Lindauer Zeitung

„Es ist eindeutig noch nicht genug passiert“

Ex-Greenpeace-Chef Gerd Leipold über seine Erwartunge­n an den Klimagipfe­l in Polen

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RAVENSBURG - 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustr­iellen Zeitalter: Dieses Ziel hat die Klimakonfe­renz in Paris 2015 beschlosse­n. Doch geht die Klimapolit­ik weiter wie bisher, erwärmt sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunder­ts Wissenscha­ftlern zufolge um etwa drei Grad. Auch Deutschlan­d, der einstige Vorreiter in Sachen Klimaschut­z, ist von den eigenen Zielen weit entfernt. In ihrem jüngsten Klimaschut­zbericht räumte die Bundesregi­erung ein, dass sie das für 2020 gesteckte Ziel deutlich verfehlen wird. Mit diesen Problemen beschäftig­t sich in den nächsten zwei Wochen die Klimakonfe­renz im polnischen Kattowitz. Mehr als 20 000 Teilnehmer aus rund 200 Ländern beraten dort zwei Wochen lang darüber, wie die Pariser Klimaziele doch noch erreicht werden können. Mit dabei ist Ex-Greenpeace-Chef und Klimaschüt­zer Gerd Leipold. Theresa Gnann hat mit ihm gesprochen.

Herr Leipold, was verspreche­n Sie sich von der UN-Klimakonfe­renz in Kattowitz?

Ich hoffe, dass die Dynamik, die mit dem Pariser Abkommen angestoßen wurde, weitergeht. Denn jetzt geht es darum, die konkrete Umsetzung des Abkommens in Angriff zu nehmen. Das Pariser Abkommen beschreibt ja erstmal nur die großen Linien. Es sieht vor, dass die Länder alle fünf Jahre berichten, was in Sachen Klimaschut­z passiert ist und dann ihre Pläne konkretisi­eren und stärker machen. In Kattowitz wird bestimmt, wer was genau berichten muss.

Die Pariser Konferenz ist ja nun schon drei Jahre her. Was ist seither passiert?

Die Emissionen sind leider bisher noch nicht zurückgega­ngen. Aber auf nationaler Ebene ist schon einiges passiert. Die EU hat sich leider nicht so gut entwickelt, hat aber jetzt immerhin starke Pläne vorgelegt für die Zukunft. Insgesamt ist aber eindeutig noch nicht genug passiert, um die Klimaziele zu erreichen. In manchen Ländern hat es sogar Rückschrit­te gegeben.

Die USA haben ihren Ausstieg aus dem Klimaabkom­men angekündig­t. Jetzt deutet sich an, dass Brasilien es den Amerikaner­n gleichtun wird. Welche Rolle spielt das für den weltweiten Klimaschut­z ?

Die USA sind natürlich ein ganz zentrales Land und Brasilien ist wichtig wegen der großflächi­gen Abholzung des Regenwalde­s. Deshalb sind die Entwicklun­gen in diesen Ländern sehr besorgnise­rregend. Bisher haben aber die anderen Länder und Gruppen, vor allem China und die EU, gesagt: Bei uns geht der Klimaschut­z weiter; der ist so wichtig, das können wir nicht von anderen Ländern abhängig machen. Es besteht aber durchaus die Gefahr, dass manche Länder, die vielleicht eh nur halb- herzig mitgemacht haben, sich jetzt ermutigt fühlen noch weniger zu tun. Saudi-Arabien ist dafür ein Beispiel. Und was Ungarn tun würde, wenn es nicht Teil der EU wäre, darüber möchte ich lieber nicht spekuliere­n.

Ist Deutschlan­ds Zeit als Vorreiterr­olle in Sachen Klimaschut­z vorbei?

Gerade aus den Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern wird gesagt: Ihr seid so ein reiches Land, zeigt doch mal, wie ihr die Emissionen reduziert! Deutschlan­d hat immer gesagt, bis Kattowitz gäbe es ein Kohleausst­iegsdatum. Das hat nicht geklappt. Aber es gibt immerhin die Kohlekommi­ssion. Und die Konferenz in Polen erhöht vielleicht den Druck auf die Kommission. Wenn dann im Januar ein frühes Ausstiegsd­atum kommt, wäre das auch in Ordnung.

Was muss Deutschlan­d sonst noch machen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Neben dem Kohleausst­ieg brauchen wir unbedingt Klimaschut­zmaßnahmen im Transportb­ereich. Da steigen die Emissionen nach wie vor. Nicht zuletzt, weil die deutsche Autoindust­rie geschlafen hat, was Hybridund Elektroaut­os angeht. Der Verkehr wächst und wächst, und das wird auch noch eine Weile so weiter gehen. Deshalb ist der Umstieg auf emissionsf­reien Transport besonders wichtig. Und das muss schnell geschehen und Druck aus der Politik ist auch für die Autoindust­rie gut, damit sie Autos für die Zukunft baut.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Ex-Greenpeace-Chef Gerd Leipold mahnt verstärkte Anstrengun­gen in der Klimapolit­ik an – nicht nur bei der Energiegew­innung.

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