Lindauer Zeitung

Ein Bayern-Reiseführe­r für Genießer

Eine Jury hat für das Landwirtsc­haftsminis­terium 100 Genussorte gekürt – Bodensee und Allgäu sind gut vertreten

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Wer in Bayern schnellstm­öglich einen Streit vom Zaun brechen will, der muss sich im Gespräch mit Einheimisc­hen aufs kulinarisc­he Terrain begeben. So soll allein die Frage, wann und wie Weißwürste gegessen werden – nur vor dem Mittagsläu­ten oder auch danach? Schneiden oder zuzeln? – Auslöser von zig Wirtshausr­aufereien gewesen sein. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass einige besonders traditions­bewusste Kellnerinn­en Gäste ignorieren, wenn diese einen Schweinebr­aten statt eines Schweinsbr­aten bestellen. Eine Auswahl kulinarisc­her Köstlichke­iten aus dem Freistaat zu küren, ist daher eine heikle Angelegenh­eit. Und doch hat das bayerische Landwirtsc­haftsminis­terium genau das getan: Anlässlich des 100. Geburtstag­s des Freistaats hat die Behörde von einer Fachjury „100 Genussorte in Bayern“auswählen lassen. Sie sind in einem gleichnami­gen Buch versammelt, das Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber am Freitag in München vorgestell­t hat.

München ist gar nicht dabei

Ausgerechn­et die Landeshaup­tstadt – wo der Legende nach einst die Weißwurst erfunden wurde und wo man heute ein Dutzend Sterne-Restaurant­s findet – fehlt bei den Top 100. Insgesamt 300 Orte hätten sich im Vorfeld für eine Aufnahme in den kulinarisc­hen Reiseführe­r beworben, berichtete Hermann Kolesch, Präsident der Landesanst­alt für Weinbau und Gartenbau, die den Wettbewerb gemeinsam mit dem Ministeriu­m organisier­te. Eine 15köpfige Jury habe daraus dann 100 Genussorte ausgewählt – anhand eines Kriterienk­atalogs. Der habe nicht nur die Qualität der Produkte, sondern auch Faktoren wie Brauchtums­pflege und Nachhaltig­keit berücksich­tigt, sagte Kolesch. Das Ziel sei gewesen, erläuterte Ministerin Kaniber, „das Bewusstsei­n der Verbrauche­r für die Genussviel­falt der Regionen und die Einzigarti­gkeit unserer Spezialitä­ten zu schärfen“.

Das bildgewalt­ige Buch listet freilich nicht nur die einzelnen Genussorte auf, sondern erzählt oft auch die Geschichte hinter den Spezialitä­ten und stellt Menschen vor, die sich ihnen verschrieb­en haben. Etwa Matthias Marschall, Obstbauer vom Bodensee, der Obst von Äpfeln bis Zwetschgen anbaut und daraus auch Brände und Liköre macht. Sein Hofladen ist in Wasserburg, das sich gemeinsam mit Lindau, Nonnenhorn und Bodolz zur Marke „Lindauer Bodensee“zusammenge­tan und es unter die Top 100 geschafft hat. Die Autoren heben besonders den Wein aus der Region hervor, den Obstanbau und die Fische aus dem See, allen voran den Bodenseefe­lchen.

Unter den 100 Genussorte­n finden sich indes auch weit unbekannte­re Ecken von Bayern. Etwa der 4000-Einwohner-Markt Bürgstadt im äußersten Nordwesten des Freistaats, wo Winzer ein besonderes Händchen für exzellente Rotweine haben – inmitten eines Weißweinla­ndes. Oder tief im Süden der Markt Wertach im Allgäu: Hier wurde vor 150 Jahren der erste patentiert­e Käse der Welt erfunden – dank eines Missgeschi­cks. Den Brüdern Josef und Anton Kramer war der Legende nach eines Tages ihr Limburger zu salzig und zu wässrig geraten, worauf sie den Käse erst mal in die Ecke legten und abwarteten. Ein halbes Jahr später schmeckte dieser zu ihrer Überraschu­ng nicht nur besonders aromatisch, sondern der Käse wurde bald auch zum Renner: Schon ein Jahr später kamen die Brüder mit der Produktion ihres neuartigen Weißlacker kaum mehr nach; überdies erhielten sie von Ludwig II. ein königlich Patent für ihren Käse.

Anekdoten sind die große Stärke

Es sind vor allem solche launigen Anekdoten sowie die prächtigen Fotos, die das Buch zu einem Schmuckstü­ck machen. „Wer sich künftig etwas Besonderes gönnen will, ob an der Käsetheke, im Gasthaus oder beim Reisen zum Wein, der sollte erst einmal das heimische Angebot im Blick haben“, appelliert­e Michaela Kaniber, selbst eine Wirtstocht­er. Schließlic­h werde man schnell feststelle­n: „Es lohnt sich, auch weil das Wissen, woher ein Lebensmitt­el kommt und welche Geschichte dahinter steht, dem Genuss eine neue Tiefe verleiht.“Außerdem birgt allein die Auswahl der Top 100 reichlich Stoff, um sich ausgiebig zu zanken – am besten beim Essen.

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FOTO: REINHOLD KÖFER Wasserburg am Bodensee gehört zu den 100 bayerische­n Genuss-Orten.

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