Aberwitzig aufregend
Bayerns Verantwortliche wissen nicht so recht, was sie vom 3:3 in Amsterdam halten sollen
AMSTERDAM (fil/SID/dpa) - Nicht nur die Protagonisten auf und neben dem Rasen waren ziemlich elektrisiert von diesem 3:3 (1:0) des FC Bayern München bei Ajax Amsterdam, von dieser „extrem emotionalen Europapokalnacht“, wie Bayerns Vorstandsvorsitzender später beim Mitternachtsbankett sagte.
Die Social-Media-Propagandisten der UEFA verleitete dieses ständig hin- und herwogende Spiel direkt nach Schlusspfiff sogar zu diesem bemerkenswerten Tweet: „Was für ein Spiel ... Der @FCBayern holt in einem Jahrhundertmatch ein 3:3 beim @AFCAjax und damit den Gruppensieg. GANZ GROSSER SPORT!!!“
Jahrhundertmatch, darunter macht man es heute wohl nicht mehr. Jedoch: Dieses furiose und dramatische 3:3, das bei Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic nach eigener Aussage „Herzrhythmusstörungen“verursachte, hatte tatsächlich eine jener viel zu seltenen magischen Europapokalnächte geliefert. Sechs Tore, zwei Elfmeter, zwei Platzverweise, dazu ein ständiges Hin und Her – es war ein aufregendes und abenteuerliches, ein aberwitziges Spiel.
Kovac von den Socken, Salihamidzic macht den Motzki
„Das war Werbung pur. Wir haben heute ein fantastisches Fußballspiel erlebt von zwei Mannschaften, die auf einem hohen Niveau gespielt haben“, sagte Trainer Niko Kovac, der zum dritten Mal nacheinander auf dieselbe Startformation vertraute. Sportdirektor Hasan Salihamidzic, der gerade ja auch auf Wunsch seiner Vorgesetzten emsig daran arbeitet, sich ein schärferes Profil zu verpassen, analysierte es etwas anders. „Wir haben kein gutes Spiel gemacht, das einzig Positive ist, dass wir Gruppenerster sind“, sagte er.
Und tatsächlich: Drei Gegentreffer in einem Spiel werden in der K.o.Runde der Champions League mit hoher Wahrscheinlichkeit das Aus bedeuten. Doch nicht nur die drei Gegentreffer bereiteten Salihamidzic Sorgen. Sondern vor allem auch, dass die Bayern „dauernd unter Druck“waren und sie sich „nur ganz selten befreien“konnten. Überhaupt legte das furiose Remis beim niederländischen Vizemeister erneut die Probleme des deutschen Rekordmeisters offen: Obwohl der Spielverlauf für die Münchner sprach – nach Robert Lewandowskis frühem 1:0 (13.) steuerte Bayern auf einen ruhigen Champions-League-Abend zu – verloren sie in der zweiten Halbzeit vor allem nach der Auswechslung des überragenden Serge Gnabry völlig die Struktur im Spiel.
Ajax konterte durch Dusan Tadic (61., 82., Foulelfmeter) und Nicolas Tagliafico (90.+5), Lewandowski (87., Foulelfmeter) und Kingsley Coman (90.) sorgten fürs Remis. „Wir hätten in der ersten Halbzeit drei, vier Chancen nutzen müssen, aber dann haben wir das Spiel komplett aus der Hand gegeben“, monierte Salihamidzic. Dabei hatte Kovac im Grunde klug gewechselt, für den Offensivwirbler Gnabry war der passsichere Mittelfeldspieler Thiago gekommen, der zudem ordentlich spielte – die Nebenleute aber schienen verwirrt. Gegen schnelle Gegner hat die Innenverteidigung zudem weiter ihre Probleme – und dann war da noch Thomas Müllers völlig unnötige Kung-Fu-Aktion gegen Nicolás Tagliafico, der für seinen Kopftreter zu Recht Rot sah. „Nee, nee, das war natürlich keine Absicht“, sagte Müller reumütig.
„Das Spiel ist ein sehr gutes Spiel zum Analysieren“, sagte Lewandowski folgerichtig. „Wir können eine noch stärkere Mannschaft sein im neuen Jahr.“Als erstem Bundesligaprofi glückten ihm in der Gruppenphase acht Tore. Er führt vor Barcelonas Lionel Messi (6) die Torjägerliste an. „Ich bin sehr stolz“, sagte der 30Jährige bei der nächtlichen Feier. Mit seinem 21. Pflichtspieltreffer ist Lewandowski der Beste in Europas Topligen. Eine „Art Lebensversicherung“sei Lewy, lobte Kovac.
Im Achtelfinale gehen die Bayern durch den Gruppensieg den fünf Topfavoriten Real Madrid, FC Barcelona, Paris Saint-Germain, Juventus Turin und Manchester City aus dem Weg. Jürgen Klopps FC Liverpool, Atlético Madrid, Olympique Lyon, Manchester United, AS Rom oder Tottenham Hotspur stehen in Nyon als Gegner zur Auswahl. „Da gibt es genug Hochkaräter, von daher ist es gehupft wie gezupft“, hielt sich Trainer Kovac mit überschwänglicher Freude über ein vermeintlich leichteres Spiel gegen einen Gruppenzweiten zurück. „Man hat aber den kleinen Vorteil, dass man das zweite Spiel zu Hause spielt.“