Stalking: Wenn der Ex-Partner zur Bedrohung wird
Oft fehlt eine genaue Dokumentation der Tat – Eine neue App könnte bald Abhilfe schaffen
FRIEDRICHSHAFEN - Er schickt unerwünschte SMS, veröffentlicht intime Fotos, bedroht und schlägt manchmal sogar zu – ein Stalker macht seinem Opfer das Leben zur Hölle. „Die psychischen Folgen für Betroffene reichen von Schlafstörungen, Panikattacken, Schreckhaftigkeit, Depressionen, Gereiztheit und Essstörungen bis zum Selbstmord“, sagt Martha Dauth vom Weißen Ring im Bodenseekreis.
Zwölf Fälle, in denen ein Mensch einen anderen durch unerwünschtes Nachstellen – so lautet die Übersetzung des englischen Worts Stalking – gequält hat, hat das Polizeirevier Friedrichshafen in diesem Jahr erfasst. Die Anzeigen landen bei Beatrice Moll, der zuständigen Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt. Oft erlebt sie, dass Betroffene ein bis zwei Jahre brauchen, um sich bei der Polizei zu melden. „Die meisten wollen das zunächst nicht so nah an sich heranlassen“, sagt Moll. Das liege überwiegend daran, dass der Stalker in etwa 70 Prozent der Fälle der ExPartner sei. „Dem will man keinen Raum geben. Viele suchen sich daher erst dann Hilfe, wenn sie bedroht werden.“
Häufig rufen Stalking-Opfer „völlig aufgebracht“bei Moll an. Seit fünf Jahren arbeitet die Sachbearbeiterin in ihrer derzeitigen Dienststelle in Friedrichshafen. In dieser Zeit haben sich unterschiedliche Menschen, die angaben, verfolgt zu werden, bei ihr gemeldet: Männer wie Frauen jeglichen Alters, Einkommens und mit verschiedenen kulturellen Hintergründen.
„Das“Stalking-Opfer gibt es somit nicht, sagt Moll. Allerdings seien bestimmte Typen tendenziell häufiger von Stalking betroffen – Frauen beispielsweise, die ein Problem damit haben, in einer Beziehung einen Schlussstrich zu ziehen oder die sich schlecht abgrenzen können.
Täter stammen oft aus dem Bekanntenkreis
Auch bei den Stalkern gibt es wiederkehrende Merkmale. „Häufig stammen sie aus dem persönlichen Umfeld“, sagt Martha Dauth. Auch Beatrice Moll bestätigt, dass in den allermeisten Fällen Familienangehörige, Bekannte, Affären und manchmal auch Nachbarn zu Stalkern werden. Unbekannte sind es dagegen so gut wie nie. Das Motiv der Täter ist oft enttäuschte Liebe.
Manche erhoffen sich aber auch eine Beziehung mit der Person, der sie nachstellen. Ein geringer Prozentsatz der Verfolger ist laut der Sachbearbeiterin zudem „psychisch krank“. Ein Patentrezept, um Stalker zu therapieren, gebe es nicht. Bei manchen helfe ein Gespräch mit Beamten, denn Ärger mit der Polizei möchten sich die wenigsten einhandeln.
Allerdings gibt es bei der Strafverfolgung ein Problem: Nicht alle Aktivitäten sind rechtlich als Stalking definiert. „Wenn jemand drei Mal hintereinander bei einer Person anruft, ist das in der Regel noch kein Stalking“, sagt Moll. Der Paragraf 238 des Strafgesetzbuches regelt, was als Stalking gilt. Seit es im März vergangenen Jahres eine Verschärfung der Definition gegeben hat, muss eine Nachstellung „objektiv geeignet sein, das Opfer zu beeinträchtigen“. Beispielsweise kann es eine Drohung sein, die einen Betroffenen so verängstigt, dass er umziehen will.
Vor der Reform des Paragrafen war Stalking erst dann strafbar, wenn das Opfer sein Leben dadurch verändert hat – also zum Beispiel tatsächlich umgezogen ist.
Stalking lässt sich künftig per App dokumentieren
Trotz des verbesserten rechtlichen Schutzes wird Stalking von den Opfern in der Regel noch zu wenig dokumentiert, sagt Moll. Das sei aber notwendig, um beispielsweise ein Kontakt- beziehungsweise Näherungsverbot vor Gericht zu erwirken. Kann das Stalking-Opfer beweisen, dass es wiederholt belästigt oder bedroht wurde, so kann es vor dem Amtsgericht in Tettnang eine einstweilige Verfügung beantragen. In diesem Fall greift das sogenannte Gewaltschutzgesetz.
Dieses verbietet dem Stalker, sich in einem bestimmten Radius der Wohnung oder dem Arbeitsplatz des Opfers zu nähern oder sich in seinem Umkreis aufzuhalten. Auch den Kontakt per Telefon, über das Internet, SMS, Brief oder über Dritte aufzunehmen, kann untersagt werden. Beatrice Moll rät Stalking-Opfern dazu, ein Tagebuch zu führen, in dem sie die Taten ihres Verfolgers aufzeichnen. Ort, Zeit und Inhalt sollten nach Möglichkeit mit Beweisen wie Bildern und Briefen festgehalten werden. Ein vorgefertigtes Dokument für diesen Zweck bietet die Sachbearbeiterin an.
Der Weiße Ring arbeitet derzeit an einer Möglichkeit, Stalking noch zeitnäher als mit dem Tagebuch zu dokumentieren. Anfang kommenden Jahres soll die Smartphone-App „No Stalk“erscheinen. „Mit ihr sollen Stalkingvorfälle direkt mit dem Smartphone aufgenommen werden können“, sagt Brigitta Brüning-Bibo vom Entwicklerteam der App. „Diese Daten werden sofort verschlüsselt und automatisch an ein Rechenzentrum übertragen.“Auf einer Webseite lassen sie sich dann abrufen. Das soll es erleichtern, rechtliche Schritte gegen den Stalker einzuleiten.
„Außerdem bietet die App ein Modul zum Hilfeanfordern, einen ,panic button’, der einen schrillen Alarm ausstößt, sowie umfangreiches Informationsmaterial“, so Brüning-Bibo weiter. Martha Dauth und Beatrice Moll raten Opfern dazu, neben der genauen Dokumentation weitere Maßnahmen gegen ihren Stalker zu treffen. Auf jeden Fall sollten sie den Kontakt zu ihm vermeiden. „Nur dann verliert der Täter vielleicht irgendwann das Interesse daran, seinem Opfer nachzustellen“, sagt Moll. Hilfreich könnte es sein, eine Therapie zu machen und die Familie, Freunde und Bekannte ins Vertrauen zu ziehen. In jedem Fall sollten Opfer sich wegen ihres Problems nicht von Anderen abkapseln, sagt Beatrice Moll. „Es macht psychologisch ganz viel aus, wenn ich als Betroffener aktiv und selbstständig um Unterstützung suche. Stalking-Opfer sollten daher den Mut haben, zu sagen: Ich mach’ das nicht mehr.“