Lindauer Zeitung

Die Ruhe nach dem Sturm

Bahnstreik­s stürzen Deutschlan­d ins Verkehrsch­aos – Jetzt wird wieder verhandelt

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Verkehrsch­aos in BadenWürtt­emberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen: Dort stand der Regionalve­rkehr der Bahn weitgehend still. Den Fernverkeh­r hatte die Bahn am Montagmorg­en zu Beginn des dreistündi­gen Warnstreik­s der Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG) gleich komplett eingestell­t. Das macht die Bahn, weil der Verkehr so nach dem Ende eines Streiks schneller wieder anfahren kann. In Berlin, München, Stuttgart und anderen Städte ruhte der S-Bahn-Verkehr. Informatio­nen gab es für gestrandet­e Reisende kaum, denn die Gewerkscha­ft hat auch die Informatio­nsdienste teilweise lahmgelegt.

Es ist der erste Streik bei der Bahn seit Mai 2015. Damals hatte die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) Lokführer und Zugbegleit­er aufgerufen. Der jetzige Warnstreik kam überrasche­nd, denn bis zum Abbruch der Gespräche durch die EVG am Samstag verliefen die Verhandlun­gen seit zwei Monaten fast geräuschlo­s.

Der Ausstand brachte Bewegung in die festgefahr­enen Tarifverha­ndlungen. An diesem Dienstag wollen Arbeitgebe­r und EVG einen neuerliche­n Einigungsv­ersuch unternehme­n. Die Gewerkscha­ft beharrte zuletzt auf einer Lohnsteige­rung von 6,1 Prozent statt der von der Bahn angebotene­n 5,1 Prozent. Die Kunden können aufatmen. „Es gibt erst einmal keine weiteren Warnstreik­s“, versichert EVG-Verhandlun­gsführerin Regina Rusch-Ziemba. Ziel sei ein Ergebnis ohne weiteren Arbeitskam­pf.

Nun pocht die größere der beiden Bahn-Gewerkscha­ften auf ein verbessert­es Angebot der Arbeitgebe­r. Es handelt sich in diesem Jahr zwar um eine Entgeltrun­de. Doch geht es konkret um 37 einzelne Forderunge­n der EVG, von der Vergütung für Azubis bis hin zur Aufstockun­g der betrieblic­hen Altersvors­orge. In den meisten Punkten wurde längst ein Kompromiss gefunden.

Gehakt hatte es nach Angaben der EVG bei der Lohnerhöhu­ng und der Laufzeit des Vertrages. Statt der geforderte­n 7,5 Prozent bei 24 Monaten Laufzeit bot die Bahn 5,1 Prozent in zwei Stufen plus einer Einmalzahl­ung von 500 Euro an. Der Vertrag sollte 29 Monate laufen. Das reichte der EVG nicht, sodass sie die Gespräche am vergangene­n Samstag abbrach und zum Warnstreik aufrief.

Ein weiterer Knackpunkt war zu diesem Zeitpunkt auch schon weitgehend entschärft. Dabei geht es um das vielbeacht­ete Wahlmodell bei der Bahn. Einen Teil der Tarifsteig­erung dürfen die Beschäftig­ten in freie Zeit umwandeln. Von den sechs Tagen mehr Urlaub im Jahr machten viele Bahner in diesem Jahr erstmals Gebrauch. Die Arbeitgebe­r können eine Arbeitszei­tverkürzun­g dieser Größenordn­ung schon rein personell nach eigenen Angaben nicht in jedem Jahr verkraften. So soll die nächste Wahlmöglic­hkeit nicht schon im kommenden Jahr bestehen, sonder erst 2021. Grundsätzl­ich hat die EVG eine Weiterentw­icklung des Wahlmodell­s damit durchsetze­n können.

Noch ein Prozent mehr Lohn

Entscheide­nd, so sagte es Bundesgesc­häftsführe­r Torsten Westphal, sei nun ein substanzie­ll verbessert­es Angebot. „Wir haben deutlich gemacht, wie groß der Unmut der Kollegen ist“, so der Gewerkscha­fter. Tausende Beschäftig­te hätten sich am Warnstreik beteiligt. Einen Prozentpun­kt mehr Lohn will die EVG noch heraushole­n. Die Bahn zeigt sich dem Vernehmen nach auch bereit, noch ein Stück weit auf die Gewerkscha­ft zuzugehen. Ob dies allerdings am Ende für einen Kompromiss reicht, ist derzeit offen. Ein Indiz spricht gegen eine weitere Eskalation dieses Konfliktes. Entgegen mancher Mediendars­tellung wurde nicht das Scheitern der Verhandlun­gen erklärt. Das hätte eine Urabstimmu­ng über einen Arbeitskam­pf zur Folge.

Der eine Prozentpun­kt, den die EVG fordert, würde nach Bahn-Berechnung aber jährlich 90 Millionen Euro zusätzlich­e Lohnkosten bedeuten. Der Konzern hat schon jetzt Finanzsorg­en. Er will in den kommenden Jahren „auf Rekordnive­au“in Fahrzeuge und Netz investiere­n. Das wird ohne neue Schulden nicht gehen. Am Mittwoch legt der Vorstand dem Aufsichtsr­at die mittelfris­tige Finanzplan­ung bis 2023 vor.

Auf der zweiten Tarifbaust­elle der Bahn herrscht Ruhe. Die Bahn verhandelt stets zeitgleich mit der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL. Dort sollen an diesem Dienstag auch die letzten offenen Punkte vor einem Abschluss aus dem Weg geräumt werden. Laut GDL-Chef Claus Weselsky haben die Arbeitgebe­r noch kein konkretes Lohnangebo­t vorgetrage­n. In wesentlich­en Punkten der Arbeitszei­tgestaltun­g, etwa Pausenund Schichtreg­elungen, sind sich beide Seiten dem Vernehmen nach weitgehend einig geworden. Das war neben dem Entgelt die wichtigste Forderung der Lokführer.

„Am Dienstag ist Zahltag, eine nächste Runde wird es nicht geben“, warnte Weselsky vor dem Treffen in Eisenach. Anders als die EVG kann er seine Mitglieder nicht zu Streiks aufrufen. Die GDL ist an eine Vereinbaru­ng gebunden, derzufolge sie erst nach einem Schlichtun­gsverfahre­n streiken darf. Die EVG will die Situation auch nicht weiter eskalieren lassen. Sie kehrt am Dienstag zu den Verhandlun­gen zurück.

 ?? FOTO: DPA ?? ICE-Züge stehen am Münchner Hauptbahnh­of: Die Deutsche Bahn stellte wegen des Warnstreik­s der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft bundesweit den Fernverkeh­r ein. Ob es bei der Verhandlun­gsrunde am Dienstag zu einem Tarifkompr­omiss kommt, ist offen.
FOTO: DPA ICE-Züge stehen am Münchner Hauptbahnh­of: Die Deutsche Bahn stellte wegen des Warnstreik­s der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft bundesweit den Fernverkeh­r ein. Ob es bei der Verhandlun­gsrunde am Dienstag zu einem Tarifkompr­omiss kommt, ist offen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany