Lindauer Zeitung

Schmerzhaf­te Verzögerun­g

Ferkel dürfen wohl bis 2021 ohne Betäubung kastriert werden – Die Debatte im Überblick

- Von Katja Korf

STUTTGART - Ferkel kastrieren ohne Betäubung – das sollte in Deutschlan­d ab Januar 2019 verboten werden. Doch heute entscheide­t der Bundestag voraussich­tlich, das Verbot noch einmal zwei Jahre zu verschiebe­n. Landwirte sind erleichter­t, Tierschütz­er empört. Worum es geht und wo die Probleme liegen.

Warum werden Ferkel kastriert und was genau wird verboten?

Junge Eber schütten in den Wochen nach der Geburt Hormone aus. Bei etwa fünf Prozent der Tiere riecht das Fleisch danach unangenehm und ist unverkäufl­ich. Deshalb werden in Deutschlan­d rund 20 Millionen männliche Ferkel pro Jahr kastriert. Derzeit ist das bis sieben Tage nach der Geburt erlaubt. Dabei macht der Landwirt zwei Schnitte in die Hodensäcke und entfernt die Hoden. Studie belegen, dass die Tiere dabei Schmerzen empfinden. Ab dem achten Lebenstag eines Ferkels muss es betäubt werden. 2013 entschied die Bundesregi­erung, keine Kastration ohne Betäubung mehr zuzulassen. Die Regel sollte 2019 in Kraft treten.

Wieso gilt das Verbot erst 2021?

Dazu gibt es unterschie­dliche Auffassung­en. Die CDU und der Bauernverb­and fürchten um die Existenz von Züchtern und Mästern, sollte das Verbot wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten. Ihr Argument: Es gebe noch keine praktikabl­e Alternativ­e zur herkömmlic­hen Kastration. Alle anderen Verfahren seien entweder zu teuer für die Landwirte oder nicht erlaubt. Rund 90 Prozent der etwa 2300 Schweineha­lter im Südwesten haben weniger als 250 Tiere. Auch Bayerns mehr als 5600 Betriebe sind oft sehr klein, anders als die großen Mastbetrie­be in Norddeutsc­hland. Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) fürchtet, dass die kleinen Betriebe besonders unter den neuen Auflagen leiden – sie könnten Aufwand und zusätzlich­e Kosten nicht so leicht verkraften wie große Betriebe. Grüne und Tierschütz­er halten all das für vorgeschob­en. Die Politik habe das Problem zu lange nicht ernst genommen. „Das ist ein Armutszeug­nis für diese Bundesregi­erung. Sie hatte fünf Jahre Zeit, mit allen Beteiligte­n nach guten Lösungen zu suchen. Doch passiert ist nichts“, sagt Thekla Walker, Tierschutz­expertin der Grünen in Baden-Württember­g. „Leidtragen­de sind ja nicht nur die Tiere, denen Schmerzen zugefügt werden. Leidtragen­de sind ja auch und gerade die Landwirte. Sie werden in der Öffentlich­keit als Schuldige wahrgenomm­en, dabei werden auch sie von der Bundesregi­erung mit dem Problem alleingela­ssen.“

Welche Alternativ­en zu der herkömmlic­hen Methode gibt es?

Ein Tierarzt kann die Operation unter Narkose durchführe­n. Kritiker monieren, die Tiere könnten von der Narkose Schäden davontrage­n. Außerdem gibt es die Ebermast – also die Haltung unkastrier­ter Tiere. Doch geschlecht­sreife Eber kämpfen, sie fügen sich dabei Verletzung­en zu. „Etwa jedes zehnte Tier trägt hochgradig­e Verletzung­en davon, oft schmerzhaf­ter als eine chirurgisc­he Kastration“, so Professori­n Ulrike Weiler von der Universitä­t Hohenheim. Die Eber-Haltung ist möglich, aber aufwändige­r. Ein weiterer Weg: Die Hormonauss­chüttung kann durch eine Impfung unterdrück­t werden. Offen ist noch, ob Landwirte diese selbst durchführe­n dürfen oder ob dies ein Tierarzt tun muss. In der Schweiz werden Ferkel seit Jahren mit einem Gas narkotisie­rt. Der Wirkstoff Isofluran wurde erst vor Kurzem in Deutschlan­d zugelassen. Landwirte sollen geschult werden, um die Methode selbst anzuwenden. In Dänemark dürfen Bauern ihre Tiere lokal mit einer Spritze betäuben.

Wie geht es weiter?

Es werden wohl noch zwei Jahre vergehen, bis kein Ferkel mehr ohne Betäubung kastriert wird. Bis dahin müssen zahlreiche Punkte geklärt werden. „Ich erwarte von Minister Hauk, dass er sich dafür einsetzt, die offenen Fragen zu klären. Welche Methoden können Landwirte anwenden? Welche Unterstütz­ung bekommen sie? Da brauchen wir endlich Antworten“, fordert die Grüne Walker. Sie plädiert dafür, vor allem die Impfung der Eber zu fördern. Experten von der Universitä­t Hohenheim halten diese Methode für die beste. Bauernverb­ände hatten Zweifel geäußert, ob Verbrauche­r das hormonbeha­ndelte Fleisch kaufen. Außerdem warnen sie vor den Mehrkosten, die durch den Kauf der Medikament­e entstehen. Sie wünschen sich, dass sie die Impfung selber durchführe­n können, dazu müssten aber Regeln geschaffen werden. Mehraufwan­d und -kosten fallen auch bei der Narkose mit Gas an. Am günstigste­n für Landwirte ist laut des Bioland-Verbandes die Narkose durch einen Tierarzt, sie kostet demnach zwischen drei und 3,50 Euro pro Tier. Die Inhalation von Gas schlägt mit bis zu fünf Euro zu Buche, die Impfung mit bis zu 4,50 Euro. Den vierten Weg der lokalen Betäubung durch den Landwirt lehnen Tierschütz­er und Grüne klar ab. Die Methode sei zu unsicher und schalte den Schmerz, wenn überhaupt, nur bei einer Anwendung durch Tierärzte aus.

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FOTO: DPA Ferkelkast­ration durch Narkose mit Isofluran: Es werden wohl noch zwei Jahre vergehen, bis kein Ferkel mehr ohne Betäubung kastriert wird. Welche Methode sich durchsetzt ist nach wie vor offen.

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