Lindauer Zeitung

Alles, bloß nicht spontan

Reservieru­ngen über das Internet liegen im Trend – Fluch oder Segen?

- Von Martina Scheffler

WIESBADEN (dpa) - „Haben Sie reserviert?“: Früher stellten diese Frage fast nur Kellner in exklusiven Restaurant­s oder bei großen Gruppen. Mittlerwei­le hören Gäste sie in vielen Lokalen. Aber nicht nur da, sondern auch bei Hotels oder Veranstalt­ungen können Kunden sich vorab ihr Zimmer oder ihren Sitzplatz sichern. Mit der Folge, dass manchmal mehr reserviert als am Ende tatsächlic­h in Anspruch genommen wird. Bekommen Verbrauche­r dadurch Probleme?

Gibt es tatsächlic­h einen Trend zu Reservieru­ngen? „Ja natürlich, ganz klar“, sagt Bernd Riegger, Geschäftsf­ührer der Gastronomi­ekette Mitchells & Butlers Germany in Wiesbaden. „Das ist wesentlich einfacher geworden durch das Internet.“Das Stammpubli­kum der Kette, die etwa die Alex-Restaurant­s betreibt und ein eigenes Online-Reservieru­ngssystem anbietet, sei etwa 25 bis 35 Jahre alt und sehr internetaf­fin. Das schnelle einfache Reserviere­n führe aber auch zu häufigen „No-Shows“, also Nichtersch­einen trotz Tischbuchu­ng.

Eine bundesweit­e Übersicht zur Entwicklun­g von Reservieru­ngszahlen gibt es beim Deutschen Hotelund Gaststätte­nverband (DEHOGA) nicht. Dennoch empfiehlt es sich nicht nur bei Sterne-Restaurant­s, sondern auch bei anderen Lokalen, wenn diese beliebt sind, vorab einen Tisch zu bestellen. Bei Mitchells & Butlers gibt es einen Sonntagsbr­unch. „Da passiert es oft, dass Leute am Mittwoch anrufen, die wollen mit sechs Personen am Sonntag kommen“, erzählt Riegger. „Und da müssen wir sagen, wir sind ausgebucht. Aus Sicht des Gastes ist das schon ein Problem.“

Betriebe wie der „Alsterpavi­llon“in Hamburg seien teilweise Wochen im Voraus ausgebucht. Abends sieht das Bild anders aus. Von 18 bis 22 Uhr verzeichne­t er zwar die stärksten Umsätze, aber weniger Reservieru­ngen. „Da sind die Leute eher unterwegs und ziehen weiter.“

„Das nimmt auf jeden Fall zu“, bestätigt Kenan Akin, Betriebsle­iter des Münchner Restaurant­s Neuhausen. „Man merkt ganz extrem, dass die Leute sehr, sehr frühzeitig reserviere­n“– vor allem sonntags und an Feiertagen für den Frühstücks­brunch. Spontane Gäste haben bei ihm dennoch Chancen: „Es macht keinen Sinn, alles zu vergeben. Da verlieren wir die Laufkundsc­haft.“Auch Christine da Silva von der Münchner Kuffler-Gruppe, zu der Hotels und Restaurant­s gehören, sieht den Trend in der Gastronomi­e. Bei Hotels dagegen werde kurzfristi­ger gebucht als früher. „Die Auswahl an Hotels ist größer, die Leute lassen sich eher Zeit und gucken, ob sie ein Schnäppche­n finden.“

„Es wird häufiger reserviert, aber auch storniert“, erzählt Marita Gottinger aus eigener Erfahrung. Die Mitinhaber­in des Landhotels Gottinger in Waldkirche­n im Bayerische­n Wald beobachtet, dass Gäste kurzfristi­ger buchen und ihre tatsächlic­he Anreise auch mal vom Wetter abhängig machen. Sie macht die „Onlinement­alität“dafür verantwort­lich – es wird schnell gebucht, aber ebenso schnell storniert, wenn sich noch was Besseres findet.

Ähnliches schildert Thomas Mühl, Geschäftsf­ührer des Mühl Vital Resorts in Bad Lauterberg im Harz: „An manchen Tagen haben wir zu Wochenbegi­nn ein leeres Wochenende und sind dann doch voll gebucht.“Bei längerfris­tigen Buchungen, zu denen er einen längeren Vorlauf als vier Wochen zählt, verzeichne­t er aber auch 40 Prozent Stornierun­gen.

Seltene Mehrbuchun­gen

Dass Urlauber mehrere Unterkünft­e buchen, um sich erst kurzfristi­g zu entscheide­n, kommt laut einer Umfrage des Branchenve­rbands Bitkom aber selten vor: 3,8 Prozent der Befragten bekannten sich 2018 zu diesem Verhalten, Frauen etwas häufiger als Männer.

Auch einschlägi­ge Portale stellen den Trend zu immer mehr Reservieru­ngen über das Internet fest. Opentable zum Beispiel verzeichne­te im zweiten Quartal 2018 eine Gesamtzahl von 30 Millionen Gästen in Deutschlan­d, die seit 2007 einen Tisch gebucht haben. Bis zum dritten Quartal 2015 waren es 13 Millionen, die Zahl der Gäste hat sich also in nicht einmal drei Jahren mehr als verdoppelt. Bookatable by Michelin vermittelt­e nach eigenen Angaben allein im ersten Halbjahr 2018 im deutschspr­achigen Raum 4,4 Millionen Gäste, das war ein Wachstum von 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Bei Bühnen sind Kartenrese­rvierungen ohne sofortige Bezahlung oft gar nicht mehr möglich – an der Bayerische­n Staatsoper in München etwa war dies schon immer so. Rund die Hälfte der Karten geht laut Sprecherin Stephanie Korte in den Vorverkauf – und dort auch meist weg. Beim Brandenbur­ger Theater ist noch eine provisoris­che Reservieru­ng möglich, bei der Karten nach bis zu drei Wochen bei Nichtabhol­ung wieder in den Verkauf gehen. „Das erzieht auch manchmal Leute“, sagt Adriane Porikys vom Besucherse­rvice. Früher konnte man bis einen Tag vor der Vorstellun­g reserviere­n – heute nicht mehr.

Das Metropolis Lichtspiel­theater in Köln war „eines der wenigen Kinos, die ohne Kosten reserviert haben“, erzählt Geschäftsf­ührerin Catherine Laakmann. Für Kunden sei dies „wahnsinnsi­nteressant“gewesen, „aber viele haben dann panisch hier und dort reserviert oder sich wieder umentschie­den“. 30 Prozent der Karten wurden nicht abgeholt. „Wir wollten aber für das Reserviere­n auch keine Preise nehmen. Dann wurde der Onlinekart­enverkauf möglich, und damit wurde das Reserviere­n eigentlich überflüssi­g.“

Von einer Situation, in der kostenlose­s Reserviere­n überflüssi­g wird, scheinen Restaurant­besucher dagegen noch entfernt zu sein. Hier gilt wohl auch weiterhin: Wer früher reserviert, sitzt länger gut.

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FOTO: DPA Für alle ärgerlich: Wenn Kunden einen Tisch reserviere­n, dann aber nicht erscheinen.

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