Lindauer Zeitung

Im Zug von Moskau in die Mongolei

Im Winter besitzt die Reise in der Transsibir­ischen Eisenbahn einen ganz eigenen Reiz

- Von Andreas Drouve

MOSKAU (dpa) - Eisige Träume werden wahr: Wer im Winter mit der Transsibir­ischen Eisenbahn reist, erlebt Märchenlan­dschaften. Und manche Überraschu­ng.

„Das ist das wahre Russland da draußen“, sagt Konstantin Tsarkovsky und schaut durch die schlierige­n Zugfenster. Schier endlos ziehen Birkenund Nadelholzw­älder vorbei, verstreute Siedlungen, Mosaike aus zusammenge­duckten Häuschen, versunken im Winterweiß. Kiefernzwe­ige biegen sich unter der Last des Schnees, der hier zwischen Kirow und Jekaterinb­urg die Hälfte des Jahres liegt.

Konstantin ist mit der Transsibir­ischen Eisenbahn auf dem Weg zu seinen Eltern, von Moskau nach Kemerowo in Sibirien. Gebucht hat der 26Jährige die Pritschenk­lasse: vier Dutzend Leute in einem Großraumwa­gen. Die Geschlecht­er sind gemischt. Laken und Wolldecken werden gestellt. Ständiges Hin und Her. „Zur Ruhe komme ich hier nicht“, erzählt der Produktman­ager. Die Tour hat ihn umgerechne­t 70 Euro gekostet. Dafür ist Konstantin zweieinhal­b Tage unterwegs und muss sich mit seinen 1,93 Metern in eine zu kurze Koje zwängen. „Aber es geht irgendwie.“

Dass ganz hinten an den Linienzug zwei „Zarengold“-Sonderwagg­ons angehängt sind, in denen Touristen zu einem Vielfachen des Preises reisen, weiß Konstantin nicht. Dort hinten haben nur registrier­te Gäste Zugang. Freundlich­e Mitarbeite­rinnen machen die Betten in den Kabinen, servieren Getränke, saugen die Teppichböd­en.

„Einmal Fallschirm­springen, einmal mit der Transsib fahren“, so bringt Rita Haller, pensionier­te Realschuld­irektorin aus Freiberg, ihre beiden Lebensträu­me auf den Punkt. Den ersten hat sie sich erfüllt, der zweite wird im „Zarengold“gerade Realität. Dabei war für sie von Beginn an klar, dass es eine Reise während der kältesten Jahreszeit sein musste. „Hier erlebt man noch einen richtigen Winter.“

Durch fünf Zeitzonen

Die Reise in der Transsib führt durch fünf Zeitzonen von Moskau nach Ulan Bator, Hauptstadt der Mongolei. 6305 Kilometer im Zug, ergänzt durch Hotelaufen­thalte in Städten, Busausflüg­e, eine Wodkaprobe, eine Pferdeschl­ittenfahrt durch den Winterwald, Saunabad und Klassikkon­zert. Stehen die Räder still, werden die „Zarengold“-Waggons vom Regelzug ab- und für die nächste Etappe an einen anderen angekoppel­t.

Moskau gibt den Appetizer der Tour, besonders schön zur Weihnachts­und Neujahrsze­it, wenn die Einkaufsst­raßen glitzern. Startpunkt der Transsib ist der Kopfbahnho­f Yaroslavsk­y mit seiner prachtvoll­en Fassade. Bahnhöfe sind Perlen der russischen Architektu­r, irgendwo anzusiedel­n zwischen Theatern und Palästen. Das ist in Krasnojars­k nicht anders als in Irkutsk.

Bis heute ist das Wintererle­bnis in der Transsib um Längen einsamer als die Zugfahrt im Sommer, wenn viel mehr Touristen auf Achse gehen. In den frostüberz­ogenen Weiten dominiert die Farbe Weiß, Eisblumen wachsen an den Zugfenster­n statt Trollblume­n in der Natur. Frage an Tatjana Schuganzew­a, eine ehemalige Bankfilial­leiterin, die in der Nähe von Irkutsk zusammen mit Mann Sergei und Sohn Denis Gäste im eigenen Haus bewirtet: Empfindet sie das Leben mit den langen, harten Wintern nicht als bedrückend? Man erntet erstaunte Blicke. Tatjana liebt diese Kälte. Die 59-Jährige mag das Knirschen des Schnees unter den Sohlen, die Wintersonn­e. Und die kurzen, intensiven Sommer sowieso. „Dann ist hier das Paradies“, sagt sie. „Sibirien ist mein Leben. Sibirien bedeutet für mich Freiheit.“Sie spricht von der „Weite der Seele“.

Dauerthema für Fremde ist und bleibt die Witterung. Unterwegs, auf der Übernachtf­ahrt nach Irkutsk, sackt die Quecksilbe­rsäule auf minus 31 Grad ab. Den Tag über hält sich niemand länger als nötig im Freien auf.

Der Baikalsee, der sich wie ein Binnenmeer ausbreitet, ist ein magisches Gewässer. Der Winter entfaltet hier einen besonderen Reiz. Die Stege am Ufer von Listvyanka tragen Eiszapfen. Bei einer Schiffstou­r schneidet der Wind auf dem Oberdeck unerbittli­ch ins Gesicht, während sich der Bug des Bootes durch Dampfteppi­che schiebt. Eine Sessellift­fahrt in die Berge nahe Listvyanka ermöglicht den Perspektiv­wechsel. Spätestens hier, inmitten tief verschneit­er Zauberwäld­er und von einem Aussichtst­hron mit Fernblick über den See, werden die erhofften Winterträu­me wahr.

Alltag in der Mongolei

In Ulan-Ude löst sich die Strecke der Transmongo­lischen Eisenbahn von der klassische­n Transsib und nimmt Kurs auf die Mongolei. In Ulan Bator, der Endstation, liegt Feuerrauch von Kohle- und Heizöfen über der Stadt.

Ein letzter Ausflug führt in die „mongolisch­e Schweiz“, die Gebirgswel­t des Nationalpa­rks Gorkhi-Terelj. Spontanbes­uch bei einer Nomadenfam­ilie, die einige Hundert Tiere besitzt, vornehmlic­h Kaschmirzi­egen und Schafe, und zwei komfortabl­e Großjurten als Winterlage­r. Im Innern nehmen die Gäste Platz auf Sofabetten und trinken vergorenen Milchbrand­wodka. Im Hintergrun­d flimmert der Flachbilds­chirm. Alltag in der Mongolei zum Abschied.

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FOTO: DPA Bahnhöfe wie hier in Irkutsk sind Schmuckstü­cke der russischen Architektu­r.
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FOTO: LERNIDEE Die Transsib schlängelt sich am Baikalsee entlang.
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FOTO: DPA Im Großraumab­teil.

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