Totgeschwiegen
Immer weniger besprechen das Thema Erbschaft – Streitigkeiten nehmen stark zu
STUTTGART - Warum nicht ausgerechnet an Weihnachten, wenn ohnehin die ganze Familie zusammenkommt, übers Erben und Vererben reden? Hans-Ulrich Eppinger stellt diese Frage nicht ohne Augenzwinkern, weiß der Stuttgarter Rechtsanwalt und Notar doch sehr wohl, wie schwer sich Erben und Erblasser mit dem Gespräch über dieses heikle Thema tun. Ist es doch eine Mehrheit von 60 Prozent der Deutschen, die sich nur sehr ungern mit dieser Problematik beschäftigt, wie eine repräsentative Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Deutschen Bank ergeben hat – und das mit eher steigender Tendenz.
„Dabei wäre das offene, frühzeitige Gespräch nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil die zu vererbenden Vermögen immer komplexer werden“, sagt dazu Lisa-Marie Wöhrle, die bei der Deutschen Bank als Beraterin für Erbschaftsangelegenheiten tätig ist. Aber die Entwicklung geht in die andere Richtung. Während im Jahr 2013 noch 41 Prozent der Deutschen angaben, dass mit allen Beteiligten offen über die Erbschaft gesprochen wurde, berichten davon heute nur noch 35 Prozent.
Dies ist ein Aspekt, weshalb es in Deutschland immer häufiger zu Erbstreitigkeiten kommt. Gaben 2013 noch 15 Prozent an, dass es zum Familienzwist kam, sagt dies heute fast jeder Fünfte. Als weitere Ursachen für Streit nennt Notar Eppinger unklare Testamente, die häufig aus dem Internet abgeschrieben würden, sowie die sich wandelnden Lebensverhältnisse, die vielfach von Patchworkfamilien geprägt sind. Um hier Streit zu vermeiden, rät Wöhrle dazu, nicht nur ein Testament zu machen, sondern dies alle fünf Jahre zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.
Liegt kein Testament vor, greift zwar die staatliche Erbfolge. Doch wenn man bedenkt, dass nur 39 Prozent aller potenziellen Erblasser bereits ein Testament gemacht haben, kann man erahnen, wieviel Konfliktpotenzial darin stecken kann. Deshalb rät Wöhrle, sich rechtzeitig mit dem Thema zu beschäftigen – ganz nach dem Motto: „Reden ist Gold, Schweigen gibt Streit.“
Welch große Bedeutung das Thema Erben und Vererben ausmacht, zeigt eine Prognose der Deutschen Bundesbank, die für die Zeit von 2015 bis 2024 damit rechnet, dass ein Vermögen von rund 3,07 Billionen Euro vererbt wird. Geldvermögen stellt dabei mit 75 Prozent den häufigsten Teil eines Erbes dar, wie die AllensbachStudie ergeben hat.
Zunehmend Immobilien
Doch dessen Bedeutung dürfte abnehmen: Weniger als zwei Drittel der potenziellen Erblasser (62 Prozent) gehen heute davon aus, einmal Geld zu vererben. Gegenläufig verhält es sich bei Gold, Wertpapieren und vor allem bei Immobilien.
So geben vier Prozent der bisherigen Erben an, Gold geerbt zu haben, während elf Prozent der künftigen Erblasser Edelmetall weitergeben wollen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei Wertpapieren ab, wo zwölf Prozent Aktien oder Anleihen erhalten haben, bei 17 Prozent der künftigen Nachlässe aber Wertpapiere enthalten sein sollen. Am stärksten dürfte aber der Anstieg bei Immobilien sein. Während nur 40 Prozent angeben, jemals Immobilienvermögen geerbt zu haben, gehen bundesweit 59 Prozent der künftigen Erblasser davon aus, Immobilienvermögen weiterzugeben. „Eine frühzeitige Planung bei diesem schwierigen Thema kann daher einen positiven Effekt auf den gewünschten Vermögensübergang haben“, sagt Wöhrle von der Deutschen Bank.
Am höchsten ist laut der Studie die Aussicht eines Erbes in Baden-Württemberg und Bayern, wo 30 Prozent der Bevölkerung erwarten, in Zukunft mit einem Vermächtnis bedacht zu werden – etwa im Gegensatz zu Berlin oder den östlichen Bundesländern, wo dieser Anteil nur bei 17 Prozent liegt. Mit einem Anteil von 63 Prozent gehören im deutschen Südwesten bereits heute eine Wohnung oder ein Haus zum Nachlass. Die Weitervererbung von Haus und Hof sei eben Teil der schwäbischen DNA, sagt dazu Notar Eppinger.
Besonders weist Wöhrle auf die Berücksichtigung des digitalen Nachlasses aus E-Mails, sozialen Netzwerken sowie Clouddiensten hin. „Diesen gilt es genauso zu organisieren wie den analogen Nachlass“, rät die Expertin, damit die Erben Zugriff auf das Vermächtnis eines Verstorbenen im Netz hätten.
In diesem Sinn hat der Bundesgerichtshof im Juli 2018 eine Entscheidung gefällt, wonach für den digitalen Nachlass die allgemeinen erbrechtlichen Grundsätze gelten. Netzwerksbetreiber haben demnach den Erben umfassend Zugriff auf Nutzerkonten und digitale Inhalte zu gewähren. „Wer dies nicht wünscht, muss von sich aus aktiv werden“, so Wöhrle.
Bliebe noch die Frage nach dem Termin für ein Gespräch zum Thema Erben. 41 Prozent der Befragten erachten den Zeitpunkt als nicht so wichtig. Für eine große Mehrheit steht fest, dass an Weihnachten der denkbar ungeeignetste Moment sein mag. Lediglich fünf Prozent geben an, dass am Christfest ein solches Thema besprochen werden sollte.