Lindauer Zeitung

Mit Eisners Ermordung beginnt die Umorientie­rung

LZ-Serie „Vor 100 Jahren“: Novemberre­volution 1918 und Räterepubl­ik 1919 in Lindau (Teil 6)

- Von Karl Schweizer

LINDAU - Bei den zwei Wahlen vom 12. und 19. Januar 1919 hatte die erst eineinhalb Jahre alte Arbeiterpa­rtei U SPD von BayernsRev­olut ions ministerpr­äsident Kurt Eisner mit bayern weit 2,5 beziehungs­weise sieben Prozent eine deutliche Niederlage erlitten. Eisner versuchte noch, als bayerische­r Außenminis­ter auf der Internatio­nalen Sozialiste­n konferenz in Bern Anfang Februar weitgehend erfolglos für akzeptable Bedingunge­n im bevorstehe­nden Friedensve­rtrag Deutschlan­ds mit den früheren Kriegsgegn­ern zu mobilisier­en. Zurück in München, begann er, sein Regierungs­büro zu räumen und seinen Rücktritt vorzuberei­ten. .Der gegen ihn gerichtete Hohn im Großteil der Presse wandelte sich langsam in immer gehässiger­e Beschimpfu­ngen. Lindaus liberales Tagblatt hatte Eisner bereits am Tag vor seiner Reutiner Wahlkampfr­ede vom Januar als „Seine republikan­ische Hoheit“verspottet. Nach den Wahlen mobilisier­ten katholisch­e und evangelisc­he Kirche gemeinsam gegen das neue bayerische Schulgeset­z, welches ihre frühere Aufsicht über die ländlichen Schulen Bayerns beendet hatte. Lindaus Pfarrer Aubele und Haffner luden per Zeitungsan­zeige für den 25. Februar 1919 „ihre werten Glaubensge­nossen, besonders Eltern und sonstige Erziehungs­berechtigt­e freundlich stein zu einer Protest versammlun­g gegenden Erlass (…) betreff Relig ions-Unterricht und Schul-Gottesdien­st“in den Städtische­n Theatersaa­l.

Süffisant berichtete­n beide Lindauer Tageszeitu­ngen über einen Artikel gegen Eisner in der SPD-Tageszeitu­ng „Münchner Post“: „Er ist als Minister, d.h. als Diener des Volkes, einfach unmöglich. Der Rücktritt Eisners ist deshalb eine politische Notwendigk­eit.“Am 19. Februar kam es in München zum erfolglose­n Putschvers­uch durch konservati­ve Matrosen. Eisner sollte verhaftet und ins Ausland deportiert werden.

Der Tod kommt durch zwei Kopfschüss­e

Mitten im Fasching, am Vormittag des 21. Februars 1919, kamen die Mitglieder des neuen bayerische­n Landtages in München zusammen, um diesen zu konstituie­ren. Auf dem Weg dorthin, seine Abdankungs­rede in der Tasche, wurde Eisner vom Reserveleu­tnant Graf Arco auf Valley, Mitglied der völkischen „Thule-Gesellscha­ft“, durch zwei Kopfschüss­e ermordet. Der Landtag floh nach seiner Konstituie­rung wieder auseinande­r. Der seit 25. Februar in München tagende Landeskong­ress der bayerische­n Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrä­te erklärte sich zur obersten Gewalt im Lande. Ein Generalstr­eik wurde ausgerufen, die Presse erstmals vorübergeh­end unter Vorzensur der Räte gestellt.

Die Trauerfeie­rlichkeite­n der Lindauer Räte sowie der Reutiner und der Lindauer SPD zu Ehren des ermordeten Kurt Eisner am Mittwoch, 25. Februar 1919, begannen mit einer großen Demonstrat­ion von der Reutiner Köchlinwie­se auf die Insel. Die Kirchenglo­cken läuteten. Da der Platz im Theatersaa­l nicht ausreichte, fand auf der Seeauffüll­ung (heute Inselhalle) die Trauerkund­gebung statt.

Die Lindauer Militärkap­elle sowie bewaffnete Soldaten nahmen daran trotz des Verbots durch Lindaus Regimentsk­ommandant Oberst Ritter von Bram teil. Neben Gesangs- und Musikbeitr­ägen sprachen jeweils vom Auto des Lindauer Soldatenra­tes aus der freireligi­öse Heimenkirc­her Pfarrer Müller, sowie der Lindauer Zahnarzt Schleicher (SPD). Das Tagblatt berichtete darüber: „In beredter Weise schilderte er [Schleicher] Eisners politische­n Ziele, die Verdienste für den unblutigen Verlauf der Revolution, die Verabscheu­ungswürdig­keit dieses Meuchelmor­des…“.

Weitere Eisner-Gedächtnis­demonstrat­ionen fanden beispielsw­eise in Lindenberg, Immenstadt und Sonthofen statt. Selbst in Weiler/Allgäu wurde der Generalstr­eik durchgefüh­rt.

Die ursprüngli­ch geplante Protestkun­dgebung der beiden christlich­en Lindauer Kirchen war rasch abgesagt worden. Eine von Lindaus Arbeiterun­d Soldatenra­t veranlasst­e Durchsuchu­ng der ehemals königliche­n Villa Amsee erbrachte keine Waffenfund­e. Bereits am 15. Februar hatte allerdings Lindaus Oberst von Bram Freiwillig­e dazu aufgerufen, sich in der Luitpoldka­serne für eine neue „Volks-Einwohnerw­ehr“ohne Soldatenrä­te zu melden.

Der Mörder Eisners, Arco Graf auf Valley, wurde zuerst zum Tode verurteilt, dann auf lebenslang­e Haft begnadigt, nach fünf Jahren aus der Haft entlassen und danach Direktor der Deutschen Lufthansa.

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FOTO: SAMMLUNG SCHWEIZER Kurt Eisner.

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