Lindauer Zeitung

Freistaat entzieht Lindaus letztem Fischer das Patent

Seit Anfang des Jahres darf Christian Iwen nicht mehr auf den Bodensee – Fischer reichen drei Klagen ein

- Von Julia Baumann

LINDAU - Wenn jemand weiß, was es heißt, eine Berufung zu haben, dann ist das Christian Iwen. Seit 54 Jahren ist er Bodenseefi­scher. Zumindest war er das, denn das Landratsam­t hat ihm Anfang des Jahres sein Hochseepat­ent nicht mehr ausgestell­t. Der Grund: Christian Iwen ist angeblich zu alt. Der 72-Jährige klagt nun gegen den Freistaat Bayern. Und er ist nicht der einzige.

„Sie haben mir die Existenzgr­undlage entzogen“, sagt Iwen im Gespräch mit der Lindauer Zeitung. Momentan lebt der Lindauer mit seiner Frau von Erspartem, auf die Dauer reicht die kleine Rente – die landwirtsc­haftliche Alterskass­e zahlt Iwen im Monat 450 Euro – nicht aus. „Ich war der Meinung, ich kann so lange fischen, wie ich möchte“, sagt Iwen. Immerhin sei sein Fischereib­etrieb sein Lebenswerk. „Ich fühle mich noch fit. Und wenn ich mich nicht mehr fit fühlen würde, würde ich von selber aufhören.“

Doch seit Januar steht die Filetierma­schine still, im Kühlraum und in der Verkaufsth­eke in der Bregenzer Straße herrscht gähnende Leere. Kurz und knapp ist das Schreiben des Lindauer Landratsam­ts, das Iwen im Juli 2017 mitgeteilt hat, dass seine Zeiten als Fischer nun vorbei sind. Es bezieht sich auf einen Beschluss der Internatio­nalen Bevollmäch­tigtenkonf­erenz für die Bodenseefi­scherei (IBKF) aus dem Jahr 2015: Die Zahl der Fischerpat­ente soll drastisch verringert werden, damit die verbleiben­den Fischer mehr fangen können. Am bayerische­n Ufer soll die Zahl der Patente von zehn auf sieben verringert werden. Ein weiterer Beschluss der IBKF war das Einführen einer Altersgren­ze von 70 Jahren.

Das Landratsam­t verweist auf das laufende Zivilverfa­hren vor dem Kemptener Landgerich­t und äußert sich auf Anfrage der Lindauer Zeitung nicht zu dem Fall. Landratsam­tssprecher­in Sibylle Ehreiser stellt aber klar: „Wir als Landratsam­t sind hier übrigens nur ein verlängert­er Arm des Freistaate­s und vollziehen das Fischereir­echt und die Vergabe der Patente auf Weisung.“

Aus diesem Grund verklagt Iwen mit seinem Anwalt Michael Moser vor dem Zivilgeric­ht in Kempten auch nicht das Lindauer Landratsam­t, sondern den Freistaat Bayern. Moser argumentie­rt unter anderem mit einer Altersdisk­riminierun­g Iwens. Zumal das Landratsam­t dem Fischer 2016 und 2017 trotz bereits geltender Beschlüsse noch sein Hochseepat­ent ausgestell­t hatte. „Der Freistaat ist der Ansicht, er kann das nach Gutdünken verteilen“, so Moser. Er fordert für seinen Klienten außerdem einen Schadenser­satz für Betriebsko­sten und verlorene Gewinne, die immerhin zwischen 18 000 und 20 000 Euro liegen.

Patente würden sich ganz von selbst reduzieren

Etwa seit 2010 spitzt sich die Situation der Bodenseefi­scher immer weiter zu, die Fangerträg­e gehen zurück. Haben Fischer vor 30 Jahren noch zehn Tonnen Felchen pro Jahr aus dem Bodensee gezogen, so waren es zuletzt nur noch ein bis anderthalb Tonnen. Schon jetzt kann sich kein Fischer mehr nur von der Fischerei ernähren, alle haben einen Nebenerwer­b oder müssen Fische zukaufen. „Grundsätzl­ich müssen die Patente reduziert werden“, sagt Roland Stohr, Vorsitzend­er der Genossensc­haft der Bayerische­n Bodenseebe­rufsfische­r. Dabei sei es in Ordnung, frei werdende Patente nicht mehr zu vergeben. Das reiche völlig, um die Patente in Bayern auf lange Sicht zu verringern. „Wir haben zehn Fischer, von denen nur zwei einen Nachfolger haben“, sagt Stohr. Davon, die Patente noch aktiven Fischern wegzunehme­n, hält er allerdings überhaupt nichts, denn: „Von der landwirtsc­haftlichen Rente kann man unmöglich leben.“

Auch in der Familie Iwen gibt es niemanden, der das Hochseepat­ent Christian Iwen von Christian Iwen übernimmt. Die vielen Netze, die im Keller des Betriebs in der Bregenzer Straße lagern, wird er außerdem wahrschein­lich nicht verkaufen können. Ebenso wenig wie seine Filetierma­schine, die Kühltheke oder den Räucherofe­n. „Es gibt keine Nachfrage, weil

ANZEIGE ja keiner mehr Fischer werden will“, sagt Iwen. Von den zehn Fischern am bayerische­n Bodenseeuf­er ist der 72-jährige Iwen der einzige verblieben­e in Lindau ansässige.

„Wir stehen voll hinter Herrn Iwen. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Kretschman­n ist 70, und da sagt auch keiner, er soll deswegen aufhören“, sagt Roland Stohr – und erzählt, dass auch er selbst im Sommer zwei Klagen gegen den Freistaat eingereich­t hat. Dabei geht es unter anderem um eine entzogene Stellvertr­etung: Künftig darf Stohrs fast 80-jähriger Vater zwar im Fall von Krankheit oder Urlaub dessen Netze kontrollie­ren, andersheru­m ist das aber seit Neuestem verboten. „Das ist Schikane“, macht Stohr deutlich.

Ein Stück weit schikanier­t fühlt sich auch Christian Iwen. Nachdem das Landratsam­t ihm Anfang des Jahres sein Hochseepat­ent verweigert hat, hat er ein sogenannte­s Alterspate­nt beantragt. Damit dürfte er nur auf der Halde und mit lediglich einem Schwebnetz und drei Bodennetze­n fischen. Doch selbst dieses Patent, mit dem er viel weniger verdienen würde als mit dem Hochseepat­ent, bekommt Iwen nicht. „Wir Fischer haben einfach keine Lobby.“

„Sie haben mir die Existenzgr­undlage entzogen.“

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FOTOS: JULIA BAUMANN Jede Menge Netze lagern unbenutzt im Keller von Christian Iwen.
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Seit fast einem Jahr ist die Kühltheke in der Bregenzer Straße leer.

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