Totholz ist mehr als nur totes Holz
Viele Waldbesitzer lassen abgestorbene Bäume verrotten – Damit verdienen sie zwar kein Geld, schaffen aber Lebensräume
WESTALLGÄU - Im Totholz steckt viel Leben. Mit Moos überwachsene Stämme bieten Nahrung und Unterschlupf für Spinnen und Insekten. Vögel nisten in abgestorbenen Bäumen, und Großpilze wachsen an abgebrochenen Ästen am Waldboden. Für Waldbesitzer bedeutet die Entscheidung, einen abgestorbenen Baum im Wald verrotten zu lassen aber, dass sie auf Gewinn verzichten.
Klar ist: Vermodertes Holz können sie weder verkaufen noch verbrennen. Dennoch gibt es gute Gründe, einen solchen Stamm im Wald liegen zu lassen. Totholz ist Lebensgrundlage für über 20 Prozent der im Wald lebenden Vögel und Säugetiere sowie eine Vielzahl von Pilzen und Flechten. Laut den Bayerischen Staatsforsten, die den Staatswald im Freistaat bewirtschaften, leben in Europa rund 1300 Käfer- und 1500 Großpilzarten am und im Totholz. Mitarbeiter des Forstbetriebs Sonthofen, der auch für 360 Hektar Staatswald im Landkreis Lindau verantwortlich ist, lassen deshalb gezielt alte, abgestorbene und kranke Bäume bis zum natürlichen Zerfall im Wald. Außerdem bleiben bei jeder Holzernte große Kronenäste und abgebrochene Teile des Stammes im Wald. „Wir haben im Durchschnitt über alle Flächen bereits 25,6 Kubikmeter Totholz pro Hektar. Das ist verglichen mit dem bayerischen Durchschnitt von rund 14 Kubikmeter pro Hektar viel“, sagt Sonthofens Staatsforsten-Chef Jann Oetting.
Wichtige Nahrungsgrundlage
Insekten und Pilze, Vögel und Säugetiere sind teils direkt, teils indirekt vom Totholz abhängig. Besonders für Spechte und einige Meisenarten ist Totholz wichtige Nahrungsgrundlage und Brutstätte. Fledermäuse und Siebenschläfer verstecken sich in alten Baumhöhlen und unter losen Rindenteilen. Allerdings bietet Totholz nicht nur ihnen Nahrung: „Auch Schädlinge lassen sich in gerade absterbenden Stämmen nieder, bei altem Holz muss man dann nicht mehr aufpassen“, erklärt Oetting. Sogar das Gegenteil sei der Fall: Nach ein bis zwei Jahren, wenn ein Großteil der Rinde abgefallen ist, finden Borkenkäfer im und am Totholz keine Nahrung mehr – einige ihrer natürlichen Feinde aber schon. Generell werden Laubbäume seltener vom Borkenkäfer befallen als Tannen und Fichten. Die Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten lassen deshalb überwiegend Laubbäume verrotten. Nadelbäume bleiben nur im Wald, wenn sie bereits seit Längerem abgestorben sind und bis dahin vom Förster übersehen wurden.
Auch die Waldbesitzervereinigung Westallgäu (WBV) empfiehlt ihren Mitgliedern in bestimmten Fällen, Holz im Wald liegen zu lassen. „Das ist jedoch Entscheidung des Eigentümers. Wenn er das nicht will, macht er das nicht“, sagt Geschäftsführer Andreas Täger. Grundsätzlich werde die WBV ihren Mitgliedern allerdings nie empfehlen, einen Baum im Wald verrotten zu lassen, mit dem sie ansonsten Geld verdienen könnten.
Brutstätte für Vögel
„Wenn ich einen astfreien Weißtannenstamm von 15 Metern habe, ist es sinnvoll, diesen herauszuholen“, erklärt Täger. Einen Baum, der nur wenig Holzertrag bringe, könne man aber durchaus mal als Brutstätte für Vögel stehen lassen. „Da habe ich zwar keinen wirtschaftlichen Vorteil, aber ich schaffe Lebensräume, um die Artenvielfalt zu erhalten“, sagt Täger.
Ist also ein vermodernder Stamm auf dem Waldboden immer gut für die Umwelt und schlecht für den Waldbesitzer, weil er ihn nicht verkaufen kann? So einfach ist es nicht, sagt Andreas Täger: „Holz bindet CO 2. Das wird im Laufe des Verrottungsprozesses frei.“Lässt ein Waldbesitzer also sämtliches Holz verwesen, sei das eine Belastung für die Umwelt. Wird das Holz hingegen verbaut, bleibt der Kohlenstoff gebunden. „Bei einem Dachstuhl beispielsweise für 100 bis 150 Jahre“, sagt Täger. Allerdings eignet sich gerade kleinteiligeres abgebrochenes und abgestorbenes Holz selten zum Bauen, sehr wohl aber zum Verbrennen. Mitarbeiter der Bayerischen Staatsforsten verkaufen es daher als Brennholz zum Selbermachen. Auch das sei ökologisch sinnvoll, erläutert Jann Oetting: „Heimisches Brennholz wächst nach, kommt aus der Nähe und wer einmal Brennholz gemacht hat, geht verantwortlich mit Energie um – er weiß ja, wie anstrengend die Bereitstellung ist.“
Neben Ökonomie und Ökologie spielt die Öffentlichkeit eine entscheidende Rolle bei der Frage, ob abgestorbene Baumstämme im Wald bleiben. Andreas Täger betont: Wenn solche Stämme zur Gefahr für Menschen werden, müssen sie weg. Das betrifft etwa gebrochene, aber noch stehende Stämme neben Wanderwegen und in der Nähe von Waldarbeiten. „Das ist gerade bei den vielen Spaziergängern bei uns wichtig“, sagt Täger.