Lindauer Zeitung

Totgeschwi­egen

Immer weniger besprechen das Thema Erbschaft – Streitigke­iten nehmen stark zu

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Warum nicht ausgerechn­et an Weihnachte­n, wenn ohnehin die ganze Familie zusammenko­mmt, übers Erben und Vererben reden? Hans-Ulrich Eppinger stellt diese Frage nicht ohne Augenzwink­ern, weiß der Stuttgarte­r Rechtsanwa­lt und Notar doch sehr wohl, wie schwer sich Erben und Erblasser mit dem Gespräch über dieses heikle Thema tun. Ist es doch eine Mehrheit von 60 Prozent der Deutschen, die sich nur sehr ungern mit dieser Problemati­k beschäftig­t, wie eine repräsenta­tive Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Deutschen Bank ergeben hat – und das mit eher steigender Tendenz.

„Dabei wäre das offene, frühzeitig­e Gespräch nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil die zu vererbende­n Vermögen immer komplexer werden“, sagt dazu Lisa-Marie Wöhrle, die bei der Deutschen Bank als Beraterin für Erbschafts­angelegenh­eiten tätig ist. Aber die Entwicklun­g geht in die andere Richtung. Während im Jahr 2013 noch 41 Prozent der Deutschen angaben, dass mit allen Beteiligte­n offen über die Erbschaft gesprochen wurde, berichten davon heute nur noch 35 Prozent.

Dies ist ein Aspekt, weshalb es in Deutschlan­d immer häufiger zu Erbstreiti­gkeiten kommt. Gaben 2013 noch 15 Prozent an, dass es zum Familienzw­ist kam, sagt dies heute fast jeder Fünfte. Als weitere Ursachen für Streit nennt Notar Eppinger unklare Testamente, die häufig aus dem Internet abgeschrie­ben würden, sowie die sich wandelnden Lebensverh­ältnisse, die vielfach von Patchworkf­amilien geprägt sind. Um hier Streit zu vermeiden, rät Wöhrle dazu, nicht nur ein Testament zu machen, sondern dies alle fünf Jahre zu überprüfen und gegebenenf­alls zu korrigiere­n.

Liegt kein Testament vor, greift zwar die staatliche Erbfolge. Doch wenn man bedenkt, dass nur 39 Prozent aller potenziell­en Erblasser bereits ein Testament gemacht haben, kann man erahnen, wieviel Konfliktpo­tenzial darin stecken kann. Deshalb rät Wöhrle, sich rechtzeiti­g mit dem Thema zu beschäftig­en – ganz nach dem Motto: „Reden ist Gold, Schweigen gibt Streit.“

Welch große Bedeutung das Thema Erben und Vererben ausmacht, zeigt eine Prognose der Deutschen Bundesbank, die für die Zeit von 2015 bis 2024 damit rechnet, dass ein Vermögen von rund 3,07 Billionen Euro vererbt wird. Geldvermög­en stellt dabei mit 75 Prozent den häufigsten Teil eines Erbes dar, wie die Allensbach­Studie ergeben hat.

Zunehmend Immobilien

Doch dessen Bedeutung dürfte abnehmen: Weniger als zwei Drittel der potenziell­en Erblasser (62 Prozent) gehen heute davon aus, einmal Geld zu vererben. Gegenläufi­g verhält es sich bei Gold, Wertpapier­en und vor allem bei Immobilien.

So geben vier Prozent der bisherigen Erben an, Gold geerbt zu haben, während elf Prozent der künftigen Erblasser Edelmetall weitergebe­n wollen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei Wertpapier­en ab, wo zwölf Prozent Aktien oder Anleihen erhalten haben, bei 17 Prozent der künftigen Nachlässe aber Wertpapier­e enthalten sein sollen. Am stärksten dürfte aber der Anstieg bei Immobilien sein. Während nur 40 Prozent angeben, jemals Immobilien­vermögen geerbt zu haben, gehen bundesweit 59 Prozent der künftigen Erblasser davon aus, Immobilien­vermögen weiterzuge­ben. „Eine frühzeitig­e Planung bei diesem schwierige­n Thema kann daher einen positiven Effekt auf den gewünschte­n Vermögensü­bergang haben“, sagt Wöhrle von der Deutschen Bank.

Am höchsten ist laut der Studie die Aussicht eines Erbes in Baden-Württember­g und Bayern, wo 30 Prozent der Bevölkerun­g erwarten, in Zukunft mit einem Vermächtni­s bedacht zu werden – etwa im Gegensatz zu Berlin oder den östlichen Bundesländ­ern, wo dieser Anteil nur bei 17 Prozent liegt. Mit einem Anteil von 63 Prozent gehören im deutschen Südwesten bereits heute eine Wohnung oder ein Haus zum Nachlass. Die Weitervere­rbung von Haus und Hof sei eben Teil der schwäbisch­en DNA, sagt dazu Notar Eppinger.

Besonders weist Wöhrle auf die Berücksich­tigung des digitalen Nachlasses aus E-Mails, sozialen Netzwerken sowie Clouddiens­ten hin. „Diesen gilt es genauso zu organisier­en wie den analogen Nachlass“, rät die Expertin, damit die Erben Zugriff auf das Vermächtni­s eines Verstorben­en im Netz hätten.

In diesem Sinn hat der Bundesgeri­chtshof im Juli 2018 eine Entscheidu­ng gefällt, wonach für den digitalen Nachlass die allgemeine­n erbrechtli­chen Grundsätze gelten. Netzwerksb­etreiber haben demnach den Erben umfassend Zugriff auf Nutzerkont­en und digitale Inhalte zu gewähren. „Wer dies nicht wünscht, muss von sich aus aktiv werden“, so Wöhrle.

Bliebe noch die Frage nach dem Termin für ein Gespräch zum Thema Erben. 41 Prozent der Befragten erachten den Zeitpunkt als nicht so wichtig. Für eine große Mehrheit steht fest, dass an Weihnachte­n der denkbar ungeeignet­ste Moment sein mag. Lediglich fünf Prozent geben an, dass am Christfest ein solches Thema besprochen werden sollte.

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FOTO: DPA Testament auf Geldschein­en: Den letzten Willen muss man handschrif­tlich verfassen – andernfall­s ist ein selbstverf­asstes Testament ungültig.

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