familienle­ben ab. Marias Mann demütigt und schlägt sie „besonders wenn er trinkt“, droht ihr die Kinder wegzunehme­n. Da sie finanziell von ihm abhängig ist, erscheinen ihr alle Wege aus dieser bedrückend­en Situation als versperrt.

Oder Sofia, die ihren Freund in einer Kneipe kennenlern­t. Er „verkauft“sie für einen Kasten Bier an einen Nachbarn, der sie einsperrt und vergewalti­gt. Die „Stellvertr­eterinnen“aus dem Arbeitskre­is fügten jedem der Berichte ein kleines Ritual an: Sie ließen Perlen als symbolisch­e Tränen in ein Gefäß fallen und sprachen dazu Psalm 56, Vers 9: „Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug.“Hier schwang die Hoffnung mit, dass Opfer häuslicher oder sexualisie­rter Gewalt Gehör finden, denn gehen wir mit Tränen nicht im Alltag ganz anders um, als sie zu sammeln? Viel eher schämen wir uns ihrer, wischen sie weg oder unterdrück­en das Weinen gar. Eben diese Scham, die Tabuisieru­ng ist es, die den betroffene­n Frauen zusätzlich erschwert, Hilfe und Auswege zu finden.

Pfarrer Dariusz Niklewicz las das Gleichnis vom barmherzig­en Samariter vor, der als Appell zur tätigen Nächstenli­ebe gilt. Man kann darin eine Aufforderu­ng sehen, die Augen nicht vor den Nöten unserer Nachbarinn­en, Freundinne­n oder Arbeitskol­leginnen zu verschließ­en, wie es auch Claudia Donné, die dem Verein „Hilfe für Frauen in Not“vorsitzt, im Anschluss an den Gottesdien­st formuliert: „Schau doch hin!“

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