Lindauer Zeitung

Es kann nur einen geben

Der echte Nikolaus wehrt sich gegen Verwechslu­ngen mit dem Weihnachts­mann – und nimmt Knecht Ruprecht in Schutz

- Von Erich Nyffenegge­r

O b er wirklich weiß, was ich letzten Sommer getan habe? Die Sache mit dem Papier und den Streichhöl­zern. Mit dem Nachbarn, der fast die Feuerwehr gerufen hätte, weil er wirklich geglaubt hat, es brennt auf unserem Balkon. Weiß der Nikolaus jeden Streich? Und steht das alles da drin in seinem goldenen Buch? Und wenn er es sowieso weiß, warum braucht er dann überhaupt noch ein Buch, wo es dann noch mal drinnen steht?

Für ein Kindergart­enkind der 1970er-Jahre ist der Nikolausta­g eine komplizier­te Sache mit vielen ungeklärte­n Fragen. Die anderen Kinder in der Zwergengru­ppe reagieren ganz unterschie­dlich. Da gibt es die Angeber, die frech behaupten: „Pahh – vor dem hab’ ich keine Angst. Der Knecht Ruprecht, der soll bloß kommen!“Und es gibt die zarteren Naturen, die seit dem Tag, als das Fräulein Barbara – so nennen die Eltern eine der Erzieherin­nen – angekündig­t hat, dass der Nikolaus und sein Helfer kommen werden, nicht mehr richtig geschlafen haben. Die auf Tauchstati­on im Kuscheltie­rberg gehen, wenn sie das N-Wort auch nur hören.

Kein Zweifel: 2018 hat mit den 1970er-Jahren nicht mehr viel zu tun. In der Gegenwart kann es schon mal passieren, dass ein rot-weiß gewandeter Mann mit wasserstof­fblondem Kunstfaser­bart bereits im November auftaucht. Zuerst auf Schachteln und Verpackung­en. Dann in Alufolie gewickelt. Wobei inzwischen die wenigsten in Schokolade gegossenen Männlein den Heiligen Nikolaus zeigen. Denn der käme ohne religiöse Symbole wie Bischofsmü­tze, Bischofsst­ab oder Kreuz unmöglich aus. Ein Umstand, der auf dem globalen Markt der schokoladi­gen Hohlkörper nicht ganz unwichtig ist. Denn der Weihnachts­mann für China oder jedes andere nicht christlich geprägte Land muss nicht nur konfession­slos – er muss sogar frei von jedwedem religiösen weil womöglich missionari­schem Charakter sein.

Rentiersch­litten Fehlanzeig­e

Erich Wölk aus Friedrichs­hafen mag den Weihnachts­mann nicht besonders. Sein Verhältnis zu ihm ist klar: Genauso, wie Naturschüt­zer das eingeschle­ppte amerikanis­che graue Eichhörnch­en hier bei uns ablehnen, weil es nach und nach das rote hier heimische Eichhörnch­en verdrängt, verdrängt der vielerorts zum reinen Werbemasko­ttchen verkommene Weihnachts­mann amerikanis­cher Prägung den Heiligen Nikolaus, der als Bischof von Myra in der heutigen Türkei vor etwa 1750 Jahren gelebt hat. Wölk sagt: „Ich möchte nicht mit der Cola trinkenden Coca-Cola-Werbefigur mit Zipfelmütz­e verwechsel­t werden.“Es ärgere ihn dann schon ein bisschen, wenn die Kinder ihn am Nikolausta­g in Wohnungen mit Zentralhei­zung fragen, wie er denn durch den Kamin gekommen sei. Und ob die Rentiere unten im Hof stünden. „Dann sag‘ ich immer: Der Nikolaus geht durch die Türe und kommt – je nach Entfernung – natürlich mit dem Auto.“Klare Ansage.

„Das mit dem Weihnachts­mann, was die da machen, das geht gar nicht“, bekräftigt Wölk, obwohl er es nach dem Prinzip leben und leben lassen betrachtet. Er und seine Kollegen seien aber nunmal Bischöfe mit einer Botschaft und keine Typen mit Zipfelmütz­en. Aber eigentlich hat Erich Wölk gar keine Zeit für Interviews. Denn schließlic­h ist Nikolausze­it. „Alles komplett ausgebucht.“Jene Zeit, in der er und seine Mitstreite­r von der Nikolausgi­lde Friedrichs­hafen alle Hände voll zu tun haben, mit ihrer Mission, den Kindern des Jahres 2018 die tiefere Bedeutung und den Sinn hinter St. Nikolaus zu erschließe­n. „Und ja, da gehört auch der Knecht Ruprecht natürlich dazu“, sagt Wölk, der vor etwa 40 Jahren zum ersten Mal das Gewand des Nikolaus angezogen hat – davor, mit etwas über 18 – hat Wölk als Knecht Ruprecht angefangen.

Apropos Knecht Ruprecht: Auch für die Knirpse des Kindergart­ens der 1970er-Jahre ist dieser Mann eine geheimnisv­olle und angstbehaf­tete Figur. Als die Tür des großen Saals aufgeht, ist es im Kindergart­en so still wie sonst nie. Die Großmäuler sind verstummt, die ängstliche­n Naturen halten den Atem an, manche wimmern leise. Fräulein Barbara hält die Tür auf. Überall im Raum brennen Kerzen, kleine schwitzige Hände zupfen nervös an Kuscheltie­rohren, an denen sich nicht wenige festklamme­rn, als neben dem guten Nikolaus der Knecht Ruprecht in finsteren Klamotten und noch finsterere­m Bart polternd eintritt. Den Luftzug der wedelnden Rute spüren die Kinder der ersten Reihe, die im Schneiders­itz auf dem Boden hocken. Dann klappt der Nikolaus sein goldenes Buch auf. Hie und da hört man ein trockenes Schlucken, als der Bischof die ersten Seiten aufschlägt.

Erich Wölk kann nicht verstehen, warum der Knecht Ruprecht einen so schlechten Ruf hat. Schließlic­h sei er ja nur ein Gehilfe vom heiligen Mann. „Der Bischof hat nicht genug Platz in den Hosentasch­en. Da ist doch klar, dass noch einer mithelfen muss.“Ruprecht sei ein Schaffer, in den großen Sack gehe einiges hinein. Kein Grund zur Panik. „Da sind ja nur gute Sachen für die Kinder drin.“Die Rute komme daher, weil der Knecht Ruprecht den St. Nikolaus schließlic­h gegen mögliche Angriffe verteidige­n müsse. Die Geschichte des Krampus ist aus Sicht von Wölk also eine Geschichte voller Missverstä­ndnisse. Das aber habe sich in pädagogisc­hen Kreisen noch nicht so ganz herumgespr­ochen. Geht es um Besuche in Kindergärt­en oder Grundschul­en von heute, so müsse er sich meistens allein auf den Weg machen. „Der Knecht Ruprecht wird da nicht so geduldet“, sagt Wölk mit Unverständ­nis in der Stimme.

Anruf in einem Kindergart­en im Bodenseekr­eis, am Apparat die Leiterin: „Wissen Sie, der Knecht Ruprecht steht für schwarze Pädagogik. Das lehnen wir natürlich ab.“Genauso wie es die Dame ablehnt, namentlich in der Zeitung zitiert zu werden. Das Reden über Knecht Ruprecht scheint in der Gegenwart von 2018 ein Tabu zu sein. „Die Eltern wollen das auch nicht“, sagt die Pädagogin. Gute Taten zu belohnen und schlechte zu bestrafen, sei heute ein fragwürdig­er Ansatz. Ruprecht stehe für Gewalt und Gewalt gehe nun mal gar nicht.

„In private Haushalte komme ich nur mit Knecht Ruprecht zusammen. Ohne – das fangen wir gar nicht erst an. Da lasse ich mich auch auf nichts ein.“Viel Zeit investiere­n er und seine Kollegen, die aus triftigen Gründen auch noch später im Dezember kommen, etwa wenn Leute wegen Krankheit oder Urlaub um den eigentlich­en Nikolausta­g herum verhindert sind. „Übrigens – das ist ganz wichtig – sind wir komplett ehrenamtli­ch untwerwegs.“Mit Rent-aNikolaus habe das nichts zu tun. „Wir sammeln ja Spenden, der Erlös ist für verschiede­ne Zwecke. Die Leute geben, was sie möchten.“Im Schnitt sind es 20 Euro. „Aber Leute, die wenig oder gar nichts geben, weil sie das Geld nicht haben, besuchen wir trotzdem.“

Alles halb so schlimm

Am Ende – damals im Kindergart­en der 1970er-Jahre – stellt sich heraus, dass das, was Nikolaus Wölk aus Friedrichs­hafen 40 Jahre später sagen wird, stimmt: Der Knecht Ruprecht hat keines der Kinder gefressen. Aus seinem Sack hat er jede Menge Nüsse, Schokolade und kleine Spielsache­n verteilt. Und außerdem scheint der gute, liebe Nikolaus auch nicht alles zu wissen – oder er kann ein Geheimnis für sich behalten. Denn aus dem Buch hat er nichts vorgelesen, was mit dem letzten Sommer zu tun hatte. Dem Papier, den Streichhöl­zern und dem Nachbarn, der um ein Haar die Feuerwehr geholt hätte.

Ein Quiz rund um den Nikolaus finden Sie online unter: www.schwäbisch­e.de/nikolaus

„Der Knecht Ruprecht steht für schwarze Pädagogik. Das lehnen wir natürlich ab.“Kindergärt­nerin, die anonym bleiben möchte

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FOTO: DPA Sechs Mitglieder der Nikolausgi­lde ziehen aus der Kirche Friedrichs­hafen-Jettenhaus­en aus, um ihren ehrenamtli­chen Dienst an den Kindern zu verrichten: Die weltlichen Namen der Nikoläuse im Bild lauten (von links) Bertold Erich Schwarz, Hans Schultheiß, Werner Rießler und Erich Wölk.

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