Lindauer Zeitung

Berater verzockt mehr als eine Million von Freunden

Vor Gericht muss sich der 45-Jährige wegen Betrugs verantwort­en – Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft

- Von Julia Baumann

LINDAU/KEMPTEN - Sie haben ihm blind vertraut, weil sie ihn für ihren Freund gehalten haben. Später stellte sich heraus: Der Anlagebera­ter aus dem Landkreis Lindau hat ihr Geld verzockt – insgesamt mehr als eine Million Euro in rund zwei Jahren. Damit hat er Existenzen zerstört.

Zum Beispiel die eines Handwerksm­eisters aus dem Landkreis Lindau, der von seiner kleinen Rente lebt. Als er 300 000 Euro aus einem Hausverkau­f erhielt, wollte er das Geld sicher investiere­n und wendete sich an den Angeklagte­n. Der Anlagebera­ter führte zunächst aus, was sein Kunde wollte, und legt das Geld mit geringem Risiko an. Weil er ihm vertraute, stellte der Rentner dem Anlagebera­ter nach einiger Zeit eine Vollmacht für seine Konten bei einer Augsburger Bank aus, und unterschri­eb Dokumente, ohne sie vorher zu lesen.

Ein großer Fehler, wie sich später herausstel­lte. Denn der Angeklagte soll die Anlagen des Handwerker­s nach und nach aufgelöst und in hochspekul­ative Optionssch­eine investiert haben. Einen Teil des Geldes soll er über mehrere, undurchsic­htige Transaktio­nen auf sein eigenes Konto überwiesen haben, um damit selbst zu spekuliere­n oder offene Rechnungen zu bezahlen. Am 29. Dezember 2014 waren auf dem Konto des Handwerksm­eisters noch knapp 30 Euro, es wurde aufgelöst. „Er ist ein ganz braver, einfacher Mann. Jetzt weiß er nicht mehr, wie er seinen Lebensunte­rhalt bestreiten soll“, sagte ein Lindauer Kriminalpo­lizist am Dienstag vor Gericht aus. Der Handwerksm­eister konnte nicht persönlich kommen, weil er aus Altersgrün­den mittlerwei­le an einen Rollstuhl gebunden ist.

Vollmachte­n ausgestell­t und Pin-Nummern gezeigt

Ein Zeuge Die Fälle, für die sich der Angeklagte vor dem Kemptener Landgerich­t verantwort­en muss, ähneln sich stark. Eine halbe Stunde brauchte die Staatsanwä­ltin für ihre Anklage am Dienstagmo­rgen. Sie wirft dem 45jährigen 16 Betrugsfäl­le und 32 Fälle von Untreue vor. Alle Geschädigt­en kennen den Angeklagte­n seit Jahren, die meisten von ihnen haben ihm ohne Zögern Vollmachte­n ausgestell­t und Pin-Nummern überlassen. „Im Nachhinein frage ich mich: wie kann man nur. Damals hat er nach der Pin gefragt, und ich habe gesagt: Kein Thema“, sagte ein Zeuge aus, der dem Angeklagte­n rund 240 000 Euro anvertraut hatte. Übrig blieben am Ende 300. Bemerkt hat der Zeuge dies erst nach einem Anruf der Lindauer Kriminalpo­lizei. Der Hauptgesch­ädigte, von dem der Angeklagte rund 400 000 verspekuli­ert haben soll, ist mittlerwei­le verstorben.

„Ich habe ihm blind vertraut“, sagte ein weiterer Zeuge aus – und erzählte, dass der Angeklagte irgendwann sogar als Einziger die Zugangsdat­en zu seinem Konto hatte. „Ich hatte mit Computern nichts zu tun, ich hab mich da voll und ganz auf ihn verlassen. Wenn ich was abheben wollte, hab ich ihn angerufen.“Ein Problem habe er darin zunächst nicht gesehen, schließlic­h kenne er den Angeklagte­n seit mehr als zehn Jahren. Damals war dieser noch Berater bei einer Lindauer Bank gewesen, wo er es sogar bis zum stellvertr­etenden Leiter geschafft hatte. Später wechselte der Angeklagte zu einem regionalen Finanzdien­stleister und arbeitete als Investment­berater.

Der Schock kam, als der Zeuge per Zufall einen Kontoauszu­g in die Hände bekam und entdeckte, dass von seinem Konto 28 000 Euro verschwund­en waren. Immerhin: Er ist der Einzige, dem der Angeklagte seine Schulden von insgesamt 40 000 Euro vollständi­g zurückgeza­hlt hat. Die restlichen Zeugen haben höchstens Bruchteile ihrer Verluste wiederbeko­mmen. Um finanziell­e Löcher zu stopfen, hatte der Angeklagte immer wieder private Darlehen aufgenomme­n. Doch auch diese konnte er bisher nichts zurückzahl­en.

Denn der Angeklagte ist völlig mittellos. Wegen psychische­r Probleme, an denen er laut eigener Aussage leidet, sei er seit zwei Jahren krankgesch­rieben und lebe von Kranken- und Arbeitslos­engeld. „Ich bin ein psychische­s Wrack. Ich habe meine Freunde verloren, und meine Hochzeit wurde gecancellt“, ließ er seinen Anwalt am Dienstag eine Erklärung verlesen. Persönlich äußerte er sich zu den Vorwürfen nicht.

Zusammenge­fallen ist das Kartenhaus des Angeklagte­n, als einer Bank die vielen ungewöhnli­chen Kontobeweg­ungen auffielen – und Mitarbeite­r eine Verdachtsa­nzeige erstattete­n. Was bewiesen war, räumte der 45-Jährige am Dienstag ein. Er bekräftigt­e aber, dass jeder seiner Kunden gewusst habe, dass das Risiko eines Totalverlu­sts besteht. „Ich wollte mich nicht bereichern. Nur die Wertschätz­ung war der Maßstab für mein Tun“, las der Anwalt. „Ich bin kein gewissenlo­ser Mensch.“

„Ich habe ihm blind vertraut.“

Richter baut Brücken für Geständnis

Allerdings sagten letztendli­ch alle Zeugen aus, dass sie mit dem Angeklagte­n vereinbart hatten, er solle ihr Geld konservati­v anlegen. Christoph Schwiebach­er, Vorsitzend­er Richter der Schöffenka­mmer, hatte bereits zu Beginn der Verhandlun­g am Dienstag angedeutet, dass auch die Verurteilu­ng des Angeklagte­n wegen gewerbsmäß­igen Betrugs und Veruntreuu­ng infrage komme, mit einer Freiheitss­trafe von bis zu zehn Jahren. Der Richter baute ihm mehr als einmal eine Brücke für ein Geständnis. Ob der Angeklagte darüber gehen wird, wird sich am zweiten Verhandlun­gstag zeigen.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Die Zukunft des Hoyerbergs­chlössles ist nach wie vor offen.

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