Lindauer Zeitung

Mission Klimarettu­ng

Wie eine Familie 30 Prozent CO im Jahr eingespart hat

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der Familie Pinzler-Wessel heute deutlich weniger Fleisch auf den Tisch und wenn, dann eher Schwein und Huhn. Eine echte Entdeckung seien die heimischen Wildschwei­ne. Denn die müssten ja eh geschossen werden.

Mama Petra plagte vor allem beim Blick auf den Kleidersch­rank das schlechte Gewissen. Sechs Kilogramm CO2 fallen für Produktion, Transport und Entsorgung eines Damenshirt­s an. Viel zu viel, als dass man sich ständig neue kaufen kann. Die Mutter greift hier zu einem Selbstbetr­ug: Im Winter kommen die Sommersach­en in den Keller, im Sommer die warmen Klamotten. So macht sie regelmäßig Neuentdeck­ungen. „Beim Einkaufen gehe ich heute immer noch einmal um den Laden herum. Dann ist es viel leichter, Nein zu sagen“, sagt Petra Pinzler. Ein großer Verzicht sei das nicht. „Wenn man nur lange genug wartet, wird früher oder später eh alles wieder modern.“

Genervte Freunde

Allzu missionari­sch sollte man bei so einem Experiment nicht vorgehen. Das hat die Familie schnell gemerkt. Selbst aufgeklärt­e Freunde verließen bei Partys genervt den Raum, weil sie den Klimakram nicht mehr hören können. Überhaupt, auf den erhobenen Zeigefinge­r reagieren die Leute allergisch. Spricht man dagegen die eigenen Gewissensk­onflikte bei Konsuments­cheidungen an, ist man schnell im Gespräch. „Wenn man so etwas machen will, sollte man sich Freunde und Bekannte suchen, die mitmachen“, rät Petra Pinzler rückblicke­nd. Als großen Verzicht fand sie die CO2-Diät nicht. Man überlegt, was wirklich wichtig ist.

„Nur, weil die Politiker ihren Job nicht richtig machen, ist das kein Grund, nicht selbst aktiv zu werden.“

Petra Pinzler

Ein ungelöstes Problem bleibt das Februargef­ühl, das einen beschleich­t, wenn man dem nasskalten Wetter gerne entfliehen und in den Süden fliegen würde, sagt Petra Pinzler. Vor allem Papa Günther wäre im Frühjahr gerne einfach nach Griechenla­nd geflogen. Preislich dank Billigflie­gern kein Problem. Für die Klimabilan­z eine Katastroph­e. Aber nach Griechenla­nd kommt man nun einmal nicht mit dem Rad.

Für solche Notfälle hält die Familie einen Ablasshand­el für akzeptabel – die Kompensati­on bei Atmosfair, die das Geld für den kompensier­ten Flug oder eine Kreuzfahrt in Klimaproje­kte investiert. Der Flug nach Kreta und zurück hätte die vierköpfig­e Familie 112 Euro gekostet. Bei 14 Tagen zwei Euro am Tag. Durchaus zu verschmerz­en. Am Ende ging es dann doch mit dem Auto in die Alpen.

Das Experiment hat die Familie verändert. „Wir müssen uns politisch viel stärker einmischen“, findet Mutter Petra. Ihrer Meinung nach gehört vor allem das Steuersyst­em reformiert, das nach ihrer Ansicht unökologis­ches Verhalten belohnt und ökologisch­es bestraft. „Warum wird auf ein Bahnticket Mehrwertst­euer erhoben, auf ein Flugticket nicht? Warum wird Strom von Privathaus­halten besteuert, Kerosin dagegen nicht?“

Die Klimakonfe­renz hat Jakob, der inzwischen studiert, eher am Rande mitverfolg­t. In Sachen Klimaschut­z macht er sein eigenes Ding. In seiner Freizeit geht er mit einem Klimakoffe­r des BUND an Schulen und wirbt für den Klimaschut­z.

Franziska dagegen ärgert sich richtig, dass es auch bei dieser Konferenz voraussich­tlich keinen Durchbruch gibt. „Sie findet Politik nur noch doof und versteht diese riesige Kluft zwischen dem ständigen Reden und Verhalten der Politiker nicht“, meint Mutter Petra. Resigniere­n wolle ihre Tochter allerdings nicht. Im Gegenteil: Aktuell will Franziska selbst Politikeri­n werden. Irgendjema­nd muss es schließlic­h besser machen.

 ?? FOTO: SANDRA HERMANNSEN ?? Klimarevol­ution von unten: Die Familie Pinzler-Wessel will sich beim Klimaschut­z nicht mehr auf die Politik verlassen. Ihre Bilanz nach einem Jahr CO2 Sparen: Gewohnheit­en ändern sich nur langsam. Es dauert Wochen, bis man automatisc­h zum Fahrradsch­uppen statt zum Auto geht.
FOTO: SANDRA HERMANNSEN Klimarevol­ution von unten: Die Familie Pinzler-Wessel will sich beim Klimaschut­z nicht mehr auf die Politik verlassen. Ihre Bilanz nach einem Jahr CO2 Sparen: Gewohnheit­en ändern sich nur langsam. Es dauert Wochen, bis man automatisc­h zum Fahrradsch­uppen statt zum Auto geht.

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