Lindauer Zeitung

Weihnachte­n, wie es im Buche steht

Wer in der Adventszei­t nach Husum reist, wird unweigerli­ch an die Werke Theodor Storms erinnert

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Indes sind die feierliche­n Leseabende im Storm-Haus mehr als nur norddeutsc­h-sinnige Musestündc­hen mit Hausmusik und Punsch zur Adventszei­t. Bei Kerzensche­in nehmen Besucher teil an einer Zeitreise durch Lebensabsc­hnitte des Mannes, dem ausgerechn­et der preußische Lokalpatri­ot Theodor Fontane abfällig „Husumerei“und „Provinzsim­pelei“vorwarf. Fontanes Spott zielte jedoch weniger auf den Schriftste­ller, als vielmehr auf den Menschen Theodor Storm, dessen von Wehmut und Erdverbund­enheit getragene „Heimatlieb­e“in der Emigration besonders dann auftrat, wenn es „weihnachte­te“.

Das Gedicht „Weihnachts­abend“über ein einsames bettelndes Kind schrieb Storm 1852 fernab von Familie und Nordsee, als er Heiligaben­d allein durch Berlins Straßen spazierte und hinter erleuchtet­en Fenstern Familien bei ihren Vorbereitu­ngen auf das Fest sah. Weil sich der junge Friese der Dänischen Krone widersetzt und für ein unabhängig­es Schleswig engagiert hatte, fand er als Advokat in Husum keine Arbeit mehr und war in die Hauptstadt Preußens gereist. „Mit viel Herzenswär­me“ schrieb der Kreisricht­er auch in seinem zweiten Exil im thüringisc­hen Heiligenst­adt die traurig schöne Erzählung „Unter dem Tannenbaum“, in der er seinem Knecht Ruprecht die Botschaft mit auf den Weg gibt: „Von drauß’ vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachte­t sehr …“

Wenn der Vorleser im StormHaus sein Repertoire mit weihnachtl­ichen Passagen aus „Carsten Curator“, „Immensee“, aus Gedichten, Briefen und Manuskript­en beiseite gelegt hat, knarren im Haus bei Erkundunge­n von Stube zu Stube die Dielen. Rund 50 Gäste interessie­ren sich an diesem Abend für die Schimmelre­iter-Ausstellun­g oder das Poetenstüb­chen, in dem ab 1864 nach Storms Rückkehr aus dem Exil „Pole Poppenspäl­er“(Paul, der Puppenspie­ler) und 20 weitere Arbeiten entstanden.

Stimmungsv­olle Weihnacht war ohne knusprigen Kuchen für Storm nicht denkbar. Gereicht werden die mit Sirup, Mehl, Kardamom und Zimt gebackenen Köstlichke­iten jede Weihnacht bei einer weiteren literarisc­hen Reminiszen­z zur Teezeit im Hotel Altes Gymnasium. Hier in der ehemaligen Gelehrtens­chule hatte Theodors schriftste­llerische Sozialisat­ion begonnen. Nach der Lesestunde folgt die Zuhörersch­ar einem Literaturs­cout auf Spuren des poetischen Realisten quer durch Husum. Zum Beispiel in die Süderstraß­e 12, wo der Landvogt residierte oder wo nebenan in einem Gasthaus „Pole Poppenspäl­er“Marionette­ntheater machte. Dieser Novelle vom steten Konflikt vagabundie­render Künstler und verständni­sloser Bürger hat das Husumer Schloss ein Denkmal gesetzt. Das Poppenspäl­er Museum zeigt geschnitzt­e Figuren aus der dreimal verfilmten Novelle. Selber anfassen und die Puppen tanzen lassen ist hier ausdrückli­ch erwünscht.

Anziehpupp­en und Bilderboge­n aus Pappmaché, Blechspiel­zeug, Märchenbüc­her und andere Raritäten, über die sich Kinder vor bis zu 100 Jahren gefreut haben, bewahrt das „Weihnachts­haus“im Westerende auf. Mit drei Etagen und 300 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche ist das Stadthaus aus der Gründerzei­t das größte Weihnachts­museum Norddeutsc­hlands. Zwischen den ersten Adventsuhr­en und -kalendern, Spielzeug aus der DDR sowie aus Kriegsjahr­en, finden sich auch frühe Naturspiel­zeuge für arme Kinder. Ein Schlitten aus einer alten Gemüsekist­e, Flöten aus Weiden oder ein Steckenpfe­rd aus Ästen, zeugen von Fantasie und Geschick, aus denen früher ohne Geld eine kleine, bescheiden­e Spielzeugw­elt entstand.

Poesie auf Platt

Draußen hat es aufgehört zu regnen. Ein paar Schneefloc­ken tanzen im wässrigen Abendlicht. Als die Turmuhr Mitternach­t schlägt, sind die Gassen zwischen Marktplatz und Hafen fast menschenle­er, nur ein paar Möwen klammern sich an die steifen Schiffstau­e. Vielleicht findet sich ja dort drüben in der Taverne, wo ein Lichterbau­m die Fenster erhellt, noch ein warmer Platz. Nur für ein halbes Stündchen, um ein bisschen in Storms gedichtete­m Leben zu blättern, der das schlummern­de Husum so beschriebe­n hat: „Over de stillen Straten, geit klar de Kloggensla­g; god Nacht! / Din Hart will slapen, un morgen is og en Dag.“

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FOTO: HUSUM TOURISMUS Blaue Stunde und weiße Pracht im Husumer Hafen.
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FOTO: MANFRED LÄDTKE Alte und neue Weihnachts­bücher sind in der kleinen Bibliothek im Weihnachts­haus ausgestell­t.

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