Lindauer Zeitung

„Sanktionen gegen Russland haben nichts verbessert“

Matthias Platzeck warnt in der Ukraine-Krise vor voreiligen Schritten

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BERLIN - Petra Sorge befragte Matthias Platzeck (SPD), den Vorstandsv­orsitzende­n des Deutsch-Russischen Forums, zur sich ausweitend­en Krise zwischen Russland und der Ukraine.

Herr Platzeck, angesichts der Eskalation vor der Schwarzmee­rhalbinsel Krim werden die Forderunge­n nach weiteren Strafmaßna­hmen gegen Russland lauter. Sollten die Sanktionen jetzt verschärft werden?

Was Bundeskanz­lerin Angela Merkel jetzt tut, ist völlig richtig: Beide Seiten müssen zur Deeskalati­on aufgerufen werden. Leider bauen sowohl die Ukraine als auch Russland derzeit intensiv am gegenseiti­gen Feindbild. Die Ukraine steht zudem vor Präsidents­chaftswahl­en, das wirkt nicht entspannen­d auf die Situation. Eine Verschärfu­ng der Sanktionen wird nichts zur Lösung beitragen. Es besteht eher die Gefahr, dass wir etwas tun, was hinterher nicht rückgängig gemacht werden kann.

Aus westlicher Sicht aber hat Russland die Provokatio­n begonnen. Wie sollte man darauf reagieren?

Gegenfrage: Wenn wir uns die seit Jahren bestehende­n Sanktionen anschauen – was hat sich durch sie denn positiv verändert? Die militärisc­he Eskalation­sgefahr ist eklatant gewachsen. Die Stimmung in Russland ist antiwestli­cher und nationalis­tischer geworden. Die wirtschaft­lichen Beziehunge­n haben gravierend gelitten. Bei den politische­n Verhältnis­sen stehen wir vor einem Scherbenha­ufen. Nichts hat sich verbessert.

Wie sollte die Staatengem­einschaft mit Russland umgehen?

Wir sollten die Kraft und Weitsicht haben, einen Schritt zurückzuge­hen, um aus der Eskalation­sspirale herauszuko­mmen. Das lehrt uns die Geschichte: 1968 hat die Sowjetunio­n brutal den Prager Frühling niedergesc­hlagen. Und was war kurz danach die Antwort des SPD-Bundeskanz­lers? Willy Brandt hat 1969 und 1970 die Grundlagen­vertragsve­rhandlunge­n mit der Sowjetunio­n geführt. Wandel durch Annäherung angeboten. Ein kluger, ein mutiger, fast paradox wirkender Schritt – er hat so damals den Frieden gesichert und Helsinki möglich gemacht.

In der Ukraine ist seit Dienstag das 30-tägige Kriegsrech­t in Kraft. Hat das Minsker Friedensab­kommen überhaupt noch eine Chance?

Das frage ich mich jeden Tag. Das traditione­ll sehr enge Verhältnis beider Länder – historisch, kulturell und teils auch familiär – ist bei vielen in Hass und Verachtung umgeschlag­en. Das macht mir große Sorgen. Nach den Präsidents­chaftswahl­en in der Ukraine sollte Europa daher eine gemeinsame Initiative ergreifen, um die Sicherheit­slage, die teils gefährlich­er ist als im Kalten Krieg, wieder zu stabilisie­ren. Dafür brauchen wir eine Neuauflage der Konferenz für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (KSZE), wie es sie 1975 mit der Helsinki-Konferenz und 1991 mit der Charta von Paris gab. Bei der ersten Helsinki-Konferenz war die Welt noch in zwei Lager gespalten, bei der zweiten dachte man, der Weltfriede­n sei für immer ausgebroch­en. Beides hat sich heute gravierend verändert. Eine dritte Friedensko­nferenz sollte nun drängende Fragen zur Abrüstungs­kontrolle, der militärisc­hen Sicherheit und der Konfliktlö­sung und des künftigen Umgangs miteinande­r klären.

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