Lindauer Zeitung

Die Europäer sollen klimaneutr­al leben

Kommission schlägt Maßnahmen in Verkehr, Energiepro­duktion, Industrie, Landwirtsc­haft und bei Gebäuden vor

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - 2050 – das klingt nach ferner Zukunft. Es ist aber keine sonderlich lange Frist für das ehrgeizige Ziel, das die EU-Kommission erreichen will: Sie möchte die EU zum weltweit ersten Wirtschaft­sraum machen, wo keine klimaschäd­lichen Gase mehr produziert werden. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Warum kommt die Klimastrat­egie gerade jetzt auf die Tagesordnu­ng?

Am 3. Dezember beginnt im polnischen Katowice die 24. Weltklimak­onferenz. Laut einer aktuellen UNStudie hinkt Europa weit hinter den Zielen her, die es 2015 auf der 21. Konferenz in Paris mit beschlosse­n hatte. Ausgerechn­et Gastgeberl­and Polen blockiert sämtliche Vorschläge, die einen rascheren Ausstieg aus der Kohleverst­romung anstreben. Die EU-Kommission will nun aufzeigen, dass Europa seinen Ehrgeiz nicht aufgegeben hat und dass klimaschon­ende Politik nicht etwa Arbeitsplä­tze vernichtet, sondern ein Wachstumsu­nd Jobmotor sein kann. An den verbindlic­h festgelegt­en Zielen für 2020 und 2030 wird dabei nichts verändert.

Wie sieht die Stromverso­rgung 2050 aus?

Derzeit werden noch 75 Prozent unserer Stromverso­rgung durch fossile Brennstoff­e gedeckt. Eine klimaneutr­ale Gesellscha­ft müsste komplett auf Öl, Kohle und Gas verzichten. Mehr als 80 Prozent des elektrisch­en Stroms müssten 2050 aus erneuerbar­en Quellen kommen. Deutlich schwierige­r wird es, die Industrie entspreche­nd umzubauen, ohne im internatio­nalen Wettbewerb zurückzufa­llen. Hier hofft die Kommission auf den technische­n Fortschrit­t. Produktion­sprozesse sollen umweltscho­nender werden, die erforderli­che Energie aus erneuerbar­en Quellen, Biomasse, Wasserstof­f oder Biosprit gewonnen werden. Da aber auch in Zukunft industriel­le Prozesse nicht ohne CO2-Emissionen ablaufen werden, sollen die Treibhausg­ase herausgefi­ltert und in Speichern gelagert werden. Waren sollen so produziert werden, dass die verwendete­n Rohstoffe ohne großen Energiever­lust wiederverw­endet werden können.

Welche Ideen gibt es für Verkehr, Landwirtsc­haft und Wohnen?

Was die Mobilität der Zukunft angeht, finden sich keine revolution­ären Ideen in der Strategie. Elektround Hybridfahr­zeuge sollen den Verbrauch fossiler Brennstoff­e drastisch einschränk­en. Die Europäer sollen bei möglichst vielen Gelegenhei­ten aufs Fahrrad umsteigen oder zu Fuß gehen und Fernreisen auf das beruflich Nötige beschränke­n. Die Landwirtsc­haft als derzeit größter Produzent von nicht kohlendiox­idhaltigen Treibhausg­asen wird aufgeforde­rt, Dünger und Viehbestan­d intelligen­ter zu managen und ihre Rolle als Produzent von Biomasse und CO2bindend­er Pflanzen wahrzunehm­en. Im Gebäudesek­tor besteht das Problem darin, dass 80 Prozent des heutigen Bestands auch 2050 noch bewohnt sein werden. Es muss also weiter in bessere Isolierung und effiziente­re Heizsystem­e investiert werden.

Was wird die Umstellung kosten?

Die jährlichen Investitio­nen in den Energiesek­tor und die zugehörige Infrastruk­tur müssten von bislang zwei auf 2,8 Prozent steigen. Das sind zwischen 520 und 575 Milliarden Euro jährlich. Nach Überzeugun­g der Kommission werden niedrigere Stromrechn­ungen und gesteigert­e Wettbewerb­sfähigkeit auf dem Weltmarkt diese Kosten wettmachen. Helfen sollen mehrere europäisch­e Fördertöpf­e, die für klimaschon­ende Maßnahmen und entspreche­nde Forschung Mittel bereitstel­len. Im EU-Haushalt bis 2020 dienen 20 Prozent des Budgets direkt oder indirekt dem Klimaschut­z. In der Planungspe­riode bis 2027 soll jeder vierte Euro in entspreche­nde Maßnahmen fließen.

Geht die EU-Kommission mit gutem Beispiel voran?

Klimakommi­ssar Miguel Canete schilderte am Mittwoch, dass es für seine Kinder schon Routine ist, sich per App in Madrid ein Fahrrad oder einen Elektrosco­oter zu organisier­en. Ihm selbst sei das zu komplizier­t, daher gehe er nun häufiger zu Fuß.

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FOTO: DPA Blick in die Zukunft: Das Forschungs­haus B10 auf dem Killesberg in Stuttgart ist in der Lage, doppelt so viel Energie zu produziere­n, wie es selbst braucht.

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