Ein Bayern-Reiseführer für Genießer
Eine Jury hat für das Landwirtschaftsministerium 100 Genussorte gekürt – Bodensee und Allgäu sind gut vertreten
MÜNCHEN - Wer in Bayern schnellstmöglich einen Streit vom Zaun brechen will, der muss sich im Gespräch mit Einheimischen aufs kulinarische Terrain begeben. So soll allein die Frage, wann und wie Weißwürste gegessen werden – nur vor dem Mittagsläuten oder auch danach? Schneiden oder zuzeln? – Auslöser von zig Wirtshausraufereien gewesen sein. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass einige besonders traditionsbewusste Kellnerinnen Gäste ignorieren, wenn diese einen Schweinebraten statt eines Schweinsbraten bestellen. Eine Auswahl kulinarischer Köstlichkeiten aus dem Freistaat zu küren, ist daher eine heikle Angelegenheit. Und doch hat das bayerische Landwirtschaftsministerium genau das getan: Anlässlich des 100. Geburtstags des Freistaats hat die Behörde von einer Fachjury „100 Genussorte in Bayern“auswählen lassen. Sie sind in einem gleichnamigen Buch versammelt, das Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber am Freitag in München vorgestellt hat.
München ist gar nicht dabei
Ausgerechnet die Landeshauptstadt – wo der Legende nach einst die Weißwurst erfunden wurde und wo man heute ein Dutzend Sterne-Restaurants findet – fehlt bei den Top 100. Insgesamt 300 Orte hätten sich im Vorfeld für eine Aufnahme in den kulinarischen Reiseführer beworben, berichtete Hermann Kolesch, Präsident der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, die den Wettbewerb gemeinsam mit dem Ministerium organisierte. Eine 15köpfige Jury habe daraus dann 100 Genussorte ausgewählt – anhand eines Kriterienkatalogs. Der habe nicht nur die Qualität der Produkte, sondern auch Faktoren wie Brauchtumspflege und Nachhaltigkeit berücksichtigt, sagte Kolesch. Das Ziel sei gewesen, erläuterte Ministerin Kaniber, „das Bewusstsein der Verbraucher für die Genussvielfalt der Regionen und die Einzigartigkeit unserer Spezialitäten zu schärfen“.
Das bildgewaltige Buch listet freilich nicht nur die einzelnen Genussorte auf, sondern erzählt oft auch die Geschichte hinter den Spezialitäten und stellt Menschen vor, die sich ihnen verschrieben haben. Etwa Matthias Marschall, Obstbauer vom Bodensee, der Obst von Äpfeln bis Zwetschgen anbaut und daraus auch Brände und Liköre macht. Sein Hofladen ist in Wasserburg, das sich gemeinsam mit Lindau, Nonnenhorn und Bodolz zur Marke „Lindauer Bodensee“zusammengetan und es unter die Top 100 geschafft hat. Die Autoren heben besonders den Wein aus der Region hervor, den Obstanbau und die Fische aus dem See, allen voran den Bodenseefelchen.
Unter den 100 Genussorten finden sich indes auch weit unbekanntere Ecken von Bayern. Etwa der 4000-Einwohner-Markt Bürgstadt im äußersten Nordwesten des Freistaats, wo Winzer ein besonderes Händchen für exzellente Rotweine haben – inmitten eines Weißweinlandes. Oder tief im Süden der Markt Wertach im Allgäu: Hier wurde vor 150 Jahren der erste patentierte Käse der Welt erfunden – dank eines Missgeschicks. Den Brüdern Josef und Anton Kramer war der Legende nach eines Tages ihr Limburger zu salzig und zu wässrig geraten, worauf sie den Käse erst mal in die Ecke legten und abwarteten. Ein halbes Jahr später schmeckte dieser zu ihrer Überraschung nicht nur besonders aromatisch, sondern der Käse wurde bald auch zum Renner: Schon ein Jahr später kamen die Brüder mit der Produktion ihres neuartigen Weißlacker kaum mehr nach; überdies erhielten sie von Ludwig II. ein königlich Patent für ihren Käse.
Anekdoten sind die große Stärke
Es sind vor allem solche launigen Anekdoten sowie die prächtigen Fotos, die das Buch zu einem Schmuckstück machen. „Wer sich künftig etwas Besonderes gönnen will, ob an der Käsetheke, im Gasthaus oder beim Reisen zum Wein, der sollte erst einmal das heimische Angebot im Blick haben“, appellierte Michaela Kaniber, selbst eine Wirtstochter. Schließlich werde man schnell feststellen: „Es lohnt sich, auch weil das Wissen, woher ein Lebensmittel kommt und welche Geschichte dahinter steht, dem Genuss eine neue Tiefe verleiht.“Außerdem birgt allein die Auswahl der Top 100 reichlich Stoff, um sich ausgiebig zu zanken – am besten beim Essen.