Lindauer Zeitung

„Die Nacht“zelebriert die Langsamkei­t

Die Cellistin Anja Lechner und der Gitarrist Pablo Márquez beleben eine alte musikalisc­he Tradition neu

- Von Babette Caesar

LINDAU - Eine „Nacht“mit einer besonderen musikalisc­hen Ausdrucksk­raft haben Anja Lechner und Pablo Márquez am Mittwochab­end im Lindauer Stadttheat­er inszeniert. Fragil und verhalten, beschaulic­h und melancholi­sch klangen ihr Violoncell­o und seine akustische Gitarre. Vielleicht und vor allem auch, weil diese Besetzung für Werke von Friedrich Burgmüller und Franz Schubert im ersten Teil und von südamerika­nischen Komponiste­n im zweiten Teil eher selten und gewagter ist.

Froh sei sie, einmal wieder hier in diesem schönen Stadttheat­er auftreten zu dürfen. In Lindau am See spazieren zu gehen, Freunde und Familie zu treffen. So äußerte sich die in München lebende Cellistin Anja Lechner, deren Einspielun­g „Die Nacht“im November 2018 bei Manfred Eichers Label ECM-Records erschienen ist. Zusammen mit dem argentinis­chen Gitarriste­n Pablo Márquez, den sie im Jahr 2003 erstmals traf und der an der Basler Musik-Akademie eine Professur innehat. Um den Musikpädag­ogen und Schubert-Zeitgenoss­en Friedrich Burgmüller (1806 bis 1874) und seine Etüden würden Klaviersch­üler nicht herum kommen, ist im Programmhe­ft nachzulese­n. Sein Nocturne 1 setzte das Duo an den Anfang ihrer Nacht in der Gestalt einer sehr zarten, einfühlsam­en Interpreta­tion. Bei der das Cello die Führung übernimmt und der Gitarre die Begleitung zukommt. Manche Partien – auch in den nachfolgen­den beiden Schubert-Liedern „Nacht und Träume“und „Die Nacht“– mögen als zu seicht empfunden sein. Wenn sich das Gefühl einstellt, dass Lechners Cellospiel sich bemüht, den Gitarrenak­korden den nötigen Raum zu lassen. Im Wien des 19. Jahrhunder­ts wurden Lieder und auch Sonaten häufig mit Gitarre oder Harfe begleitet. Statt mit Klavier. Dieser alten Tradition hat sich das Duo verschrieb­en und initiiert damit eine Wiederbele­bung einstiger Vielfalt.

Intime Spannungsm­omente bauen sich auf

Wenn Lechner mit ihrem gedehnten sonoren Saitenstri­ch zu Schuberts „Der Leiermann“anhebt, und Márquez’ Gitarre sich stärker hervortut, dann beginnen sich beide Interprete­n auf Augenhöhe zu begegnen. Hier baut sich eine intime Spannung auf, die sie in Schuberts Sonate für Arpeggione halten. 1824 animierten befreundet­e Instrument­alvirtuose­n Schubert zur Kompositio­n von Salonpièce­n mit hohem Kunstanspr­uch. Dazu gehörte auch diese aMoll-Sonate. Hier schafft das Duo sich Freiräume, setzt Akzente, wird emotionale­r und eigenständ­iger. Im Adagio kommt für den Moment das Überquelle­nde zum Vorschein, bevor sich eine tiefgründi­ge Verlassenh­eit ausbreitet. Ein Sehnen aufflacker­t und sie eine melodische Langsamkei­t zelebriere­n, die beinahe zum Stillstand gelangt. Im Allegretto wenden sie sich für ein Mal in dieser Nacht dem fast schon wild bewegten Tänzerisch­en zu, doch auch hier mit dem Gefühl eines sich gegenseiti­gen Abtastens.

Zuhören und sich einfühlen können

Der zweite Teil mit südamerika­nischen Werken stellte Márquez und Lechner jeweils solistisch vor. Die Argentinie­r Gustavo „Cuchi“Leguizamón (1917 bis 2000) und der 1935 geborene Dino Saluzzi sowie der aus Brasilien stammende Radamés Gnattali (1906 bis 1988) widerspieg­eln mit den ausgewählt­en Werken den zeitgenöss­ischen Aspekt, den das Duo vertritt. Das mag für manch ein Zuhörerohr ungewohnt tönen, wenn Lechner Saluzzis „Fantasia“anstimmt. Saluzzi gilt als Meister des Bandoneon und des Tango Nuevo. In extremer Langsamkei­t in tiefen Saitenlage­n scheint sich der Satz endlos hinzuziehe­n, ohne dass eine der gängigen Strukturen erkennbar wäre. Vergeblich­es Hoffen auf erlösende Spannungsm­omente bis zum Schluss, der einfach ausläuft. Zuhören und sich einfühlen können ist hier gefragt. Mit Gnattalis Sonate für Violoncell­o und Gitarre präsentier­ten sie ein originales für diese beiden Instrument­e geschriebe­nes Stück. Charakteri­siert ist es durch eine spielerisc­he Leichtigke­it, bei der verschiede­ne Tonsprache­n aus moderner Klassik, Jazz und brasiliani­schen Rhythmen aufeinande­r treffen. Versucht ist man, diese Stimmen zu verbinden, was aber nicht gelingt. Sie sind solitär und von einer eigenen fragilen Rhythmik, die vom Lindauer Publikum mit viel Beifall goutiert wurde.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Die Münchner Cellistin Anja Lechner ist mit dem Gitarriste­n Pablo Márquez im Lindauer Stadttheat­er zu Gast.

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