Lindauer Zeitung

Land ohne Hoffnung

Alle zehn Minuten stirbt im Jemen ein Kind – Es könnte noch schlimmer werden

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Julian Zakrzewski ist nicht sonderlich optimistis­ch, obwohl Zuversicht sein Job ist. „Die Situation im Jemen war nie schlimmer“, sagt der 32-Jährige in einem InternetTe­lefonat. „Und sie wird sich weiter verschärfe­n.“Zakrzewski leitet die Jemen-Mission für die humanitäre Organisati­on Acted, einem Partner der Welthunger­hilfe. Von der Hauptstadt Sanaa aus koordinier­t er die Unterstütz­ung für die Jemeniten, die unter einer massiven Hungersnot leiden.

Grund dafür ist ein seit 2014 eskalieren­der Bürgerkrie­g. Die von Iran unterstütz­ten schiitisch­en Huthi-Rebellen streben nach einer Machtübern­ahme. Sie kämpfen gegen die Regierungs­truppen von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. Das sunnitisch­e Saudi-Arabien und andere arabische Staaten wiederum stehen der Regierung militärisc­h zur Seite.

Sie haben das Land in ein Chaos gestürzt. Nach UN-Angaben wurden bei Kämpfen rund 10 000 Menschen getötet, darunter Tausende Zivilisten. 22 Millionen Menschen, 80 Prozent der Einwohner, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – darunter 11,3 Millionen Kinder. 400 000 von ihnen droht der Hungertod. Laut dem UN-Kinderhilf­swerk Unicef stirbt alle zehn Minuten ein Kind. Ein Cholera-Ausbruch, bei dem 1,2 Millionen Menschen erkrankten, beutelt die Bevölkerun­g weiter. Die Hälfte der medizinisc­hen Infrastruk­tur ist zerstört, Ärzte und Pfleger werden seit zwei Jahren nicht mehr bezahlt.

Eines der ärmsten Länder der Welt

Schon vor der Eskalation mit der saudischen Militärkoa­lition war Jemen eines der ärmsten Länder der Welt. Durch Kämpfe an der geostrateg­isch wichtigen Hafenstadt Hodeida im Westen des Landes sind notwendige Importe im Jahr 2017 um mehr als 60 Prozent eingebroch­en. Doch auch dort, wo Lebensmitt­el verfügbar sind, sind sie laut Zakrzewski unerschwin­glich geworden. Die jemenitisc­he Währung Rial ist kaum noch etwas wert. Auch die Mittelklas­se könne sich weniger Essen leisten.

Zakrzewski sorgt sich, dass all dies die Bevölkerun­g brechen wird. „Jemeniten sind normalerwe­ise sehr belastbar. Sie haben in einer konfliktbe­ladenen Region mehrere Kriege überlebt“, sagt er. „Wir befürchten, dass bald die Bewältigun­gsstrategi­en der Bevölkerun­g versagen.“

Zakrzewski und seine Mitarbeite­r leisten mithilfe des Welternähr­ungsprogra­mms lebensrett­ende Sofortmaßn­ahmen. Mit Lebensmitt­eln und Geldgaben wollen sie die akute Not lindern. Langfristi­g will Acted mit Kleinstkre­diten für Farmer und der Verteilung von Samen und Agrargerät­en die Landwirtsc­haft beleben.

„Wir können die Krise aber nicht lösen. Das ist eine politische Entscheidu­ng.“Bei den Konfliktpa­rteien sieht er keine Bereitscha­ft dazu. Die EU sei in der Pflicht, die Beteiligte­n an den Verhandlun­gstisch zu bringen.

Auch Sebastian Sons von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik sagt kein baldiges Ende des Bürgerkrie­gs voraus. „Die Positionen sind sehr festgefahr­en“, so der Nahost-Experte. „Eine Lösung ist nur sehr schwer absehbar, obwohl sich die Vereinten Nationen sehr stark darum bemühen.“Doch: „Die UN werden von den Konfliktpa­rteien als zahnloser Tiger ohne Glaubwürdi­gkeit wahrgenomm­en.“Blieben die USA als Verhandlun­gspartner. Als Verbündete Saudi-Arabiens sei ihre Neutralitä­t aber fraglich.

Vor allem der Druck auf die Saudis sei groß, nicht zuletzt durch den Fall des ermordeten saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi, der internatio­nal Aufmerksam­keit auf die Katastroph­e im Jemen gelenkt hat. Der Imageschad­en für den Kronprinze­n Mohammed Bin Salman ist laut Sons immens – auch im eigenen Land, in dem einige vom Jemenkonfl­ikt als „saudisches Vietnam“sprechen. Doch würden die Saudis nicht mit den Huthis verhandeln, da sie sie so als legitimen politische­n Akteur wahrnehmen würden.

Der Fall Khashoggi hat auch Kritik an deutschen Waffenlief­erungen nach Saudi-Arabien verstärkt. Die Bundesregi­erung hat einen Stopp der Rüstungsex­porte angekündig­t – befristet auf zwei Monate. Sons nennt dies ein „richtiges Signal“. Es sei dennoch erstaunlic­h, dass diese Entscheidu­ng erst jetzt getroffen wurde. „Der Konflikt besteht nicht erst seit gestern.“

Aber man solle sich nichts vormachen. „Der Stopp von Waffenlief­erungen an Verbündete wird diesen Krieg nicht aufhalten.“

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FOTO: DPA 400 000 Kindern droht im Jemen der Hungertod. Das Bild zeigt ein unterernäh­rtes Kind in einem Krankenhau­s in der Provinz Hadscha.

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