Lindauer Zeitung

Stalking: Wenn der Ex-Partner zur Bedrohung wird

Oft fehlt eine genaue Dokumentat­ion der Tat – Eine neue App könnte bald Abhilfe schaffen

- Von Christina Mikalo

FRIEDRICHS­HAFEN - Er schickt unerwünsch­te SMS, veröffentl­icht intime Fotos, bedroht und schlägt manchmal sogar zu – ein Stalker macht seinem Opfer das Leben zur Hölle. „Die psychische­n Folgen für Betroffene reichen von Schlafstör­ungen, Panikattac­ken, Schreckhaf­tigkeit, Depression­en, Gereizthei­t und Essstörung­en bis zum Selbstmord“, sagt Martha Dauth vom Weißen Ring im Bodenseekr­eis.

Zwölf Fälle, in denen ein Mensch einen anderen durch unerwünsch­tes Nachstelle­n – so lautet die Übersetzun­g des englischen Worts Stalking – gequält hat, hat das Polizeirev­ier Friedrichs­hafen in diesem Jahr erfasst. Die Anzeigen landen bei Beatrice Moll, der zuständige­n Sachbearbe­iterin für häusliche Gewalt. Oft erlebt sie, dass Betroffene ein bis zwei Jahre brauchen, um sich bei der Polizei zu melden. „Die meisten wollen das zunächst nicht so nah an sich heranlasse­n“, sagt Moll. Das liege überwiegen­d daran, dass der Stalker in etwa 70 Prozent der Fälle der ExPartner sei. „Dem will man keinen Raum geben. Viele suchen sich daher erst dann Hilfe, wenn sie bedroht werden.“

Häufig rufen Stalking-Opfer „völlig aufgebrach­t“bei Moll an. Seit fünf Jahren arbeitet die Sachbearbe­iterin in ihrer derzeitige­n Dienststel­le in Friedrichs­hafen. In dieser Zeit haben sich unterschie­dliche Menschen, die angaben, verfolgt zu werden, bei ihr gemeldet: Männer wie Frauen jeglichen Alters, Einkommens und mit verschiede­nen kulturelle­n Hintergrün­den.

„Das“Stalking-Opfer gibt es somit nicht, sagt Moll. Allerdings seien bestimmte Typen tendenziel­l häufiger von Stalking betroffen – Frauen beispielsw­eise, die ein Problem damit haben, in einer Beziehung einen Schlussstr­ich zu ziehen oder die sich schlecht abgrenzen können.

Täter stammen oft aus dem Bekanntenk­reis

Auch bei den Stalkern gibt es wiederkehr­ende Merkmale. „Häufig stammen sie aus dem persönlich­en Umfeld“, sagt Martha Dauth. Auch Beatrice Moll bestätigt, dass in den allermeist­en Fällen Familienan­gehörige, Bekannte, Affären und manchmal auch Nachbarn zu Stalkern werden. Unbekannte sind es dagegen so gut wie nie. Das Motiv der Täter ist oft enttäuscht­e Liebe.

Manche erhoffen sich aber auch eine Beziehung mit der Person, der sie nachstelle­n. Ein geringer Prozentsat­z der Verfolger ist laut der Sachbearbe­iterin zudem „psychisch krank“. Ein Patentreze­pt, um Stalker zu therapiere­n, gebe es nicht. Bei manchen helfe ein Gespräch mit Beamten, denn Ärger mit der Polizei möchten sich die wenigsten einhandeln.

Allerdings gibt es bei der Strafverfo­lgung ein Problem: Nicht alle Aktivitäte­n sind rechtlich als Stalking definiert. „Wenn jemand drei Mal hintereina­nder bei einer Person anruft, ist das in der Regel noch kein Stalking“, sagt Moll. Der Paragraf 238 des Strafgeset­zbuches regelt, was als Stalking gilt. Seit es im März vergangene­n Jahres eine Verschärfu­ng der Definition gegeben hat, muss eine Nachstellu­ng „objektiv geeignet sein, das Opfer zu beeinträch­tigen“. Beispielsw­eise kann es eine Drohung sein, die einen Betroffene­n so verängstig­t, dass er umziehen will.

Vor der Reform des Paragrafen war Stalking erst dann strafbar, wenn das Opfer sein Leben dadurch verändert hat – also zum Beispiel tatsächlic­h umgezogen ist.

Stalking lässt sich künftig per App dokumentie­ren

Trotz des verbessert­en rechtliche­n Schutzes wird Stalking von den Opfern in der Regel noch zu wenig dokumentie­rt, sagt Moll. Das sei aber notwendig, um beispielsw­eise ein Kontakt- beziehungs­weise Näherungsv­erbot vor Gericht zu erwirken. Kann das Stalking-Opfer beweisen, dass es wiederholt belästigt oder bedroht wurde, so kann es vor dem Amtsgerich­t in Tettnang eine einstweili­ge Verfügung beantragen. In diesem Fall greift das sogenannte Gewaltschu­tzgesetz.

Dieses verbietet dem Stalker, sich in einem bestimmten Radius der Wohnung oder dem Arbeitspla­tz des Opfers zu nähern oder sich in seinem Umkreis aufzuhalte­n. Auch den Kontakt per Telefon, über das Internet, SMS, Brief oder über Dritte aufzunehme­n, kann untersagt werden. Beatrice Moll rät Stalking-Opfern dazu, ein Tagebuch zu führen, in dem sie die Taten ihres Verfolgers aufzeichne­n. Ort, Zeit und Inhalt sollten nach Möglichkei­t mit Beweisen wie Bildern und Briefen festgehalt­en werden. Ein vorgeferti­gtes Dokument für diesen Zweck bietet die Sachbearbe­iterin an.

Der Weiße Ring arbeitet derzeit an einer Möglichkei­t, Stalking noch zeitnäher als mit dem Tagebuch zu dokumentie­ren. Anfang kommenden Jahres soll die Smartphone-App „No Stalk“erscheinen. „Mit ihr sollen Stalkingvo­rfälle direkt mit dem Smartphone aufgenomme­n werden können“, sagt Brigitta Brüning-Bibo vom Entwickler­team der App. „Diese Daten werden sofort verschlüss­elt und automatisc­h an ein Rechenzent­rum übertragen.“Auf einer Webseite lassen sie sich dann abrufen. Das soll es erleichter­n, rechtliche Schritte gegen den Stalker einzuleite­n.

„Außerdem bietet die App ein Modul zum Hilfeanfor­dern, einen ,panic button’, der einen schrillen Alarm ausstößt, sowie umfangreic­hes Informatio­nsmaterial“, so Brüning-Bibo weiter. Martha Dauth und Beatrice Moll raten Opfern dazu, neben der genauen Dokumentat­ion weitere Maßnahmen gegen ihren Stalker zu treffen. Auf jeden Fall sollten sie den Kontakt zu ihm vermeiden. „Nur dann verliert der Täter vielleicht irgendwann das Interesse daran, seinem Opfer nachzustel­len“, sagt Moll. Hilfreich könnte es sein, eine Therapie zu machen und die Familie, Freunde und Bekannte ins Vertrauen zu ziehen. In jedem Fall sollten Opfer sich wegen ihres Problems nicht von Anderen abkapseln, sagt Beatrice Moll. „Es macht psychologi­sch ganz viel aus, wenn ich als Betroffene­r aktiv und selbststän­dig um Unterstütz­ung suche. Stalking-Opfer sollten daher den Mut haben, zu sagen: Ich mach’ das nicht mehr.“

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FOTO: DPA Wegen der Digitalisi­erung haben Stalker heute mehr Möglichkei­ten als früher, ihren Opfern nachzustel­len.

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