Die Gesichter der Moderne am See
Zeppelin-Museum zeigt sechs Jahrzehnte regionaler Kunstgeschichte aus eigenen Beständen
FRIEDRICHSHAFEN - Zu Zeiten des Nationalsozialismus wurden sie als „entartet“gebrandmarkt. Künstler wie Otto Dix, Willi Baumeister, Erich Heckel und Max Ackermann zogen sich aus den Großstädten in die hintersten Winkel des Bodensees zurück, um weniger im Fokus zu stehen. Nach 1945 konnte das Zeppelin-Museum dann viele dieser auf der Höri und anderswo am See entstandenen Arbeiten ankaufen und so eine Sammlung über die Klassische Moderne aufbauen. Was sich in der neuen Ausstellung „Aufbruch ins Unbekannte. Die Klassische Moderne am See“nun als Glücksfall erweist.
Der Blick der Schau begrenzt sich nicht nur auf die NS-Zeit. Kurator Mark Niehoff hat aus den Beständen des Zeppelin-Museums 90 Arbeiten aus den Jahren um 1900 bis 1960 zusammengetragen – neben den schon Genannten auch Malerei von Erich Heckel, Hans Purrmann, Karl Caspar, Willi Baumeister sowie Fotografien von Andreas Feininger. Mehr als nur eine Ergänzung sind Werke von Künstlern, die oft ein wenig im Schatten stehen, wie Maria Caspar-Filser, Curth Georg Becker, Karl Hájek Kunze, Franz Lenk oder Marta Hoepffner. Dass nicht nur die Prunkstücke des Hauses gezeigt werden, ermöglicht einen neuen Blick auf die Sammlung.
Stilistisch die ganze Brandbreite
Die Zeitspanne zieht sich über zwei Weltkriege: vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Nazijahre bis in die Nachkriegszeit der Bundesrepublik. Dramatische Zeiten, die vom Impressionismus zum Expressionsmus führten, zur Abstraktion und zur Neuen Sachlichkeit. Die Ausstellung dokumentiert die ganze Bandbreite dieser Entwicklungen. Unübersichtlich wirkt sie dennoch nicht, denn eine Gliederung in Themengebiete – vom Stillleben bis zu Kriegsszenen – erlaubt die Gegenüberstellung verschiedener Strömungen.
Dabei werden auch Probleme sichtbar, die insbesondere die verfemten Künstler mit dem Leben am See hatten. Der Dresdener Franz Lenk etwa malte 1944 im Stil der Neuen Sachlichkeit eine Bodenseelandschaft, die in ihrer minutiösen Genauigkeit aber schon wieder rückwärtsgewandt romantisch wirkt. Für Künstler seines Schlags war die Motivwelt am Bodensee offenbar so wenig förderlich wie für den Feuerkopf Otto Dix. Dennoch gelingt es Dix, alten Sujets neue Seiten abzugewinnen. Er, der Schöpfer der in Auszügen gezeigten „Kriegsmappe“, denkt von der leidenden Kreatur her. Dix malt den Menschen, mitunter mitleidlos explizit, als zerstörten Leib. Der Christus seiner „Pietà“ist deshalb in erster Linie ein seitlich aufgerissener Körper, der in der Sparte „Krieg“ebenso gut aufgehoben wäre wie in der Abteilung „Religion“, in der das Bild seinen Platz findet.
Bekanntes und Unbekanntes
Zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, die sich so in Dix’ Werk verbinden, liegen die „Goldenen Zwanziger“, deren Theater- und Barleben erfrischenderweise nicht durch Dix repräsentiert wird, sondern mit Gouachen von Karl Hájek Kunze. In den 1930ern arbeitete er als Werbegestalter für Dornier und lebte in Kressbronn – wie auch Marta Hoepffner. Sie ist als experimentelle Fotografin in Erinnerung geblieben, aber hier lernt man sie als Stillleben-Malerin kennen, in Anlehnung an André Ficus. Dass die Moderne am See sich nicht nur auf der Höri abspielte, zeigt auch Curth Georg Becker. Der Singener ist mit zwei Akten vertreten.
Eine beherrschende Gestalt bei den in der Schau gezeigten Landschaften ist Maria Caspar-Filser, die Ehefrau des in Friedrichshafen geborenen Karl Caspar. Caspar, der Erneuerer der christlichen Kunst, malt sein Bild „Frau, warum weinst du?“mit Christus, dem Tröster, in den expressiven Farben des Fauvismus. Kurator Niehoff hält Caspars Gattin für die bessere Malerin. Die Ähnlichkeiten von Farbauftrag und Formensprache sind aber überdeutlich.
Erich Heckel greift in seiner „Seeufer“-Szene von 1948 seine Jahre als „Brücke“-Künstler wieder auf. Das Ideal einer Einheit von Mensch und Natur schimmert durch; wenngleich hier nun eine Mauer die Natur einhegt. Max Ackermann dagegen fand die Einheit der Gegensätze in der konsequenten Abstraktion des Spätwerks. Sein Bild „Überbrückte Kontinente“(1952) lässt sich als universalistische Symbiose auf höherer Ebene verstehen. Ackermann wollte die Klassische Moderne vollenden. 1964 schrieb er in sein Tagebuch: „Ich bin der Letzte einer ausklingenden Epoche. Ich muss der Kunst voller Würde ein Finale setzen.“