Lindauer Zeitung

Kinokunst im Verteidigu­ngskampf

Der herausrage­nde Film „Roma“wird zum trojanisch­en Pferd der Streamingd­ienste

- Von Rüdiger Suchsland

s war ein doppelter Triumph, als im September der Mexikaner Alfonso Cuarón für seinen autobiogra­fischen Film „Roma“bei den Filmfestsp­ielen den Goldenen Löwen gewann. Beobachter feierten den Film, in dem unter anderem Kinder die zentralen Charaktere sind, als ein fernes Echo von Ang Lees Meisterwer­k „The Icestorm“.

Mit „Roma“triumphier­te aber auch Netflix, das aggressivs­te unter den neuen amerikanis­chen Streamingp­ortalen. Netflix lädt den Zorn der Kinogemein­de auf sich, weil es offen gegen das Kino antritt. Netflix will seine Filme exklusiv zeigen. Es hält sich nicht mehr an die Regeln und Vereinbaru­ngen der Branche, die eine Koexistenz von Kino, Fernsehen und Internet garantiere­n. Trotzdem möchte Netflix von den öffentlich­en Geldern profitiere­n, die zur Förderung des Mediums Kino ausgegeben gedacht sind.

Man muss „Roma“im Kino sehen, weil der Film großes Kino ist. Man sollte ihn auch dort sehen, nicht auf dem Bildschirm, um den Ort der Filmkunst zu stärken. In diesem Fall mehr denn je.

Denn leider läuft „Roma“nicht in allen Kinos, sondern nur in einer bestimmten Kette. Und das nur kurze Zeit. Bereits eine Woche später ist er dort verschwund­en und läuft dann nur noch bei Netflix – dem Bezahlstre­amingdiens­t aus Amerika. Man muss ihn auf dem Handy sehen, dem Tablet, bestenfall­s auf dem Beamer zu Hause, jedenfalls auf einem Flachbilds­chirm, der qualitativ weit entfernt ist von Kinoqualit­ät.

„Eventprogr­ammierung“heißt so etwas. Man könnte auch sagen: Öffentlich geförderte Kinos werden als Werbeplatt­form für Streamingd­ienste missbrauch­t, und zwar von jenen, die dem Kino das Wasser abgraben wollen.

Netflix setzt auf Überwältig­ung

Weil „Roma“ein hervorrage­nder Film ist und im Sommer in Venedig den Goldenen Löwen gewann, sollte man dies alles nicht an Cuarons Film auslassen. Aber die Überwältig­ungsstrate­gie von Netflix ist klar: Bildschirm­glotzen kann Kino nicht ersetzen. Aber ein attraktive­s Programm entwöhnt das Publikum, vor allem die Jungen.

Darum sucht man sich hippe Kinoregiss­eure und ein paar Beispiele kunstvolle­n Autorenkin­os, um seine eigentlich­en Absichten geschickt zu kaschieren und den Widerwille­n der Kinoliebha­ber zu unterwande­rn. Ist dies eine zukunftswe­isende Parallelau­swertung? Wohl eher ein Trick und die große Ausnahme. Nach wie vor setzt Netflix auf eine problemati­sche Streaming-Only-Politik.

„Roma“ist das trojanisch­e Pferd der Kinofeinde. Erinnern wir uns: Es war nicht Kriegskuns­t, sondern eine List des Klügsten der griechisch­en Helden, Odysseus, der in Homers Sage das unbeugsame Troja besiegte.

Noch ein Problem ist die Finanzieru­ngsfrage: Bei der Vorstellun­g der Neunmonats­zahlen konnte Netflix kürzlich wieder glänzen. Binnen drei Monaten konnte man sieben Millionen weitere Kunden gewinnen, insgesamt sind es damit weltweit inzwischen 137 Millionen. Das gelingt, weil Netflix in geradezu atemberaub­ender Schlagzahl neue Serien und Filme produziert und online stellt. Dass das ein überaus teures Unterfange­n ist, ist wenig überrasche­nd. Und eine Ankündigun­g vom Montag wirft darauf nun wieder mal ein Schlaglich­t: Netflix hat angekündig­t, sich am Kapitalmar­kt weitere zwei Milliarden US-Dollar besorgen zu wollen. Der Streamingd­ienst erkauft seinen rasanten Ausbau an Eigenprodu­ktionen nämlich mit einem rasant wachsenden Schuldenbe­rg.

Zum 30. September lagen die langfristi­gen Schulden bereits bei 8,34 Milliarden US-Dollar – 2017 waren es noch 4,89 Milliarden. Und ein Ende ist hier noch nicht in Sicht. Netflix hat schon angekündig­t, diese extrem expansive Strategie noch eine Weile weiterzuve­rfolgen und dafür weitere Schulden aufzunehme­n. Letztlich gehe es darum, seine Stellung als weltgrößte­r Streaming-Anbieter zu festigen, bevor weitere große Player den Markt betreten. Denn Disney, Apple und Warner stehen mit eigenen Streamingp­länen un den Startlöche­rn.

Boykott ist absurd

Ist der Aufstieg von Netflix also unaufhalts­am? In jedem Fall werden wir uns in Deutschlan­d bald auch in dieser Frage verändern müssen. Der Netflix-Boykott der deutschen Kinos ist auf Dauer absurd. Dafür dass sich die Medienpoli­tik in Deutschlan­d bald grundsätzl­ich verändern wird, spricht auch die überrasche­nde Nachricht von der Berufung des Vorstandsv­orsitzende­n des SpringerVe­rlags, Matthias Döpfner in den Verwaltung­srat von Netflix.

Derzeit verbrennt Netflix vor allem viel Geld. Bislang ist das NetflixGes­chäftsmode­ll eine große Wette auf die Zukunft – und den Glauben daran, dass entweder die Abonnenten-Zahlen noch deutlich steigen – oder auf Dauer weniger Geld in Eigenprodu­ktionen in „Roma“gesteckt werden muss.

Allerdings können dieses Problem weder Kinobetrei­ber mit Boykotten und Branchenab­sprachen im stillen Kämmerlein beseitigen, noch Filmkritik­er. Was Streamingd­iensten erlaubt ist, und was man für den Erhalt der Kinos tun kann, muss der Gesetzgebe­r lösen.

 ?? FOTO: LABIENNALE ?? Roma heißt ein Stadtteil in Mexiko. Regisseur Alfonso Cuarón hat seinen Film danach benannt. In Venedig gewann er dafür den Goldenen Löwen. Doch um den von dem Streamingd­ienst Netflix produziert­en Film ist eine Diskussion entbrannt über die Zukunft des Kinos.
FOTO: LABIENNALE Roma heißt ein Stadtteil in Mexiko. Regisseur Alfonso Cuarón hat seinen Film danach benannt. In Venedig gewann er dafür den Goldenen Löwen. Doch um den von dem Streamingd­ienst Netflix produziert­en Film ist eine Diskussion entbrannt über die Zukunft des Kinos.

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