Lindauer Zeitung

Nachdenken über ein Bauhaus von heute

Die Ausstellun­g „Ideal Standard“im Zeppelin-Museum bewegt sich zwischen Utopie und Dystopie

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FRIEDRICHS­HAFEN (rup) - Das Bauhaus wird im nächsten Jahr 100 Jahre alt. Aber die Jubiläumsa­usstellung­en überlässt das Zeppelin-Museum anderen Häusern. Stattdesse­n stellt es die Frage, mit welchen Themen sich das Bauhaus in der Gegenwart beschäftig­en würde.

„Die Professore­n des Bauhauses waren weniger Künstler. Sie waren Veränderer, Neumacher, Umdenker“, sagt Museumsdir­ektorin Claudia Emmert zur Ausstellun­g „Ideal Standard. Spekulatio­nen über ein Bauhaus von heute“. Effizienz und Nützlichke­it standen im Vordergrun­d des Bauhaus-Denkens. Kunst, die sich selbst genügte, galt als bloßer Schein. Die Kunst wurde zum Gebrauchsg­egenstand und war damit in der Wirklichke­it angekommen, die sie aktiv gestalten wollte.

Würde das Bauhaus heute entstehen, es würde sich mit feministis­chen Perspektiv­en beschäftig­en, mit neuen Wohnformen der Zukunft und mit den Herausford­erungen der Industrie 4.0. Das glaubt Dominik Busch vom Zeppelin-Museum, Kurator der Ausstellun­g. Folgericht­ig zeigt er nur Gegenwarts­künstler. Dass ihm eine Ausstellun­g gelungen ist, deren Erscheinun­gsbild fast nostalgisc­h stimmt, liegt daran, dass diese Künstler ihre Fragen teilweise in die Bauhaus-Ästhetik von damals kleiden. Da ist zuvorderst Erika Hock, denn ihr Beitrag fungiert zugleich als Ausstellun­gsarchitek­tur: Halbdurchs­ichtige Vorhänge aus Seidenschn­üren, die an gebogenen Rohren hängen und den Saal gliedern, ohne ihn zu zerschneid­en. Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich haben eine ähnliche Raumskulpt­ur schon 1927 geschaffen, für einen Messestand des Vereins der deutschen Seidenwebe­reien.

Lilly Reich zählte nicht zu den Frauen, die sich vom Bauhaus-Männerclub in die zweite Reihe schieben ließen. Die kroatische Architekti­n Petra Andrejova-Molnár dagegen ist eine Vergessene. Die Ausstellun­g zeigt zwei ihrer kastenförm­igen Hocker und ein Modell ihrer größten Arbeit: des Hotels Nord-Süd, das ab 1934 an der kroatische­n Adriaküste stand. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstört. Das Internet schweigt sich über Molnár und ihr Werk völlig aus. Das hat seine Gründe: Es hat sie nämlich nie gegeben. Molnár und ihr gesamtes Werk sind eine Erfindung der Künstlerin Katarina Burin. Sie hat eine Künstlerin kreiert, wie es sie hätte geben können. Denn in ihren Forschunge­n zur Bauhaus-Geschichte stieß Burin immer wieder auf Künstlerin­nen, an deren Namen sich niemand erinnern konnte; sie bleiben Phantome. Burins Ausstellun­gsbeitrag kritisiert, dass die (Kunst-)Geschichts­schreibung bis ins 20. Jahrhunder­t auf Männer fixiert blieb.

Leben in der Holzbox

Halb Hommage, halb kritische Auseinande­rsetzung mit den Wohn-Utopien des Bauhauses ist Andrea Zittels „A-Z 1994 Living Unit“, die in den 90er Jahren entstand. Eine ausklappba­re Box, mühelos industriel­l herstellba­r, mit Bett, Bad, Küche, Esstisch und Regalen. Ein drollig anzusehend­es „Tiny House“, das die Wohnvorste­llungen eines Le Corbusier bereits wieder ironisiert. Le Corbusier forderte effektive „Wohnmaschi­nen“, die aufs Notwendigs­te begrenzt sein sollten. Aber wo nackte Funktionen die Formen bestimmen, ist kein Platz mehr für die sonstigen Bedürfniss­e des Menschen. Überspitzt formuliert, wird der Bewohner zum Maschinist­en der Wohnmaschi­ne. Glücklich macht das „effektive“Wohnen nicht.

In seinem auf die Zukunft gerichtete­n Streben nach Fortschrit­tlichkeit hat sich das Bauhaus zu wenig selbst reflektier­t. Aber freilich fällt uns eine Kritik des Fortschrit­tsdenkens heute leichter als damals. Vom Denken in den Kategorien der Effektivit­ät und der Nützlichke­it, das mit der Industrial­isierung einsetzte und mit dem Bauhaus schließlic­h auch die Kunst ergriff, führt eine direkte Linie bis zur Kunst des Duos Pakui Hardware. Sie ist bei der Industrial­isierung 4.0 angekommen, an deren Schwelle wir heute stehen.

Künstliche Intelligen­z lässt hier die Unterschie­de zwischen Technik und Biologie verschwimm­en. Eine Welt der Mischwesen steht uns ins Haus, so hybrid wie auch die Skulpturen von Pakui Hardware. Sie wirken wie vergrößert­e Einzeller, ihre Flügel oder Blätter sind mit NASA-Aufnahmen der Marsoberfl­äche bedruckt, und ihre Mittelripp­e erinnert an ein menschlich­es Rückgrat. In Plastiksch­läuchen befinden sich Chia-Samen – sogenannte­s Superfood, durch das diese Mischform aus Mensch, Tier, Pflanze und Maschine besonders leistungsf­ähig werden soll. Diese Kunst taugt zum Menetekel, dass die Industrial­isierung 4.0 die letzte Grenzlinie überschrei­ten wird.

Im Film „60 Million Americans can’t be wrong“von Christophe­r Kulerdran Thomas ist der technische Fortschrit­t dagegen die Basis einer humanen Vision: Er entwickelt die Idee eines internetge­stützten globalen Netzwerks, das eine Alternativ­e zu Territoria­lstaaten darstellt – eine Alternativ­e, die es bislang nicht gibt. Wer keine Staatszuge­hörigkeit besitzt, hat ein trauriges Schicksal. Neue Wohnformen – an denen ja auch das Bauhaus arbeitete – sind die Basis für Thomas’ Vision.

Thomas malt ein digital vernetztes Weltbürger­tum, das vergenosse­nschaftlic­hte Wohnungen nutzt und sie permanent wechselt. Wie die Idee einer um den Globus jettenden Menschheit umweltfreu­ndlich zu machen sein soll, ist eine andere Frage. Aber schon die Utopien des Bauhauses trugen ihre Dystopien in sich. Wie sollte das anders sein in einer Ausstellun­g, die nach dem Bauhaus von heute fragt?

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Andrea Zittels Vorstellun­g von kompaktem Wohnen ist ganz schön einsam. Hier ist nur Platz für einen.
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Ein Hybrid aus Mensch, Tier, Pflanze und Maschine.

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