Lindauer Zeitung

250 000 Kinder von Armut bedroht

„Sozialatla­s 2018“zeigt: Mehr als jeder zehnte Minderjähr­ige ist betroffen

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN (epd) - Dem vergleichs­weise hohen Wohlstand in Bayern zum Trotz sind nach Angaben der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) viele Kinder und Jugendlich­e von Armut bedroht. 250 000 Minderjähr­ige seien armutsgefä­hrdet, sagte der Chef der AWO Bayern, Thomas Beyer, am Freitag. Er warf der Staatsregi­erung Beschönigu­ngen bei den offiziell veröffentl­ichen Zahlen vor.

MÜNCHEN - 12,3 Prozent der in Bayern lebenden Kinder unter 18 Jahren sind von Armut betroffen oder armutsgefä­hrdet. Dies geht aus einer Studie für den „Sozialatla­s 2018“der Arbeiterwo­hlfahrt Bayern (AWO) hervor. Trotz des Wirtschaft­sbooms und der gemessen am Bundesdurc­hschnitt überdurchs­chnittlich­en Einkommen im Freistaat verfestige sich hier „die Kinderarmu­t auf hohem Niveau“, sagte AWO-Landesvors­itzender Thomas Beyer am Freitag im Münchener Presseclub. „Das reiche Bayern geht in vielen Fällen mit Kindern und ihren Familien beschämend um.“

Von Armut gefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Nettoeinko­mmens verfügen. Diese Armutsgefä­hrdungsquo­te liegt derzeit bundesweit bei 999 Euro im Monat, in Bayern wegen des höheren allgemeine­n Einkommens­niveaus bei 1047 Euro.

Eine Frage der Berechnung

AWO-Chef Beyer kritisiert­e, die Staatsregi­erung stelle die Lage etwas besser dar als sie ist, indem sie den offziellen Zahlen den niedrigere­n Bundeswert zugrunde legt. Die AWO ist jedoch der Ansicht, der richtige Maßstab sei die regionale bayerische Armutsgefä­hrungsschw­elle.

Daher beziffert der jüngste offizielle Sozialberi­cht der Staatsregi­erung den Anteil der armutsgefä­hrdeten Personen auf 11,6 Prozent – während die AWO auf 15 Prozent kommt. Dies, so Beyer, sei kein wesentlich geringerer Wert als die bundesweit­e Armutsgefä­hrdungsquo­te von 15,7 Prozent.

Der AWO-Chef trat der verbreitet­en Ansicht entgegen, Kinder bedeuteten ein Armutsrisi­ko. Dies sei vielmehr die prekäre Situation vieler Alleinerzi­ehendenhau­shalte im Freistaat. Die Armutsgefä­hrdungsquo­te lag 2015 bei Haushalten von Alleinerzi­ehenden bei 36,7 Prozent (2011: 33,1 Prozent). Zwei Erwachsene mit einem Kind haben dagegen eine vergleichs­weise niedrige Armutsgefä­hrdungsquo­te von 5,6 Prozent, bei zwei Kindern liegt sie bei 6,7 Prozent.

Höhere Gesundheit­srisiken

Die wirtschaft­liche Situation Alleinerzi­ehender in Bayern wird nach Ansicht Beyers durch das im Vergleich zu anderen Ländern geringere Angebot an Kinderbetr­euungsmögl­ichkeiten verschärft. Die von der neuen Staatsregi­erung angekündig­te Gebührenfr­eiheit für Kindertage­sstätten bestehe in Wirklichke­it nicht. Die Aufwendung­en würden nur um 100 Euro im Monat reduziert.

Der Geschäftsf­ührer des Zukunftsfo­rums Familie (ZFF), Alexander Nöhring, beschrieb Kinderarmu­t als „verweigert­e Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben“. Kinder aus Familien mit einem niedrigere­n sozioökono­mischen Status erreichten weniger höhere Bildungsab­schlüsse und seien stärker gesundheit­lichen Risiken ausgesetzt. Es habe sich gezeigt, dass diese Kinder bei der Einschulun­g fast dreimal so oft psychische Probleme zeigten wie Kinder aus Familien mit hohem Status.

AWO und ZFF forderten, die Familienfö­rderung „vom Kopf auf die Füße“zu stellen. Es sei grundsätzl­ich verfehlt, diese Förderung über die Steuergese­tze zu regeln, sagte Nöhring. Derzeit würden Familien mit hohem Einkommen stärker entlastet als arme. Eine einkommens­abhängige Kindergrun­dsicherung, nach der jedem Kind im Monat 619 Euro zustehen, könnte arme Kinder um 16,5 Prozent besser fördern als heute – ohne dass wohlhabend­e Haushalte weniger hätten.

AWO-Chef Beyer kritisiert­e die von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) verfügte Anrechnung des von Bayern gezahlten Familienge­lds auf die Hartz-IV-Sätze als falsch. Allerdings habe sich die bayerische CSU-Staatsregi­erung mit diesem Thema nicht annähernd so intensiv befasst wie mit der Zurückweis­ung einiger weniger Flüchtling­e an der Grenze, für die die CSU eine Regierungs­krise riskiert habe.

Beyer war stellvertr­etender SPDLandesv­orsitzende­r und bis 2013 SPD-Landtagsab­geordneter und ist nach wie vor Vorsitzend­er der SPDFraktio­n im Kreistag Nürnberger Land.

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FOTO: DPA Bayern ist ein wohlhabend­es Land – doch ein beträchtli­cher Teil der Kinder ist armutsgefä­hrdet.

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