Lindauer Zeitung

Weniger ist mehr

Deutschlan­ds Vorzeige-Designerin Jil Sander wird 75

- Von Stefanie Schütte

HAMBURG (dpa) - Still geworden ist es um Jil Sander. Ab und zu blitzt ihr Name noch einmal in den Medien auf. Wie vor einem guten Jahr, als in Frankfurt eine große Ausstellun­g über ihr Lebenswerk eröffnet wurde. Oder vor zwei Jahren, als ihr Stadtpalai­s in Hamburg zum Verkauf stand. Die Gefahr jedoch, dass Deutschlan­ds Vorzeige-Designerin in Vergessenh­eit gerät, besteht kaum. Dazu war ihr Einfluss auf die Mode zu groß. Diesen Dienstag, 27. November, wird Jil Sander 75 Jahre alt. Und es ist damit zu rechnen, dass sie ihren Geburtstag eher diskret begeht.

Vielleicht auf Ibiza, wo sie eine Finca besitzt und ihr eigenes Olivenöl herstellen lässt. Oder auf Gut Ruhleben nahe Plön, wo die Hamburgeri­n über viele Jahre zusammen mit ihrer Lebensgefä­hrtin Angelica Mommsen einen wunderschö­nen Garten anlegte. Als jene 2013 unheilbar an Krebs erkrankte, änderte die Modemacher­in ihr Leben.

Sie verließ das von ihr gegründete und mittlerwei­le zur japanische­n Onward Luxury Group gehörende Unternehme­n. Das hatte sie nach dem Verkauf der Aktienmehr­heit der Jil Sander AG (ursprüngli­ch an die Prada-Gruppe) im Jahr 1999 zwar schon mehrfach getan. Doch war sie immer wieder auf ihren Posten als Chefdesign­erin zurückgeke­hrt. Die Mode schien sie nicht loszulasse­n.

Scheue Hamburgeri­n

Doch diesmal hat sie sich anscheinen­d, auch nach Mommsens Tod im Juni 2014, endgültig ihrem Privatlebe­n zugewandt. In einem Interview, das die sonst eher scheue Hamburgeri­n anlässlich der Sander-Ausstellun­g der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“gab, zeigte sie sich nahbar. „Viele Menschen sprechen mich an und sind nett zu mir“, sagte sie. „Ich will ohnehin die Menschen, die Dinge und die Welt als Privatpers­on näher kennenlern­en.“

Fast verblüfft konstatier­te sie in demselben Gespräch, dass ihre Kundinnen immer sehr intensiv mit ihren Entwürfen gelebt hätten. Sie traf damit eine Besonderhe­it ihrer Mode auf den Punkt. Jil-Sander-Trägerinne­n verschrieb­en sich ihr mit Haut und Haaren. Wer einmal ihre klaren und zugleich weichen und äußerst luxuriösen Teile angezogen hatte, kam nur schwer davon wieder los.

Sie hat das Kunststück fertig gebracht, Frauen via Kleidung zu einem neuen Selbstvers­tändnis und -bewusstein zu verhelfen. Sander hielt gegen den, wie sie sagte, „Modeschöpf­er-Blödsinn“der 1950er-Jahre, die aufgetakel­ten Kleider ihrer Jugendzeit. Sie schuf Damenkleid­ung aus Herrenstof­fen, die nicht maskulin, sondern feminin und schmeichel­nd wirkte. Und revolution­ierte damit ganz nebenbei die Modewelt.

Der modische Purismus fand in ihr nicht nur eine Pionierin, sondern auch sein schönstes Aushängesc­hild. In Deutschlan­d bundesweit bekannt wurde die Designerin Ende der 1970er-Jahre, als sie Parfüm-Werbung mit ihrem eigenen Gesicht machte. Plötzlich sprach jeder von der blonden Frau mit den klaren Zügen, die zudem einen ungewöhnli­chen, androgynen Namen trug. Den hatte sie sich selbst gegeben. Ihr eigener Name Heidemarie Jiline klang ihr zu süßlich.

Geboren wurde sie 1943 im schleswig-holsteinis­chen Wesselbure­n, wuchs aber in Hamburg bei ihrer Mutter und deren zweitem Mann auf. Nach einer Ausbildung zur Textilinge­nieurin ging sie als Austausch-Studentin in die USA. Zurück in Deutschlan­d, arbeitete sie als Moderedakt­eurin und eröffnete 1967 im schicken Hamburger Stadtteil Pöseldorf eine Boutique, in der sie auch eigene Entwürfe verkaufte. Dies war die Keimzelle ihres späteren Imperiums. Als eine der wenigen deutschen Designergr­ößen hat Jil Sander es geschafft, internatio­nal anerkannt zu werden. Viele Jahre lang wurde ihr Name in einem Atemzug mit dem von Mode-Legenden wie Giorgio Armani oder Calvin Klein genannt. Noch heute trauern viele Frauen der „echten Sander“nach. Auch wenn mit den Designern Lucie und Luke Meier gerade zwei sehr begabte Kreativköp­fe die Marke führen – die Zeiten, als selbst die elitärsten Moderedakt­eurinnen sich für Jil Sander-Entwürfe förmlich verzehrten, sind vorbei. Sie selbst formuliert­e es bescheiden­er: „Auf eine Weise, die mir nicht ganz klar ist, scheine ich das Vertrauen der Menschen gewonnen zu haben.“

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FOTOS: IMAGO(1)/DPA Schlicht, elegant und sexy, so ist die Mode von Jil Sander (oben rechts), die selber die beste Repräsenta­ntin ihrer Entwürfe war (unten rechts 1983).
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