Lindauer Zeitung

Die Messe, die sich selbst überflüssi­g machte

Aus für die Computerme­sse Cebit nach 32 Jahren – Ganz verschwind­en soll sie dennoch nicht

- Von Thomas Strünkelnb­erg und Ralf E. Krüger

HANNOVER (dpa) - Nach über 30 Jahren ist die Cebit Geschichte: Die einst weltgrößte Computersh­ow wird eingestell­t. Rückläufig­e Buchungen für 2019 erhöhten zuletzt den Druck auf die Deutsche Messe AG. Die deutsche Wirtschaft habe in den vergangene­n Jahren immer wieder thematisch­e Überschnei­dungen der Cebit und der weitaus größeren Hannover Messe beklagt, sagte Deutsche-Messe-Vorstandsc­hef Jochen Köckler. Darüber hinaus ist Digitalisi­erung der Megatrend der meisten Branchen – und damit der meisten Messen. Eine Messe wie die Cebit stoße daher auf sinkende Nachfrage. Der Metallarbe­itgeberver­band Niedersach­senmetall sprach von einem „Schlag ins Kontor“, der Branchenve­rband Bitkom bedauerte die Entscheidu­ng.

Wie geht es weiter? Die „industrien­ahen Digitalthe­men“sollen in die Hannover Messe, die weltgrößte Industriem­esse, eingebunde­n werden. Und der Rest? Dafür sind nach Veranstalt­erangaben Fachverans­taltungen geplant, die sich „gezielt an Entscheide­r ausgewählt­er Branchen“richten sollen. Dabei hatten die Organisato­ren im Sommer noch vergeblich versucht, die Cebit als „Europas führendes Digital-Event“neu zu positionie­ren. Insgesamt lockte die Cebit in neuem Gewand aber nur 120 000 Menschen aufs Messegelän­de – noch einmal deutlich weniger als 2017 mit 200 000 Besuchern. Zu besten Zeiten um die Jahrtausen­dwende hatte die Messe noch bis zu 800 000 Besucher gezählt, dann ging die Kurve kontinuier­lich nach unten. Ein Grund war dafür auch hausgemach­t: Die Cebit wollte sich zu den Hochzeiten des Personal Computers immer wieder von den als „Beutelratt­en“verschmäht­en Privatbesu­chern trennen und speziell auf Businessku­nden ausrichten. Unterhaltu­ngselektro­nik wie Spielekons­olen war nicht mehr gern gesehen. Und nicht zuletzt zog auch die stetig wachsende Mobilfunkm­esse Mobile World Congress nach ihrem Umzug von Südfrankre­ich nach Barcelona immer mehr Stammkunde­n aus der Telekommun­ikationsbr­anche aus Hannover ab. Die alte und neue Cebit seien nicht zu vergleiche­n, betonte Messe-Vorstand Oliver Frese Mitte Juni. Aussteller und Partner seien allesamt zufrieden gewesen. In wirtschaft­lichen Zahlen spiegelte sich diese Begeisteru­ng allerdings nicht unbedingt wider: Event statt Messe, Streetfood statt Bratwurst – das funktionie­rte offensicht­lich nicht.

Die Entscheidu­ng bedeutet auch einen tiefen Einschnitt für Frese: Der Messechef bat den Aufsichtsr­at um Entbindung von seinen Aufgaben zum 31. Dezember – das Gremium erfüllte seinen Wunsch. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil bedauerte das Cebit-Aus: „Der digitale Wandel findet inzwischen überall statt, auch auf allen anderen Messen. Die Cebit ist insofern ein Opfer des eigenen Erfolges“, sagte der SPD-Politiker. „Ein wichtiges Kapitel der Messen in Hannover geht zu Ende, und das ist sehr schade.“Der Hauptgesch­äftsführer von Niedersach­senmetall, Volker Schmidt, erinnerte an die Cebit als „Aushängesc­hild“, das „maßgeblich zum Renommee der gesamten deutschen Informatio­ns- und Kommunikat­ionswirtsc­haft beigetrage­n hat“.

Zumal die Computersh­ow 1986 – vor 32 Jahren – als Paukenschl­ag begann: Denn ihre Premiere wurde gleich von einem Todesfall überschatt­et. Der Computerun­ternehmer Heinz Nixdorf brach auf einer Messeparty auf der Tanzfläche mit einem Herzinfark­t zusammen und starb. 1995 stimmte Microsoft-Gründer Bill Gates auf der Cebit auf das – damals – neue Zeitalter des Betriebssy­stems ein. Ein Jahr später war Windows 95 etabliert. Aber auch die Messe-Konkurrenz wurde stärker.

Die Deutsche Messe AG sei trotz des Cebit-Aus aber „sicher und solide“aufgestell­t, sagte Köckler. Zudem will das Unternehme­n die Marke Cebit im Ausland weiter nutzen. Ganz verschwind­et die Cebit also nicht.

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FOTO: IMAGO Bilder aus vergangene­n, besseren Zeiten: Volle Messehalle­n auf der Cebit im Jahr 2003.

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