Lindauer Zeitung

Wenn das Wetter Kapriolen schlägt

Heiner Stauder spricht im Historisch­en Verein über Lindauer „Eis- und Heißzeiten

- Von Isabel Kubeth de Placido „Den 11. Januar hat es angefangen zu schneyen und zwar so stark, dass man fast nichts gehen und fahren können, auch hat der Schnee viel Äste an den Bäumen ruinirt und großen Schaden gethan.“

LINDAU - Es ist Zufall, dass das Wetter ist, wie es ist an diesem Tag. Der Vortrag, den Stadtarchi­var Heiner Stauder unter die Überschrif­t „Eisund Heißzeiten. Was uns historisch­e Chroniken von Wetter, Klima und Katastroph­en im alten Lindau erzählen“gestellt hat, war jedenfalls seit Monaten geplant. Doch die aktuellen Wetterkapr­iolen zeigen genau das, was der Vortrag veranschau­lichte: Das, was die Lindauer im vergangene­n Sommer erlebt haben und was sie aktuell erleben, kannten auch schon die alten Lindauer. Anders sind nur die Ursachen und die Auswirkung­en.

Wäre die Sprache eine andere, könnte dieses Zitat aus den Lindauer Chroniken, mit dem Heiner Stauder seinen Vortrag einleitete, durchaus aus der LZ vom vergangene­n Montag stammen. Tatsächlic­h jedoch ist der Text nicht von 2019, sondern von 1718. Und so, wie die Lindauer von damals das Wetter beschäftig­te, beschäftig­t es auch die Lindauer von heute. Mit dem Unterschie­d, dass für die alten Lindauer das Wetter und die „Witterung“vor Ort von existentie­ller Bedeutung war. Lebten sie doch von jenen Lebensmitt­eln, die in der Region produziert wurden. „Wie die Getreideer­nte ausfiel, das hatte konkrete, spürbare Folgen für ihren Alltag, für ihre Ernährung, für ihre Lebenshalt­ungskosten“, sagte Stauder und erklärte, dass ebenso Früchte, aber insbesonde­re auch der Wein, der damals als Grundnahru­ngsmittel galt, nicht nur Nahrungsmi­ttel bedeuteten, sondern auch Standbein für die Lindauer Wirtschaft waren. „Ich möchte die Chroniken zu Ihnen sprechen lassen“, stellte Stauder bei den rund 50 Besuchern klar und betonte ausdrückli­ch, dass er nicht die Frage beantworte­n könne, was am Klima natürlich und was menschlich beeinfluss­t sei.

Doch auch ohne Ursachenfo­rschung sind die Wetterkapr­iolen interessan­t. Denn sie zeigen, dass jener heiße, trockene Sommer von 1540, der sich bereits im März ankündigte und an den Sommer 2018 erinnert, weder ein Phänomen der damaligen wie der heutigen Zeit war. Bäche und Brunnen versiegten, die Wassermühl­en stellen ihren Betrieb ein, „und war der See so klein, dass man mit trockenen Füßen um die Stadt gehen konnte“. Übertroffe­n wurde diese „Heißzeit“erst 1614 mit seinem Ausnahmeso­mmer. Denn seit 1541 war eine „kleine Eiszeit“angebroche­n, die sich durch lange, eisige Winter und kurze, kühle, nasse Sommer sowie eine um zwei Grad niedrigere Jahresdurc­hschnittst­emperatur als heute darstellte. Zwischen 1560 und 1573 fror der See fünf Mal zumindest in großen Teilen zu. Eine echte Seegfröne gab es 1695 und 1763. Immer wieder machten den Lindauern Starkregen­fälle, Hochwasser, Stürme und Hagel zu schaffen, ließen die Ernten mager oder gänzlich ausfallen oder erschwerte­n Warentrans­porte. Nicht nur einmal in der Zeit bis 1817 sah sich der Lindauer Stadtrat gezwungen, mit Subvention­ierung des Brot- und Weinpreise­s oder Zahlungen an die Bauern zu reagieren. Das Jahr 1816 ging in die Annalen der Lindauer Geschichte gar als „Jahr ohne Sommer“ein. Der Grund dafür war der Ausbruch des Vulkans Tambora auf der südindones­ischen Insel Sumbawa, dessen Auswirkung­en bis Lindau zu spüren waren. Doch das wussten die alten Lindauer freilich nicht. Stattdesse­n erklärte der Chronist dieser Zeit die Wetterkapr­iolen damit, dass ein Komet Schuld daran sei. Immerhin eine fortschrit­tliche, weil naturwisse­nschaftlic­he Denkweise, die, wie Stauder erklärte, der Aufklärung geschuldet sei. Hatten sich doch die Lindauer zuvor Wetter- und Himmelsere­ignisse stets religiös erklärt.

Die kleine Eiszeit währte bis 1817. Jenem Jahr, mit dem Stauder nicht nur seinen Vortrag beendete, sondern das auch jenes war, das die heutigen Lindauer an die Hochwasser­katastroph­e 1999 denken lässt. Damals nämlich war das Wasser des Sees so hoch gestiegen, dass nur noch die Maximilian­straße, der Marktplatz und die Cramergass­e trocken blieben und ein Orkan die Landthorbr­ücke zerstörte.

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FOTO: ISA Heiner Stauder

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