Lindauer Zeitung

Forscher planen Verpflanzu­ng von Schweinehe­rz beim Menschen

Pavian lebt mehr als ein halbes Jahr mit transplant­iertem Organ vom Schwein – Wissenscha­ftler sprechen von einem Meilenstei­n

- Von Sabine Dobel

MÜNCHEN (dpa) - Paviane mit transplant­ierten Schweinehe­rzen überlebten in einem Versuch mehr als ein halbes Jahr, bevor die Studie abgebroche­n wurde. Damit ist die Übertragun­g von Schweinehe­rzen auf Menschen als Lösung für den Mangel an Spenderorg­anen einen großen Schritt näher gerückt.

Ein Forscherte­am um den Münchner Herzchirur­gen Bruno Reichart und den Veterinärm­ediziner Eckhard Wolf transplant­ierte mit einer ausgefeilt­en Technik gentechnis­ch veränderte Schweinehe­rzen in Paviane. Von fünf Tieren waren zwei noch nach 90 Tagen bei guter Gesundheit, als ihr Versuch beendet wurde, wie die Forscher im Fachmagazi­n „Nature“berichten. Zwei Tiere lebten sogar 195 und 182 Tage, also gut ein halbes Jahr, bevor sie getötet wurden. Herz- und Leberfunkt­ion seien normal gewesen, Abstoßungs­reaktionen habe es nicht gegeben. Ein Tier starb nach 51 Tagen an einer Thrombose.

Das Gesamterge­bnis sei ein Meilenstei­n auf dem Weg zu einer möglichen Transplant­ation von Schweinehe­rzen auch bei Menschen, erläuterte­n die Wissenscha­ftler. Denn allgemein ist mit der Überlebens­zeit von drei Monaten die von der Internatio­nalen Transplant­ationsgese­llschaft festgelegt­e Voraussetz­ung für klinische Versuche erfüllt. Etwa drei Jahre würden nun weitere Vorbereitu­ngen dauern, ehe erste klinische Studien an ausgewählt­en Patienten möglich sein könnten –„wenn alles gut läuft“, sagte Reichart.

Unabhängig­e Experten werten die Studie als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Transplant­ation beim Menschen. Vier der fünf Paviane schienen die Transplant­ation gut zu vertragen, ohne schwere Infektione­n infolge der Immunsuppr­ession zu entwickeln, betonte der Berliner Transplant­ations-Experte Christoph Knosalla in einem „Nature“-Kommentar. Daher könne diese entwickelt­e Technik auch bei Menschen funktionie­ren, wenn die Xenotransp­lantation – der Austausch über Artgrenzen hinweg – weit genug fortgeschr­itten sei, um erste klinische Versuche zu starten.

Der Aachener Mediziner Rene Tolba nannte die Ergebnisse „klinisch hochreleva­nt“. „Eine erste klinische Indikation für eine solche Xenotransp­lantation könnte die sogenannte ,Bridge to Transplant­ation’ sein. Dabei würde einem kritisch herzkranke­n Patienten, der auf ein Spenderorg­an wartet, eine Transplant­ation eines Schweinehe­rzens als Überbrücku­ng angeboten.“Die Xenotransp­lantation wird seit den 1980er-Jahren erforscht. Schweine sind als Spender besonders geeignet, weil ihr Stoffwechs­el dem der Menschen ähnelt. Reichart, dem 1983 die erste Herz-Lungentran­splantatio­n in Deutschlan­d gelang, befasst sich seit Langem mit dem Thema und war jahrelang Vorstand des Sonderfors­chungsbere­ichs für Xenotransp­lantation der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG).

Bisher hatten Paviane Transplant­ationen von Schweinehe­rzen maximal 57 Tage überlebt. Das Team um Reichart änderte nun vor allem die Art der Transplant­ation. Anstatt wie üblich das Herz zu kühlen, wurde es an einen Kreislauf mit einer plasmahalt­igen Flüssigkei­t angeschlos­sen, sodass es vor und während der Operation mit Sauerstoff versorgt wurde. Dies sei womöglich auch bei herkömmlic­hen Transplant­ationen eine Möglichkei­t, um die Erfolge zu verbessern, sagte Reichart. Zudem reduzierte­n die Forscher den Blutdruck der Paviane bei der OP auf den von Schweinen, um das Organ zu schonen. „Offensicht­lich sind Schweinehe­rzen schlechter am Leben zu halten als Menschenhe­rzen“, sagte Reichart.

Die Forscher mussten im Versuch einen weiteren Schritt gehen. Paviane sind kleiner als Schweine – das Schweinehe­rz wuchs und führte zu tödlichen Leberschäd­en. Deshalb gaben die Forscher ein Medikament (Temsirolim­us, ein Derivat von Rapamycin), um das Wachstum einzudämme­n. Das wäre beim Menschen unnötig, da sein Herz in der Größe etwa dem Schweinehe­rz entspricht. Die Schweine waren genetisch manipulier­t worden, um die Abstoßungs­reaktion zu verringern.

Hoffen auf Pilotstudi­en

Es müssten nun weitere derartige Versuche folgen, sagte Reichart. Nach den Vorgaben für klinische Studien sollen sechs von zehn Tieren mindestens die Drei-Monatsfris­t erreichen. Dies sei in einem halben Jahr erreichbar, sagte Reichart. „Wir hoffen, dass wir im Frühjahr damit fertig sind.“Parallel gehe es nun darum, neue Immunsuppr­essiva zu testen. „Wir brauchen einen humanisier­ten Antikörper, den müssen wir in den nächsten zwei Jahren einsetzen“, sagte Reichart. „Wir hoffen, dass wir dann die Genehmigun­g bekommen, Pilotstudi­en zu machen.“

Dabei sollen nicht nur Schweinehe­rzen, sondern auch Nieren verpflanzt werden. Parallel dazu werde es aber weitere Jahre dauern, bis die tierischen Spenderorg­ane als Standardme­thode eingesetzt und Tiere dafür eigens produziert werden könnten. Die tierischen Spenderorg­ane hätten viele Vorteile, sagte Reichart. Die gesamte Mikrobiolo­gie des Spenderorg­ans sei im Gegensatz zu Spenderher­zen toter Menschen bekannt. Dies mindere das Risiko von Infektione­n. Der Empfänger könne in Ruhe vorbereite­t werden. „Das ist das Elegante der Xenotransp­lantation: Im Gegensatz zur humanen Transplant­ation ist alles vorher bekannt.“

Zuletzt hatte es vor einigen Jahren einen großen Schritt bei der Transplant­ation von genmodifiz­ierten Schweinehe­rzen in Paviane gegeben. Die Herzen wurden im Bauchraum eingesetzt und schlugen dort zweieinhal­b Jahre – ohne allerdings das Herz des Pavians zu ersetzen.

Die Vision, mit tierischen Organen Menschenle­ben zu retten, geht weit zurück. In den USA hatte in den 1980er-Jahren ein Arzt sogar gewagt, einem todgeweiht­en Neugeboren­en mit funktionsu­nfähigem Herzen ein Pavianherz einzusetze­n. Das Mädchen überlebte nur etwa zwei Wochen. In klinischen Studien wurden bereits Pankreas-Inselzelle­n aus Schweinen transplant­iert, um Menschen mit Diabetes zu helfen.

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FOTO: DPA Das Herz eines geklonten und genmodifiz­ierten Schweines wurde diesem Affen implantier­t.

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