Im Zug von Moskau in die Mongolei
Im Winter besitzt die Reise in der Transsibirischen Eisenbahn einen ganz eigenen Reiz
MOSKAU (dpa) - Eisige Träume werden wahr: Wer im Winter mit der Transsibirischen Eisenbahn reist, erlebt Märchenlandschaften. Und manche Überraschung.
„Das ist das wahre Russland da draußen“, sagt Konstantin Tsarkovsky und schaut durch die schlierigen Zugfenster. Schier endlos ziehen Birkenund Nadelholzwälder vorbei, verstreute Siedlungen, Mosaike aus zusammengeduckten Häuschen, versunken im Winterweiß. Kiefernzweige biegen sich unter der Last des Schnees, der hier zwischen Kirow und Jekaterinburg die Hälfte des Jahres liegt.
Konstantin ist mit der Transsibirischen Eisenbahn auf dem Weg zu seinen Eltern, von Moskau nach Kemerowo in Sibirien. Gebucht hat der 26Jährige die Pritschenklasse: vier Dutzend Leute in einem Großraumwagen. Die Geschlechter sind gemischt. Laken und Wolldecken werden gestellt. Ständiges Hin und Her. „Zur Ruhe komme ich hier nicht“, erzählt der Produktmanager. Die Tour hat ihn umgerechnet 70 Euro gekostet. Dafür ist Konstantin zweieinhalb Tage unterwegs und muss sich mit seinen 1,93 Metern in eine zu kurze Koje zwängen. „Aber es geht irgendwie.“
Dass ganz hinten an den Linienzug zwei „Zarengold“-Sonderwaggons angehängt sind, in denen Touristen zu einem Vielfachen des Preises reisen, weiß Konstantin nicht. Dort hinten haben nur registrierte Gäste Zugang. Freundliche Mitarbeiterinnen machen die Betten in den Kabinen, servieren Getränke, saugen die Teppichböden.
„Einmal Fallschirmspringen, einmal mit der Transsib fahren“, so bringt Rita Haller, pensionierte Realschuldirektorin aus Freiberg, ihre beiden Lebensträume auf den Punkt. Den ersten hat sie sich erfüllt, der zweite wird im „Zarengold“gerade Realität. Dabei war für sie von Beginn an klar, dass es eine Reise während der kältesten Jahreszeit sein musste. „Hier erlebt man noch einen richtigen Winter.“
Durch fünf Zeitzonen
Die Reise in der Transsib führt durch fünf Zeitzonen von Moskau nach Ulan Bator, Hauptstadt der Mongolei. 6305 Kilometer im Zug, ergänzt durch Hotelaufenthalte in Städten, Busausflüge, eine Wodkaprobe, eine Pferdeschlittenfahrt durch den Winterwald, Saunabad und Klassikkonzert. Stehen die Räder still, werden die „Zarengold“-Waggons vom Regelzug ab- und für die nächste Etappe an einen anderen angekoppelt.
Moskau gibt den Appetizer der Tour, besonders schön zur Weihnachtsund Neujahrszeit, wenn die Einkaufsstraßen glitzern. Startpunkt der Transsib ist der Kopfbahnhof Yaroslavsky mit seiner prachtvollen Fassade. Bahnhöfe sind Perlen der russischen Architektur, irgendwo anzusiedeln zwischen Theatern und Palästen. Das ist in Krasnojarsk nicht anders als in Irkutsk.
Bis heute ist das Wintererlebnis in der Transsib um Längen einsamer als die Zugfahrt im Sommer, wenn viel mehr Touristen auf Achse gehen. In den frostüberzogenen Weiten dominiert die Farbe Weiß, Eisblumen wachsen an den Zugfenstern statt Trollblumen in der Natur. Frage an Tatjana Schuganzewa, eine ehemalige Bankfilialleiterin, die in der Nähe von Irkutsk zusammen mit Mann Sergei und Sohn Denis Gäste im eigenen Haus bewirtet: Empfindet sie das Leben mit den langen, harten Wintern nicht als bedrückend? Man erntet erstaunte Blicke. Tatjana liebt diese Kälte. Die 59-Jährige mag das Knirschen des Schnees unter den Sohlen, die Wintersonne. Und die kurzen, intensiven Sommer sowieso. „Dann ist hier das Paradies“, sagt sie. „Sibirien ist mein Leben. Sibirien bedeutet für mich Freiheit.“Sie spricht von der „Weite der Seele“.
Dauerthema für Fremde ist und bleibt die Witterung. Unterwegs, auf der Übernachtfahrt nach Irkutsk, sackt die Quecksilbersäule auf minus 31 Grad ab. Den Tag über hält sich niemand länger als nötig im Freien auf.
Der Baikalsee, der sich wie ein Binnenmeer ausbreitet, ist ein magisches Gewässer. Der Winter entfaltet hier einen besonderen Reiz. Die Stege am Ufer von Listvyanka tragen Eiszapfen. Bei einer Schiffstour schneidet der Wind auf dem Oberdeck unerbittlich ins Gesicht, während sich der Bug des Bootes durch Dampfteppiche schiebt. Eine Sesselliftfahrt in die Berge nahe Listvyanka ermöglicht den Perspektivwechsel. Spätestens hier, inmitten tief verschneiter Zauberwälder und von einem Aussichtsthron mit Fernblick über den See, werden die erhofften Winterträume wahr.
Alltag in der Mongolei
In Ulan-Ude löst sich die Strecke der Transmongolischen Eisenbahn von der klassischen Transsib und nimmt Kurs auf die Mongolei. In Ulan Bator, der Endstation, liegt Feuerrauch von Kohle- und Heizöfen über der Stadt.
Ein letzter Ausflug führt in die „mongolische Schweiz“, die Gebirgswelt des Nationalparks Gorkhi-Terelj. Spontanbesuch bei einer Nomadenfamilie, die einige Hundert Tiere besitzt, vornehmlich Kaschmirziegen und Schafe, und zwei komfortable Großjurten als Winterlager. Im Innern nehmen die Gäste Platz auf Sofabetten und trinken vergorenen Milchbrandwodka. Im Hintergrund flimmert der Flachbildschirm. Alltag in der Mongolei zum Abschied.