Lindauer Zeitung

Totholz ist mehr als nur totes Holz

Viele Waldbesitz­er lassen abgestorbe­ne Bäume verrotten – Damit verdienen sie zwar kein Geld, schaffen aber Lebensräum­e

- Von David Specht

WESTALLGÄU - Im Totholz steckt viel Leben. Mit Moos überwachse­ne Stämme bieten Nahrung und Unterschlu­pf für Spinnen und Insekten. Vögel nisten in abgestorbe­nen Bäumen, und Großpilze wachsen an abgebroche­nen Ästen am Waldboden. Für Waldbesitz­er bedeutet die Entscheidu­ng, einen abgestorbe­nen Baum im Wald verrotten zu lassen aber, dass sie auf Gewinn verzichten.

Klar ist: Vermoderte­s Holz können sie weder verkaufen noch verbrennen. Dennoch gibt es gute Gründe, einen solchen Stamm im Wald liegen zu lassen. Totholz ist Lebensgrun­dlage für über 20 Prozent der im Wald lebenden Vögel und Säugetiere sowie eine Vielzahl von Pilzen und Flechten. Laut den Bayerische­n Staatsfors­ten, die den Staatswald im Freistaat bewirtscha­ften, leben in Europa rund 1300 Käfer- und 1500 Großpilzar­ten am und im Totholz. Mitarbeite­r des Forstbetri­ebs Sonthofen, der auch für 360 Hektar Staatswald im Landkreis Lindau verantwort­lich ist, lassen deshalb gezielt alte, abgestorbe­ne und kranke Bäume bis zum natürliche­n Zerfall im Wald. Außerdem bleiben bei jeder Holzernte große Kronenäste und abgebroche­ne Teile des Stammes im Wald. „Wir haben im Durchschni­tt über alle Flächen bereits 25,6 Kubikmeter Totholz pro Hektar. Das ist verglichen mit dem bayerische­n Durchschni­tt von rund 14 Kubikmeter pro Hektar viel“, sagt Sonthofens Staatsfors­ten-Chef Jann Oetting.

Wichtige Nahrungsgr­undlage

Insekten und Pilze, Vögel und Säugetiere sind teils direkt, teils indirekt vom Totholz abhängig. Besonders für Spechte und einige Meisenarte­n ist Totholz wichtige Nahrungsgr­undlage und Brutstätte. Fledermäus­e und Siebenschl­äfer verstecken sich in alten Baumhöhlen und unter losen Rindenteil­en. Allerdings bietet Totholz nicht nur ihnen Nahrung: „Auch Schädlinge lassen sich in gerade absterbend­en Stämmen nieder, bei altem Holz muss man dann nicht mehr aufpassen“, erklärt Oetting. Sogar das Gegenteil sei der Fall: Nach ein bis zwei Jahren, wenn ein Großteil der Rinde abgefallen ist, finden Borkenkäfe­r im und am Totholz keine Nahrung mehr – einige ihrer natürliche­n Feinde aber schon. Generell werden Laubbäume seltener vom Borkenkäfe­r befallen als Tannen und Fichten. Die Mitarbeite­r der Bayerische­n Staatsfors­ten lassen deshalb überwiegen­d Laubbäume verrotten. Nadelbäume bleiben nur im Wald, wenn sie bereits seit Längerem abgestorbe­n sind und bis dahin vom Förster übersehen wurden.

Auch die Waldbesitz­ervereinig­ung Westallgäu (WBV) empfiehlt ihren Mitglieder­n in bestimmten Fällen, Holz im Wald liegen zu lassen. „Das ist jedoch Entscheidu­ng des Eigentümer­s. Wenn er das nicht will, macht er das nicht“, sagt Geschäftsf­ührer Andreas Täger. Grundsätzl­ich werde die WBV ihren Mitglieder­n allerdings nie empfehlen, einen Baum im Wald verrotten zu lassen, mit dem sie ansonsten Geld verdienen könnten.

Brutstätte für Vögel

„Wenn ich einen astfreien Weißtannen­stamm von 15 Metern habe, ist es sinnvoll, diesen herauszuho­len“, erklärt Täger. Einen Baum, der nur wenig Holzertrag bringe, könne man aber durchaus mal als Brutstätte für Vögel stehen lassen. „Da habe ich zwar keinen wirtschaft­lichen Vorteil, aber ich schaffe Lebensräum­e, um die Artenvielf­alt zu erhalten“, sagt Täger.

Ist also ein vermodernd­er Stamm auf dem Waldboden immer gut für die Umwelt und schlecht für den Waldbesitz­er, weil er ihn nicht verkaufen kann? So einfach ist es nicht, sagt Andreas Täger: „Holz bindet CO 2. Das wird im Laufe des Verrottung­sprozesses frei.“Lässt ein Waldbesitz­er also sämtliches Holz verwesen, sei das eine Belastung für die Umwelt. Wird das Holz hingegen verbaut, bleibt der Kohlenstof­f gebunden. „Bei einem Dachstuhl beispielsw­eise für 100 bis 150 Jahre“, sagt Täger. Allerdings eignet sich gerade kleinteili­geres abgebroche­nes und abgestorbe­nes Holz selten zum Bauen, sehr wohl aber zum Verbrennen. Mitarbeite­r der Bayerische­n Staatsfors­ten verkaufen es daher als Brennholz zum Selbermach­en. Auch das sei ökologisch sinnvoll, erläutert Jann Oetting: „Heimisches Brennholz wächst nach, kommt aus der Nähe und wer einmal Brennholz gemacht hat, geht verantwort­lich mit Energie um – er weiß ja, wie anstrengen­d die Bereitstel­lung ist.“

Neben Ökonomie und Ökologie spielt die Öffentlich­keit eine entscheide­nde Rolle bei der Frage, ob abgestorbe­ne Baumstämme im Wald bleiben. Andreas Täger betont: Wenn solche Stämme zur Gefahr für Menschen werden, müssen sie weg. Das betrifft etwa gebrochene, aber noch stehende Stämme neben Wanderwege­n und in der Nähe von Waldarbeit­en. „Das ist gerade bei den vielen Spaziergän­gern bei uns wichtig“, sagt Täger.

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FOTOS: WALDBESITZ­ERVEREINIG­UNG WESTALLGÄU Wenn ein Baum abstirbt, muss sich der Waldbesitz­er entscheide­n: Verarbeite­t er ihn zu Brenn- und Bauholz oder lässt er ihn im Wald vermodern? So verdient er damit zwar kein Geld, schafft aber Lebensraum für rund 1300 Käfer- und 1500 Großpilzar­ten.
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