Objektophiliephobieintoleranz
Sechs Poeten slammen im Club Vaudeville um die Wette
LINDAU - Ziemlich ausgeglichen, was die Qualität betrifft, gleichzeitig sehr unterschiedlich, was Themen, Ernsthaftigkeit, Humor oder Lyrik anbelangt, haben viele Freunde des Poetry-Slams im Club Vaudeville die sechs Teilnehmer erlebt. Nach über einem Jahr hat also dieses Format in Lindau wieder ein Gastspiel geben können.
Auslöser war wohl ein Kommunikationsproblem der Vorarlberger Slammer mit der Kammgarnhalle in Hard, wo regelmäßig Poetry-Slams stattfinden. Für die Lindauer Freunde moderner Literatur auf diese Art absolut von Vorteil, für die Moderatoren des Abends, Katy Bayer und Mathias Witschuinig, eine angenehme Überraschung, denn mit so vielen Zuhörern hatten sie wohl nicht gerechnet. Unter diesen waren viele, die schon den einen oder anderen Poetry-Slam erlebt hatten und daher die Regeln kannten, also Beifall oder Unmutsbekundungen, wenn die offene Jurybewertung zu schlecht sein sollte. Zwei Runden durften die Kandidatin und ihre fünf Mitbewerber um den ersten Platz absolvieren. Den Gewinner erwartete neben Ruhm und Ehre auch ein Sortiment an Gin.
Zwei Runden, das macht absolut Sinn, so besteht die Möglichkeit, nicht nur flapsige humorvolle, oder böse sarkastische oder lyrisch nachdenkliche Texte zum Besten zu geben, sondern jeweils auch eine andere Seite des eigenen Schreibens aufzudecken, was einige Kandidaten auch nutzten. So beispielsweise Michael Göhre, nach eigenen Angaben aus Essen kommend, wo er seit vier Jahren lebt, da die ständigen Anzweiflungen, dass es seine Heimatstadt doch gar nicht gäbe, auf Dauer nervten. Dass hier von Bielefeld die Rede ist, braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden.
Medizinbälle sollen wehtun
Göhre brannte in der ersten Runde als Starter ein wahres Feuerwerk ab. In schnellem Tempo ging es von den Problemen, die er als Linkshänder offensichtlich hat, so ein eindeutig anzüglicher Anruf vermeintlich bei der Freundin, der aber bei seiner Mutter landet, weil er die falsche Taste gedrückt hatte, hin zu neuen Wortkreationen wie „Objektophilie“, bei der jemand eine innige Beziehung zu einem Stromverteilerkasten entwickelt. Diese Objektophilie wächst weiter bis hin zur Objektophiliephobieintoleranz.
Ganz anders dann in der zweiten Runde, in der der Neu-Essener einen flammenden Text vortrug mit dem Titel „Völkerball“, in dessen Spielverlauf alles reingepackt ist, was den Westfalen in politischer Hinsicht bewegt, mit einem kurzen, trockenen verbalen Schlag die rechte Szene niederstreckt und ein Plädoyer für Europa raushaut, im gleichen Tempo wie schon beim ersten Beitrag. Langsam geht nicht, entspricht ihm nicht, trotzdem, die Botschaft und der Rhythmus der Texte kommen gut rüber, beim Völkerball schlägt er schließlich vor, jeder soll einen Ball bekommen, der richtig wehtut, also einen Medizinball, und damit die „Hater“– die Hasserfüllten – bewerfen. Das brachte ihm in Runde zwei die Höchstpunktzahl 40 ein, die 35 Punkte aus der Vorrunde sicherten ihm damit mit einem halben Punkt Vorsprung den ersten Platz.
Ihm dicht auf den Fersen war Chriss Lyesann aus Brandenburg, der mit seinen Auftritten längst nicht so schnell seine Verse hämmerte, aber vielleicht die komplexesten Versmaße präsentierte, die gleichzeitig sehr abstruse Lebensmomente aufzeichneten. Er wandte sich gegen Verallgemeinerung, so sei nicht jeder bei Pegida ein Nazi, genauso wenig wie jeder Ausländer ein Verbrecher sei. Auch er kritisierte in einem Rundumschlag Krieg, Konzerne wie Nestlé, Rüstungsindustrie, die Börse und den Kapitalismus an sich und vor allem den Egoismus derer, die dort an den Schalthebeln sitzen.
Abstruse Bilder mit Tiefgang
Die Umstände und Gründe, bei einem Poetry-Slam mitzumachen, hatte der jüngste Teilnehmer, Nano Miratus aus Wien, originell aufbereitet. Auch er bewegte sich in rhythmischen Versen immer wieder mit trockenem Humor. Dafür gab es Platz drei. Gefolgt vom Berner Remo Rickenbach, der sich, wie alle Teilnehmer des Abends, beim zweiten Auftritt deutlich steigerte und mehr Punkte sammelte. Rickenbach stellte sich als Vertreter eines schrägen Humors vor, der trotz abstruser Bilder durchaus Tiefgang einbaut. Der ging beim zweiten Auftritt etwas unter, da die Zuhörer mitmachen durften/ mussten, und je nach dem wo sie saßen „auf“oder „ab“brüllen mussten. Zur Erheiterung aller und der erstaunlichen Erkenntnis, wo überall diese Silben eingebaut sein können.
Gleichauf in den Punkten, aber völlig unterschiedlich mit Inhalt und Vortrag schließlich die einzige Frau des Abends, Pauline Füg aus Fürth, die laut eigener Aussage nur nach Fürth gezogen war, um ihren Namen auf dem Autokennzeichen wiederfinden zu können. Füg ist eine Vertreterin der leiseren, lyrisch nachdenklichen Töne, bar jeder sexueller Anspielungen oder Bilder, obwohl der Zauberer bei ihr Kokain braucht. Mit viel Tiefgang auch ihr erster Auftritt „Die Welt ist ein Nachtfalter“.
Ganz anders der Lokalmatador aus dem Allgäu, Jay-Man, der seinen Heimvorteil aber nicht nutzen konnte. Weder bei seiner Beschreibung, wie er bei „Herzblatt“beinahe „meine Alte abbekommen hätte“, noch bei seinem tierisch gehaltenen zweiten Text, in den er mit viel Wortwitz um die 273 Tiere eingebaut hatte.
Auch wenn es auf der Bühne des Lindauer Club Vaudevilles nur einen Sieger gab, der Abend war auf jeden Fall ein Gewinn für die Zuhörer, denn Langeweile konnte bei dieser Mischung nicht einmal ansatzweise aufkommen.