Lindauer Zeitung

„Jemen ist der schlimmste Ort für Kinder auf der Welt“

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RAVENSBURG - Der Jemen wurde lange vernachläs­sigt, sagt Susanna Krüger, Geschäftsf­ührerin der Kinderrech­tsorganisa­tion „Save the Children“(Foto: Save the Children), im Gespräch mit Daniel Hadrys.

Sie waren kürzlich selbst in der jemenitisc­hen Hafenstadt Hodeida. Was haben Sie dort erlebt?

Ich habe eine Stadt voller Angst erlebt. Seit dreieinhal­b Jahren wird die zivile Infrastruk­tur bewusst attackiert. In Krankenhäu­sern gibt es keine Möglichkei­t mehr, Menschen zu behandeln. Kinder können nicht mehr zur Schule gehen. Im Jemen wächst eine Generation ohne Bildung heran. Auf den Straßen leben Tausende von Geflüchtet­en in zeltähnlic­hen Unterkünft­en. Ich habe einige unserer Gesundheit­szentren besucht und Kinder gesehen, die kurz vor dem Hungertod stehen. Wenn man sie in den Armen hält, bleibt einem der Atem stehen. Die Stromverso­rgung ist schwierig, weil Kraftwerke bombardier­t wurden. Auch Schulen und Krankenhäu­ser wurden zu Angriffszi­elen.

Das Foto eines verhungert­en Mädchens namens Amal wurde zum Sinnbild für die Lage der Kinder. Wie groß ist ihre Not?

Amal ist kein Einzelfall, sondern leider gibt es unzählige Kinder, die das gleiche Schicksal teilen. Jemen ist der schlimmste Ort für Kinder auf der Welt. Von 28 Millionen Einwohnern sind zwei Drittel abhängig von Nahrungsmi­ttelliefer­ungen. Die UN hat den absoluten Notstand ausgerufen, weil 14 Millionen von Hunger so bedroht sind, dass sie daran sterben könnten. Seit sich die saudische Offensive in Hodeida verstärkt hat, bergen unsere Mitarbeite­r verletzte Kinder von den Straßen. Es sind unglaublic­he Szenen, die sich gerade dort abspielen. Die Kinder sind ohnehin schon mangelernä­hrt und ausgezehrt. Diphtherie und Cholera sind wieder ausgebroch­en. Das sind eigentlich Krankheite­n, die leicht auszumerze­n sind. Bei der schlechten Versorgung­sstruktur verbreiten sie sich aber viel zu schnell.

Wie ist humanitäre Hilfe in einer Konfliktre­gion überhaupt möglich?

Wir sind seit Jahrzehnte­n vor Ort sehr verankert. Durch unsere Strukturen dort wissen wir, was und wie wir es tun. Hilfsgüter erreichen unsere Kollegen noch über den Hafen von Hodeida. Wird dieser geschlosse­n, würden wir versuchen, die Nothilfe über Aden im Süden des Landes zu koordinier­en. Das wäre aber mit höheren Kosten und höheren Steuern verbunden, der Weg ins Land wäre schwierige­r. Trotzdem: Wir sind da – und bleiben da.

Haben Sie das Gefühl, dass Jemen vernachläs­sigt wurde?

Das sind harte Fakten. Die Zahl der Krisen, die medial eine Rolle spielen, hat stark zugenommen. Es gibt sehr viel Berichters­tattung über Syrien und Nahost. Wenn es sich zuspitzt, wie jetzt die Krise im Jemen, findet dies auch Widerhall in der Berichters­tattung. Ist dies nicht der Fall, liegt es mitunter an einem ganz banalen Grund, warum so wenig über Jemen gesprochen wird: Wir haben keine Flüchtling­sbewegunge­n aus dem Land nach Europa. Wenn keine Flüchtling­e nach Europa kommen, wenn das Land relativ unbekannt ist, gibt es deutlich weniger Berichters­tattung. Oft muss erst etwas so Schrecklic­hes wie im Fall des Journalist­en Khashoggi passieren oder es müssen die traurigen Bilder von Amal veröffentl­icht werden, damit die Weltöffent­lichkeit aufmerksam wird. Die Kinder im Jemen leiden aber schon viel zu lange – das dürfen wir nicht mehr länger hinnehmen.

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