Land ohne Hoffnung
Alle zehn Minuten stirbt im Jemen ein Kind – Es könnte noch schlimmer werden
RAVENSBURG - Julian Zakrzewski ist nicht sonderlich optimistisch, obwohl Zuversicht sein Job ist. „Die Situation im Jemen war nie schlimmer“, sagt der 32-Jährige in einem InternetTelefonat. „Und sie wird sich weiter verschärfen.“Zakrzewski leitet die Jemen-Mission für die humanitäre Organisation Acted, einem Partner der Welthungerhilfe. Von der Hauptstadt Sanaa aus koordiniert er die Unterstützung für die Jemeniten, die unter einer massiven Hungersnot leiden.
Grund dafür ist ein seit 2014 eskalierender Bürgerkrieg. Die von Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen streben nach einer Machtübernahme. Sie kämpfen gegen die Regierungstruppen von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. Das sunnitische Saudi-Arabien und andere arabische Staaten wiederum stehen der Regierung militärisch zur Seite.
Sie haben das Land in ein Chaos gestürzt. Nach UN-Angaben wurden bei Kämpfen rund 10 000 Menschen getötet, darunter Tausende Zivilisten. 22 Millionen Menschen, 80 Prozent der Einwohner, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – darunter 11,3 Millionen Kinder. 400 000 von ihnen droht der Hungertod. Laut dem UN-Kinderhilfswerk Unicef stirbt alle zehn Minuten ein Kind. Ein Cholera-Ausbruch, bei dem 1,2 Millionen Menschen erkrankten, beutelt die Bevölkerung weiter. Die Hälfte der medizinischen Infrastruktur ist zerstört, Ärzte und Pfleger werden seit zwei Jahren nicht mehr bezahlt.
Eines der ärmsten Länder der Welt
Schon vor der Eskalation mit der saudischen Militärkoalition war Jemen eines der ärmsten Länder der Welt. Durch Kämpfe an der geostrategisch wichtigen Hafenstadt Hodeida im Westen des Landes sind notwendige Importe im Jahr 2017 um mehr als 60 Prozent eingebrochen. Doch auch dort, wo Lebensmittel verfügbar sind, sind sie laut Zakrzewski unerschwinglich geworden. Die jemenitische Währung Rial ist kaum noch etwas wert. Auch die Mittelklasse könne sich weniger Essen leisten.
Zakrzewski sorgt sich, dass all dies die Bevölkerung brechen wird. „Jemeniten sind normalerweise sehr belastbar. Sie haben in einer konfliktbeladenen Region mehrere Kriege überlebt“, sagt er. „Wir befürchten, dass bald die Bewältigungsstrategien der Bevölkerung versagen.“
Zakrzewski und seine Mitarbeiter leisten mithilfe des Welternährungsprogramms lebensrettende Sofortmaßnahmen. Mit Lebensmitteln und Geldgaben wollen sie die akute Not lindern. Langfristig will Acted mit Kleinstkrediten für Farmer und der Verteilung von Samen und Agrargeräten die Landwirtschaft beleben.
„Wir können die Krise aber nicht lösen. Das ist eine politische Entscheidung.“Bei den Konfliktparteien sieht er keine Bereitschaft dazu. Die EU sei in der Pflicht, die Beteiligten an den Verhandlungstisch zu bringen.
Auch Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt kein baldiges Ende des Bürgerkriegs voraus. „Die Positionen sind sehr festgefahren“, so der Nahost-Experte. „Eine Lösung ist nur sehr schwer absehbar, obwohl sich die Vereinten Nationen sehr stark darum bemühen.“Doch: „Die UN werden von den Konfliktparteien als zahnloser Tiger ohne Glaubwürdigkeit wahrgenommen.“Blieben die USA als Verhandlungspartner. Als Verbündete Saudi-Arabiens sei ihre Neutralität aber fraglich.
Vor allem der Druck auf die Saudis sei groß, nicht zuletzt durch den Fall des ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi, der international Aufmerksamkeit auf die Katastrophe im Jemen gelenkt hat. Der Imageschaden für den Kronprinzen Mohammed Bin Salman ist laut Sons immens – auch im eigenen Land, in dem einige vom Jemenkonflikt als „saudisches Vietnam“sprechen. Doch würden die Saudis nicht mit den Huthis verhandeln, da sie sie so als legitimen politischen Akteur wahrnehmen würden.
Der Fall Khashoggi hat auch Kritik an deutschen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien verstärkt. Die Bundesregierung hat einen Stopp der Rüstungsexporte angekündigt – befristet auf zwei Monate. Sons nennt dies ein „richtiges Signal“. Es sei dennoch erstaunlich, dass diese Entscheidung erst jetzt getroffen wurde. „Der Konflikt besteht nicht erst seit gestern.“
Aber man solle sich nichts vormachen. „Der Stopp von Waffenlieferungen an Verbündete wird diesen Krieg nicht aufhalten.“