Lindauer Zeitung

„Ablehnung hat innenpolit­ische Gründe“

Politikwis­senschaftl­er Stefan Rother über die Kritik am UN-Migrations­pakt und seinen Nutzen für Deutschlan­d

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RAVENSBURG - Mehr als 160 Staaten haben dem UN-Migrations­pakt am Montag zugestimmt. Gerade Kritiker einer liberalen Migrations­politik müssten sich in dem Dokument wiederfind­en, meint der Freiburger Politikwis­senschaftl­er Stefan Rother, Teilnehmer der UN-Konferenz in Marrakesch. Ulrich Mendelin hat ihn befragt.

In Deutschlan­d wird der Migrations­pakt kontrovers diskutiert, in Belgien ist die Regierung zerbrochen, die USA wollen nicht mitmachen und andere Länder haben sich zurückgezo­gen. Spielt die Kritik bei den Delegierte­n eine Rolle?

Das war schon ein Thema, aber es herrscht auch viel Unverständ­nis über die Kritik. Als ganz so bedeutend wird der Pakt selbst von den Teilnehmer­n hier gar nicht gesehen, eher als Anregung für konkrete Politik. Außerdem sind alle Regierunge­n, die nicht dabei sind, mit Ausnahme der Schweiz, von einer vergleichb­aren politische­n Ausrichtun­g. Ihre Ablehnung hat nur innenpolit­ische Gründe.

Inhaltlich lässt die Kritik die Delegierte­n kalt?

Der einzige kritikwürd­ige Punkt ist die Passage zur Fremdenfei­ndlichkeit. Da steht, dass man Medien öffentlich­e Gelder entziehen soll, die sich als fremdenfei­ndlich erweisen. Dazu habe ich hier von vielen Leuten gehört: Das hätte man offener formuliere­n müssen, so hat man Kritikern eine Flanke geöffnet.

Es gibt auch generelle Kritik, Zuwanderun­g werde in rosaroten Farben beschriebe­n. Im Pakt steht, dass Migration eine „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltig­en Entwicklun­g“darstellt.

„Darstellen kann“, hätte man sagen müssen. Der Satz geht aber weiter: „... und dass diese positiven Auswirkung­en durch eine besser gesteuerte Migrations­politik optimiert werden können“. Außerdem hält der Pakt fest, dass Migration sehr unterschie­dliche und manchmal sehr unvorherse­hbare Auswirkung­en hat. Da kann man schon reinlesen: Es läuft nicht alles gut mit Migration, es gibt Ausbeutung und Konflikte.

Oft verlassen die leistungsf­ähigsten, klügsten Menschen ein Land. Was kann der Pakt dem entgegense­tzen?

Die Debatte haben wir seit mehr als 40 Jahren. Die deutsche Antwort sind sogenannte TripleWin-Programme. Der Gedanke ist, dass beispielsw­eise philippini­sche Pflegekräf­te, wenn es dort ein Überangebo­t gibt, zum Arbeiten nach Deutschlan­d kommen.

Und wie profitiere­n die Philippine­n davon?

Durch Geldtransf­ers – und durch die mögliche Rückkehr von Arbeitskrä­ften mit neuen Qualifikat­ionen. Auf den Philippine­n stehen Überweisun­gen aus dem Ausland für zehn Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s oder noch mehr. Davon könnte ein Land profitiere­n, wenn es gut investiert wird. Ich sehe das aber auch kritisch, denn oft fließt das Geld in den Konsum oder in andere Bereiche. Ein besserer Weg wären die sogenannte­n Global Skills Partnershi­ps: Wenn das Zielland eine Person abwirbt, verpflicht­et es sich, im Herkunftsl­and eine weitere Person auszubilde­n.

In einigen Staaten der EU gibt es auch eine hohe Arbeitslos­igkeit. Warum braucht es in Deutschlan­d Pflegerinn­en von den Philippine­n?

Gerade aus Osteuropa kommen ja auch viele Pflegerinn­en nach Deutschlan­d. Aber die Nachfrage ist offenbar größer. Bis 2025 werden in Deutschlan­d 150 000 Pflegekräf­te benötigt.

Gastgeber der Konferenz ist Marokko. In Deutschlan­d wurde lange über die Zurückhalt­ung der Maghreb-Staaten geklagt, ihren Bürgern Dokumente auszustell­en, die für eine Rückführun­g ausreisepf­lichtiger Menschen nötig wären. Ist das in Marrakesch ein Thema?

Der Migrations­pakt nennt diesen Punkt ausdrückli­ch. Tatsächlic­h finden sich recht viele Aspekte in dem Abkommen, die auch Leute gut finden müssten, die Migration sehr kritisch gegenübers­tehen. Angela Merkel hat eine Rede gehalten, die bei Aktivisten hier nicht gut ankam. Sie hat den Schwerpunk­t auf den Kampf gegen illegale Migration gelegt – ein Begriff, den die Aktivisten als zu undifferen­ziert und kriminalis­ierend ablehnen.

Welchen Nutzen hätte der Pakt sonst noch für Deutschlan­d?

Der nächste Schritt müsste in Deutschlan­d ein Aktionspla­n sein. Die Anerkennun­g von Qualifikat­ionen beispielsw­eise ist in Deutschlan­d sehr umständlic­h. Noch wichtiger wäre ein Einwanderu­ngsgesetz. Würde man ein solches nach den Punkten, die im Migrations­pakt genannt sind, auf den Weg bringen, dann wäre vielen geholfen. Hinzu kommt: Die EU gibt hier in Marrakesch ein schwaches Bild ab, die meisten Länder, die fehlen, liegen in Europa. Deutschlan­d versucht ja, mehr Kooperatio­n in Europa zu Migration und Flucht zu erreichen. Wenn dies durch den Pakt befördert wird, würde Deutschlan­d profitiere­n.

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FOTO: DPA Migration – wie hier die Flucht von Angehörige­n der Rohingya-Minderheit aus Birma ins benachbart­e Bangladesc­h – läuft oft chaotisch ab. Der UN-Migrations­pakt soll eine Grundlage bilden, um dies zu ändern.

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