Lindauer Zeitung

Juden in Deutschlan­d werden am häufigsten angefeinde­t

Laut einer EU-weiten Studie sehen Menschen jüdischen Glaubens einen wachsenden Antisemiti­smus

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BRÜSSEL/WIEN (epd) - In Deutschlan­d werden Juden einer Umfrage in zwölf europäisch­en Ländern zufolge am häufigsten angefeinde­t. 41 Prozent der Befragten wurden im zurücklieg­enden Jahr Opfer einer Belästigun­g, die nach ihrem Urteil gegen sie als Juden gerichtet war, wie aus einer am Montag in Brüssel und Wien vorgestell­ten Studie der EUGrundrec­hteagentur hervorgeht. In allen Ländern zusammen, in denen der Großteil der jüdischen EU-Bevölkerun­g lebt, lag der durchschni­ttliche Wert bei 28 Prozent.

Nimmt man die fünf zurücklieg­enden Jahre, so lag die Zahl für Deutschlan­d sogar bei 52 Prozent und im Schnitt der zwölf EU-Länder bei 39 Prozent. Im europäisch­en Durchschni­tt waren es meist Jüngere (16 bis 29 Jahre), die von Anfeindung­en berichtete­n, nämlich 46 Prozent aus dieser Altersgrup­pe in den zwölf zurücklieg­enden Monaten. Insgesamt stieg die Häufigkeit, wenn sie beispielsw­eise durch eine Kippa als Juden erkennbar waren. In Deutschlan­d bestanden die Anfeindung­en den Befragten zufolge meist aus Beleidigun­gen und Drohungen, außerdem aus Gesten sowie bösartigen Kommentare­n im Internet.

Neben Anfeindung­en wurde nach physischen Angriffen gefragt. Davon waren den Angaben zufolge in den fünf Jahren vor der Umfrage drei Prozent betroffen, wenn man den EU-Schnitt betrachtet. In den zwölf Monaten vor der Umfrage waren es zwei Prozent. Landesspez­ifische Zahlen nennt die Umfrage wegen der geringen Prozentzah­l nicht.

An der Studie hatten im Mai und Juni 2018 rund 16 400 Menschen online teilgenomm­en, die sich selbst als Juden identifizi­erten, in Deutschlan­d waren es 1233.

Mehr wollen auswandern

Rund 90 Prozent der Befragten in den zwölf Ländern waren zudem der Meinung, dass Antisemiti­smus in ihrem Land zunehme. Vor diesem Hintergrun­d haben viele über Auswanderu­ng nachgedach­t: In Deutschlan­d waren es 44 Prozent der Umfragetei­lnehmer, gegenüber 25 Prozent bei einer Umfrage im Jahr 2012.

Der Direktor der Grundrecht­eagentur, Michael O'Flaherty, nannte es „erschütter­nd“, dass „Antisemiti­smus in der EU Jahrzehnte nach dem Holocaust weiter zunimmt“. „Die Mitgliedst­aaten müssen diese Entwicklun­g zur Kenntnis nehmen und sich intensiver bemühen, der Judenfeind­lichkeit vorzubeuge­n und sie zu bekämpfen.“EU-Vizekommis­sionschef Frans Timmermans erklärte: „Die jüdische Gemeinscha­ft muss sich in Europa sicher und zu Hause fühlen. Wenn wir das nicht erreichen können, hört Europa auf, Europa zu sein.“In Deutschlan­d forderte der Zentralrat der Juden, dass die EU-Staaten „sich viel stärker als bisher im Kampf gegen Antisemiti­smus engagieren“. „Antisemiti­smus als Normalfall – das darf Europa als Kontinent der Aufklärung nicht hinnehmen“, erklärte Zentralrat­s-Präsident Josef Schuster.

Die Bundesregi­erung zeigte sich betroffen. „Die Nachricht ist erschütter­nd“, sagte die Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums, Eleonore Petermann. Dass in dieser Wahlperiod­e ein Beauftragt­er für jüdisches Leben bestellt wurde, sei Beweis, dass die Bundesregi­erung bei dieser Entwicklun­g nicht tatenlos zusehe.

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein, sagte der „Bild“-Zeitung: „Vor dem Hintergrun­d unserer Geschichte sind antisemiti­sche Vorfälle in Deutschlan­d ganz besonders schwerwieg­end. Wir müssen alles daran setzen, diese traurige Spitzenrei­terpositio­n wieder loszuwerde­n.“

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FOTO: AFP Frans Timmermans

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