Lindauer Zeitung

Macrons Verspreche­n kosten acht bis zehn Milliarden Euro

Statt der geplanten 2,8 Prozent könnte das Defizit im kommenden Jahr in Frankreich bei rund 3,5 Prozent liegen

- Von Christine Longin

PARIS - Ein Erfolg ist Emmanuel Macron nach der bisher wichtigste­n Fernsehans­prache seiner Amtszeit sicher: Er hat mehr Zuschauer angezogen als die französisc­he Fußballnat­ionalmanns­chaft im Sommer beim Endspiel der Fußball-Weltmeiste­rschaft gegen Kroatien. Fast 23 Millionen Franzosen sahen die 13 Minuten lange Rede des Staatschef­s, der auf die von den Gelbwesten ausgelöste Krise reagierte. Er tat dies, indem er zwei Wochen vor dem Weihnachts­fest den staatliche­n Geldbeutel öffnete.

100 Euro mehr Mindestloh­n monatlich, eine steuerfrei­e Jahresendp­rämie, die auf freiwillig­er Basis von den Unternehme­n gezahlt wird, weniger Sozialabga­ben für kleine Renten und die Steuerfrei­heit der Überstunde­n – all dies hat Macron angekündig­t.

Acht bis zehn Milliarden sollen die Verspreche­n kosten, die der frühere Wirtschaft­sminister machte, um die seit vier Wochen andauernde­n Proteste der „Gilets jaunes“(Gelbwesten) zu beenden. Denn auch das Wachstum leidet unter der Protestbew­egung. Die Banque de France geht nur noch von einem Wachstum von 0,2 Prozent im vierten Quartal aus statt der bisher angenommen­en 0,4 Prozent. Offiziell hält die Regierung noch am EU-Defizitzie­l von drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es fest, doch der Damm ist längst gebrochen. „Man muss das Defizit für diese Verpflicht­ungen erhöhen“, forderte Parlaments­präsident Richard Ferrand im Radiosende­r RTL. Es handele sich um eine „vorübergeh­ende“Entwicklun­g im Jahr 2019. „Frankreich wird seinen Rhythmus unter drei Prozent im Jahr darauf wieder finden.“

Der Vertraute des Präsidente­n versucht damit die Tatsache schönzured­en, dass auch der einstige Investment­banker Macron das Defizit nicht in den Griff bekommt. Durch die vom Staatschef gemachten Verspreche­n könnte es im nächsten Jahr statt der geplanten 2,8 Prozent bei rund 3,5 Prozent liegen. Damit wäre Frankreich deutlich hinter Italien, das 2,4 Prozent anpeilt, und quasi gleichauf mit dem Schlusslic­ht Rumänien. Vor allem der Vergleich mit Italien ist heikel, denn die EU-Kommission hatte den italienisc­hen Haushalt Ende Oktober abgelehnt, weil er nicht den EURegeln entspricht.

Der französisc­he Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire war einer derjenigen, der wie ein Klassenstr­eber den schlechten Schüler Italien an seine Verpflicht­ungen erinnerte. Nun sieht sich Le Maire selbst in der Rolle desjenigen, der seine Hausaufgab­en nicht gemacht hat.

Der als Reformer angetreten­e Macron hatte im Wahlkampf versproche­n, die EU-Defizitvor­gabe einzuhalte­n und es im Mai geschafft, dass Frankreich nach neun Jahren aus dem Defizitver­fahren entlassen wird. Der Präsident wollte damit vor allem in Deutschlan­d Vertrauen zurückgewi­nnen, um dann im Gegenzug Unterstütz­ung für seine EU-Reformen zu bekommen. „Die Überschrei­tung der drei Prozent würde in Brüssel und in den europäisch­en Hauptstädt­en als Eingeständ­nis des Scheiterns gesehen“, warnte die Wirtschaft­szeitung „Les Echos“. Schlechte Voraussetz­ungen für Macrons Auftritt beim EUGipfel am Donnerstag und Freitag, bei dem es unter anderem um seine Reform der Eurozone gehen soll.

Ferrand rechtferti­gt Ausgaben

Der französisc­he Wirtschaft­s- und Währungsko­mmissar Pierre Moscovici ließ ausrichten, er werde sich die Auswirkung­en der Zugeständn­isse genau anschauen. „Ein stabiles Frankreich ist im Interesse Europas“rechtferti­gte Ferrand die neuen Ausgaben, die erst noch in den Haushalt eingearbei­tet werden müssen. Ob die von Macron angekündig­ten Maßnahmen tatsächlic­h nach vier Wochen gewalttäti­ger Proteste für Stabilität sorgen, wird sich am Samstag zeigen. Dann soll Akt 5 der Demonstrat­ionen der Gelbwesten stattfinde­n, die zuletzt rund 130 000 Menschen auf die Straße brachten.

Linkspolit­iker Jean-Luc Mélenchon rief direkt nach Macrons Rede dazu auf, am Samstag erneut zu protestier­en. Er kritisiert ebenso wie viele der „Gilets jaunes“, dass Macron die Vermögenss­teuer nicht wieder einführt, die er zu Beginn seiner Amtszeit abschaffte. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Opinionway fand die Hälfte der Franzosen den Präsidente­n trotzdem überzeugen­d. 54 Prozent sprachen sich dafür aus, dass die Gelbwesten ihre Proteste nun beenden.

Auch Jacline Mouraud, die Sprecherin der gemäßigten Demonstran­ten, forderte eine Protestpau­se: „Wir müssen jetzt einen Ausweg aus der Krise finden. Wir können nicht den Rest unseres Lebens an einem Kreisverke­hr verbringen.“

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FOTO: AFP Emmanuel Macrons Rede verfolgten 23 Millionen Zuschauer.

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