Lindauer Zeitung

Aleppo liegt nicht am Meer

Shakespear­es „Macbeth“und Peter Weiss’ „Viet Nam Diskurs“bei den Münchner Kammerspie­len

- Von Christiane Wechselber­ger

MÜNCHEN - Walter Hess kommt in Schottenki­lt und Plaid (Kostüme: Negar Nemati) auf die Bühne. Beinahe meint man, Erleichter­ung im Publikum zu spüren. Alles in Ordnung, ordentlich­e Klassiker-Inszenieru­ng. Dann empfiehlt Hess Dr. Beckmanns Fleckenteu­fel gegen Blut. Man kann ja nie wissen, ob nicht doch was über den Orchesterg­raben spritzt. Das Product Placement fungiert als Prolog Shakespear­e’scher Manier und als Reflexion über absurdes Sicherheit­sdenken.

Der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani spielt in seiner dritten Inszenieru­ng an den Kammerspie­len Shakespear­e nicht gerade vom Blatt. Trotzdem vermisst man nichts in seiner eineinhalb­stündigen „Macbeth“Umschreibu­ng.

Mitra Nadjmabadi hat ein Karussell aus Bad, Pissoir und bei Bedarf Schlafzimm­er auf die Bühne gestellt, das sich munter dreht und immer mal wieder mit eher dekorative­n Videoproje­ktionen (Benjamin Krieg und Philip Hohenwarte­r) angestrahl­t wird. Darin inszeniert Koohestani eine Reflexion über das Theater und die Welt, in der wir leben.

(Proben-)Szenen des „Macbeth“wechseln ab mit Szenen aus dem „wirklichen Leben“. In dem ist Christian Löber Regisseur und Hauptdarst­eller von „Macbeth“. Doch ihm ist die Lady Macbeth (Gro Swantje Kohlhof ) abhandenge­kommen. In einer Woche ist Premiere. Was tun? Seine Frau ist ebenfalls Schauspiel­erin und springt ein. Diese Lady (Mahin Sadri) ist Iranerin und ihr Bühnendeut­sch nicht ganz perfekt. Sie will aber unbedingt auf Deutsch spielen, denn wenn sie Farsi spricht, schauen alle nur auf die Übertitel und nicht auf sie. Die Paar-ProbenSitu­ation gibt jede Menge Stoff für züchtige (Bett-)Szenen einer Ehe.

Ein anderes Zentrum ist Stefan Merkis Banquo, der den Kollegen produktion­sdramaturg­isch die Figuren erklärt: „Die waren mal Freunde“, Macbeth und Banquo. Ist wichtig, das zu wissen, denn der Text ist je nach Regisseur verschiede­n. Was bei Shakespear­e Macbeth, ist bei Koohestani der Regisseur, der Kohlhof in einer Rückblende immer wieder die gleiche Auftrittss­zene der Lady spielen lässt, um seine Macht zu demonstrie­ren. Und Kohlhoff führt dem Publikum eine amüsante Vielfalt an Ausdrucksm­öglichkeit­en vor.

Wenn die Lady sich beschwert, dass sie nicht mal einen eigenen Namen hat, werden Geschlecht­errollen gestreift. Um Vielfalt im deutschen Theaterbet­rieb geht es auch. Außer Mahin Sadri sind noch die syrischen Schauspiel­er Kinan Hmeidan und Kamel Najma dabei. Wenn sie darüber sinnieren, was eigentlich ihre Rolle in diesem Spektakel ist, dann ist das ein Dialog Shakespear­e’scher Narren. Doch warum Syrer? Die Hexen (gesungen von Polly Lapkovskaj­a) erwähnen eine Frau, deren Mann als Matrose nach Aleppo ist. Nur liegt Aleppo nicht am Meer. So werden in dieser „Macbeth“-Umkreisung Gewissheit­en relativier­t und zeitgemäße Fragen gestellt. Den Schauspiel­ern schaut man gerne dabei zu.

Zuschauer auf der Bühne

Gerne schaut man erst einmal auch Eva Löbau und Zeynep Bozbay in „Kill the audience“zu. Der aus dem Libanon stammende Regisseur Rabih Mroué empfindet die SkandalIns­zenierung von Peter Weiss’ „Viet Nam Diskurs“durch Peter Stein und Wolfgang Schwiedrzi­k am Originalor­t nach, nun Kammer 3. Auch die Waffen sind original, die Eva Löbau uns freundlich wie bei einer Tupperpart­y vorführt: zum Beispiel die Schlagstöc­ke der Inszenieru­ng von 1968, die nach drei Vorstellun­gen abgesetzt wurde, weil Kabarettis­t Wolfgang Neuss zu Spenden für den Vietkong aufrief. Von den Spenden wurde ein MG gekauft, welches seitdem durch Kammerspie­le-Inszenieru­ngen geistert. Das kann man glauben oder nicht.

Zum Lärm der auch freundlich aufspielen­den Musiker Marja Burchard und Maasl Maier massakrier­en Löbau und Bozbay das Holzkamera­den-Publikum im Zuschauerr­aum. „Ceci n’est pas un public“, steht da fein aus Holz ausgeschni­tten. Die richtigen Zuschauer, also wir, wurden auf der Bühne platziert. Von „Kill the audience“keine Spur, die Schauspiel­erinnen tun ihre Liebe zum Publikum in Worten und Taten kund. Außerdem tragen sie in schönster Brecht-Weill-Manier Texte aus der Aufführung von 1968 vor. Ihre auf die nun leeren Bankreihen projiziert­en Zuschauer befinden sich allerdings mit ihnen im Ungleichge­wicht, lachen an den falschen Stellen, schunkeln unangebrac­ht, husten, weinen, buhen und ratschen ungeniert. Nach Rabih Mroué kann das Publikum das Theater zum Leben erwecken oder töten, also lassen Löbau und Bozbay uns schließlic­h alleine mit einem „Publikum“aus Statisten. Das ist definitiv zu wenig.

 ?? FOTO: THOMAS AURIN ?? Macbeth (Christian Löber) ist die Lady (Gro Swantje Kohlhof, Projektion im Hintergrun­d) abhanden gekommen – und das kurz vor der Premiere. Und die Ersatzlady (Mahin Sadri) beschwert sich, dass sie nicht einmal einen eigenen Namen hat.
FOTO: THOMAS AURIN Macbeth (Christian Löber) ist die Lady (Gro Swantje Kohlhof, Projektion im Hintergrun­d) abhanden gekommen – und das kurz vor der Premiere. Und die Ersatzlady (Mahin Sadri) beschwert sich, dass sie nicht einmal einen eigenen Namen hat.

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