Lindauer Zeitung

Nicht gleich die Nase rümpfen

Museum Ulm zeigt, dass Computersp­iele Kunst sein können

- Von Marcus Golling

ULM - Verblüffen­de Querverbin­dungen zwischen Computersp­ielen und bildender Kunst sind im Museum Ulm in der Ausstellun­g „Obumbro“zu erleben.

Im letzten Raum wird der Kurator ganz ehrfürchti­g. „Dieses Spiel gilt als Kunstwerk“, sagt Thomas Hensel. „Es ist ein Spiel, das einem eine eiserne Klammer ums Herz legt.“Das Game, von dem Hensel, Professor für Kunst- und Designtheo­rie, schwärmt, ist „Shadow of the Colossus“, erstmals 2005 erschienen und vor einigen Monaten für die Playstatio­n 4 in einer grafisch atemberaub­enden Fassung wieder aufgelegt. Ein Titel, der in Zockerkrei­sen Legendenst­atus genießt. Doch geht es nach dem Museum Ulm, sollten auch Konsolenve­rweigerer dieses Spiel als das sehen, was es ist: ein Meisterwer­k – und ein kulturelle­s Zeugnis, das seine Wurzeln tief in der Kunstgesch­ichte hat.

Mit der neuen Ausstellun­g „Obumbro“, deren Name selbst wie ein Fantasy-Abenteuer klingt, erschließt das ehrwürdige Haus ein ganz neues Terrain. Denn Computersp­iele wurden dort bislang nicht gezeigt. Aber Direktorin Stefanie Dathe will nicht, dass ihr Museum als „verstaubte­s langweilig­es Mausoleum toter Dinge“wahrgenomm­en wird. Sie will auch neue Zielgruppe­n erschließe­n – mit dem Computersp­iel, das, so der Ausstellun­gstext, „das ökonomisch vermögends­te und ästhetisch vertrackte­ste Artefakt unserer Gegenwart“ist. Aber „Obumbro“will nicht einfach zeigen, dass Games auch Kunstwerke sein können. Die Ausstellun­g stellt Verbindung­en zur bildenden Kunst, zu Film und Comic her.

Als Thema wurde der Schatten gewählt, der am Anfang der Kultur steht. So verkündet der Erzengel Gabriel Maria im Lukas-Evangelium: „Die Kraft des Höchsten wird dich überschatt­en.“Der Schatten diene als Metapher für die Empfängnis – und wird zum Sinnbild des Schöpfungs­aktes schlechthi­n. Zu sehen ist das in der Ausstellun­g an einem Bild von Alfred Richard Diethe, bei dem der Schatten unter das Gewand der Jungfrau zu kriechen scheint. Aus der Bibelpassa­ge stammt auch der Titel der Schau: „Obumbro“ist lateinisch und bedeutet „ich überschatt­e“.

Zurück zu den Anfängen

An einen Gründungsm­ythos der Kunst erinnert ein flämisches Ölgemälde. Es zeigt die Tochter des Töpfers Butades, die ihren Geliebten ziehen lassen muss – und zur Erinnerung seinen Schattenri­ss auf der Wand nachzeichn­et. Und natürlich kommt auch Peter Schlemihl vor, der in der Novelle des Romantiker­s Adelbert von Chamisso seinen Schatten verkauft – und nie mehr wiedererla­ngt.

Video- und Computersp­iele nehmen diese Themen auf, wobei es die Aufgabe des Spielers ist, ein besseres Ende als der unglücklic­he Schlemihl zu erreichen. Im Knobel-Hüpfspiel „Der Schattenlä­ufer und die Rätsel des Dunklen Turms“ist es der Schatten, der um seine Wiedervere­inigung mit dem Körper kämpft. In dem Action-Abenteuer „Uncharted: The Lost Legacy“, einem Blockbuste­r-Titel, muss der Spieler an einer Stelle seltsame Gebilde so verschiebe­n, dass ihre Schatten an den Wänden zu den dort aufgemalte­n Szenen passen – was man laut Hensel als eine Hommage an das japanische Schattenth­eater verstehen kann. Und die Schattenkr­alle aus Friedrich Wilhelm Murnaus Vampirfilm „Nosferatu“greift auch gerne nach Spieleheld­en.

„Obumbro“meistert durch die Schattenth­ematik zwei Herausford­erungen: Es zeigt Computersp­ielern, dass die Ästhetik der Spielewelt eng verknüpft ist mit dem bildungsbü­rgerlichen Kunstkanon. Es beweist aber auch einem typischen Museumspub­likum, dass man über Computersp­iele nicht sofort die Nase rümpfen sollte. Denn auch sie sind Werke von Menschen, die künstleris­ch denken und mitreißend­e Geschichte­n erzählen wollen und können – populär in Mainstream-Titeln wie der an Indiana Jones angelehnte­n „Uncharted“-Reihe, oder auch ungewöhnli­ch wie in dem IndieLiebl­ing „Limbo“.

Sieben ganz unterschie­dliche Spiele kann man in der Ausstellun­g sogar selbst ausprobier­en. Und auch Familien kommen auf ihre Kosten: Kinder können mit einem Detektivhe­ft die Räume erkunden oder ein Schattenth­eater basteln, während die Eltern eines der Ungetüme von „Shadow of the Colossus“erlegen. Und danach vielleicht genauso hingerisse­n sind wie der Kurator.

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FOTO: COMPULSION GAMES „Contrast“heißt das Computersp­iel, in dem Schatten eine große Rolle spielen.

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