„Mich wundert’s heute noch, dass ich das überlebt habe“
Amtsgericht verurteilt zwei junge Männer wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu Geldstrafen und Führerscheinentzug
FRIEDRICHSHAFEN/TETTNANG Es ist ein aufsehenerregender Unfall gewesen, der sich kurz vor Mitternacht am 28. April dieses Jahres in der Mühlöschstraße in Friedrichshafen ereignet hat, bei dem ein Motorradfahrer wie durch ein Wunder mit dem Leben davon kam. Von einem illegalen Straßenrennen war die Rede – nun hat das Amtsgericht in Tettnang die beiden jungen Fahrer wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu Geldstrafen und Führerscheinentzug verurteilt.
„Wir ziehen das heute durch“, hatte Richter Martin Hussels bereits am Morgen angekündigt – und hielt Wort. Nach mehr als acht Stunden Hauptverhandlung stand das Urteil endlich fest. Dazwischen stand eine teils langwierige Beweisaufnahme, da sich die beiden Angeklagten – 18 und 21 Jahre alt zunächst zur Sache nicht äußern wollten und gleich mehrere Zeugen nicht erschienen waren. Die beiden hatten sich an jenem Samstagabend auf dem Hafenparkplatz getroffen – der 21-Jährige hatte sich kurz zuvor einen neuen BMW mit 670 PS zugelegt. Da man sich jedoch nur flüchtig kannte, ging man schnell wieder getrennte Wege.
„Wir wollten dann Burger essen“, berichtete ein Zeuge, der eigentlich Angaben zum strittigen Unfallhergang machen sollte. Doch da klafften – wie übrigens bei anderen Geladenen im Zeugenstand auch – große Erinnerungslücken. „Ich habe Sie nicht eingeladen, um mich mit Ihnen über Ihre Burgervorlieben zu unterhalten“, wurde Richter Hussels ungeduldig – doch es half nichts. Zu widersprüchlich blieben die Aussagen des jungen Mannes gegenüber dem, was er gegenüber der Polizei angegeben hatte.
„Der Erste ist mir ins Vorderrad gefahren, der Zweite in den Auspuff – und dann bin ich da auf einmal durch die Luft geflogen“, erinnerte sich dagegen der Motorradfahrer an den Moment den Aufpralls. Er hatte soeben seine Freundin heimgefahren und wollte von der Mühlöschstraße nach links in die Beethovenstraße einbiegen, als ihn der SUV des 18Jährigen und schließlich der getunte BMW des 21-Jährigen von hinten erfassten. „Mich wundert’s heute noch, dass ich das überlebt habe.“Ausschließlich Prellungen erlitt der Motorradfahrer – und einen Schock. Dieser erklärte jedoch nicht, weshalb auch er am Montag widersprüchliche Angaben gegenüber denen bei der Polizei machte. Da hatte er seinerzeit noch von „lauten, aufheulenden Motorgeräuschen“und einem „illegalen Straßenrennen“gesprochen, weshalb er mit seinem Motorrad „freie Bahn schaffen wollte“, wie der Richter ihm vorhielt. „Das ist Blödsinn, das habe ich bestimmt nicht gesagt“, so der Geschädigte – und wollte von einem illegalen Straßenrennen am Montag nichts mehr wissen. „Aber sowas schwätzt man doch nicht einfach daher“, warf Richter Martin Hussels ein, jedoch ohne Erfolg.
Nach der Mittagspause dann kam mehr Licht ins Dunkel – wenn auch nur ein bisschen. Der jüngere der beiden Angeklagten, ein Student, der zum Tatzeitpunkt gerade mal sieben Wochen seinen Führerschein hatte, berichtete dem Gericht nun doch über den besagten Abend. So sei man vom Hafenparkplatz schließlich in Richtung Mühlöschstraße gefahren, um im Bodensee Center einen Burger zu sich zu nehmen. Etwa kurz vor dem ZF Forum sei ihm ein BMW im Rückspiegel aufgefallen – wohl aber nicht, dass es sich dabei um den zweiten Angeklagten handelte, dafür hätten die Scheinwerfer zu sehr geblendet. „Wir waren zu fünft im Auto, haben geredet und Musik gehört“, schilderte der Fahranfänger die Situation. Der BMW sei immer dichter auf seine Stoßstange aufgefahren, sodass er Angst um das erst zehn Tage alte Auto seiner Eltern gehabt habe. „Ich bin dann immer schneller gefahren“, räumte der 18-Jährige ein, der schließlich in der Mühlöschstraße die Geduld verlor und auf die linke Spur wechselte, um den drängelnden BMW vorbeizulassen. Seine Freunde hätten ihn noch gewarnt: „Pass auf, ein Motorradfahrer“– doch da sei es schon zu spät gewesen. „Das war ein Bruchteil einer Sekunde - ich habe den wirklich nicht gesehen“, so der junge Mann, der durch die Gespräche, die Musik und das ständige in den Rückspiegelschauen überfordert gewesen sei.
„Aber sind Sie nicht auf eine andere Idee gekommen, diesen Vorgang zu beenden“, hakte Richter Hussels nach. „Diese Frage habe ich mir auch so oft gestellt – ich kann es Ihnen nicht beantworten.“Beide Angeklagten hatten sich allerdings gleich nach dem Aufprall um den verletzten Motorradfahrer gekümmert, beide waren wenige Tage später bei ihm, um sich persönlich zu entschuldigen. Und auch in der Verhandlung war ihnen die Erleichterung, dass bei allem nichts Schlimmeres passiert war, noch immer anzumerken.
Unklar blieb bis zuletzt, ob nicht auch der BMW auf die linke Spur gefahren war - statt auf der rechten vorbeizuziehen. Hierzu machte der Gutachter am späten Nachmittag Ausführungen, der anhand der Schäden und Unfallspuren den Hergang rekonstruierte. Demnach waren alle drei – Motorradfahrer, SUV und BMW – auf die linke Spur gewechselt, bevor es zu der Kollision kam. Anhand der Spurenlage könne er ausdrücklich ausschließen, dass der BMW nicht, wie behauptet – rechts gefahren sei. Beide Fahrzeuge seien zwischen 63 und 69 Stundenkilometer schnell gewesen.
Richter Hussels verurteilte den 18-Jährigen schließlich nach Erwachsenenstrafrecht, weil es sich nicht um einen „jugendtypischen“, sondern aus Sicht des Gerichts um einen „fahranfängertypischen“Fehler gehandelt habe. Wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung muss der junge Mann 45 Tagessätze zu 15 Euro zahlen, seinen Führerschein für weitere acht Monate abgeben und die Kosten der Verhandlung übernehmen. Der 21-Jährige wurde dagegen nur wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung verurteilt – er habe „nicht den Hauch eines Blickes gehabt“, um zu schauen, was vor ihm passiere. Mit anderen Worten: Den Motorradfahrer habe dieser nicht sehen können. Der Angeklagte muss nun 45 Tagessätze zu 20 Euro zahlen, ebenfalls seinen Führerschein für weitere acht Monate abgeben und die Gerichtskosten tragen. Beiden jungen Männer kam neben ihrer Entschuldigung auch zugute, dass keiner der beiden über Vorstrafen verfügt und beide mit beiden Beinen fest im Leben stehen.