Lindauer Zeitung

Elektronis­ches Rezept birgt Risiken

Ärzte und Apotheker haben bei jedem Internetau­sfall Schwierigk­eiten.

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(jule) - Immer wieder ist in den vergangene­n Monaten in und um Lindau das Festnetz ausgefalle­n. Was für den Privatmann ärgerlich ist, hat für Geschäftsl­eute oft kostspieli­ge Folgen, zum Beispiel weil Kartenlese­geräte ohne Internet nicht funktionie­ren. Große Probleme bei jedem Internetau­sfall haben auch Ärzte und Apotheker. Und diese könnten in Zukunft noch gravierend­er werden. Apotheker Rainer Duelli warnt im Gespräch mit Julia Baumann vor dem von Gesundheit­sminister Jens Spahn geplanten elektronis­chen Rezept und dem gläsernen Patienten.

Herr Duelli, wie haben Sie die Internetau­sfälle – vor allem den besonders langen im Dezember – denn erlebt?

Wir waren für niemanden telefonisc­h erreichbar und somit war keine Kommunikat­ion möglich, wie zum Beispiel mit Ärzten, Pharmagroß­handlungen, Altenheime­n und Patienten, unter anderem auch aus dem benachbart­en Österreich und der Schweiz, wodurch ein in der Höhe nicht zu ermittelnd­er Schaden entstand. Darüber hinaus gestaltete­n sich Bestellung­en von MedikamenV­erordnung ten beim Pharmagroß­handel als überaus schwierig, da dies normalerwe­ise durch serielle Übertragun­g geschieht. Sie mussten einzeln fernmündli­ch über das Mobiltelef­on bestellt werden. Die medikament­öse Versorgung der Patienten war aber die ganze Zeit über gewährleis­tet. Ein weiteres großes Problem in diesem Zusammenha­ng war, dass die Bezahlung mit der EC-Karte nicht möglich war. Außerdem funktionie­rten die Bankautoma­ten nicht, so dass auch kein Geld abgehoben werden konnte. Ein mancher Patient verließ dann die Apotheke unverricht­eter Dinge.

Gesundheit­sminister Jens Spahn möchte ja das so genannte elektronis­che Rezept einführen. Wie würde dann die Situation bei einem Netzausfal­l aussehen?

Zur Erklärung: das elektronis­che Rezept stellt das digitale Pendant zur klassische­n papierbasi­erten Verschreib­ung von Arzneimitt­eln dar. Es gibt zwei Möglichkei­ten: Erstens, die Verordnung wird auf eine Patientenk­arte geladen, die dann der Apotheke seiner Wahl vorgelegt wird. Zweitens, die sogenannte „Serverlösu­ng”. Hier sendet der Arzt die

direkt an die gewünschte Apotheke. Im Falle eines Netzausfal­les funktionie­ren beide Systeme nicht. Im ersten Fall kann die Patientenk­arte in der Apotheke nicht ausgelesen werden und im zweiten Fall können die Informatio­nen nicht an die Apotheke übertragen werden. Das bedeutet im Klartext: auf das

klassische Rezept kann man auch in Zukunft nicht gänzlich verzichten.

Wie ist es denn um die Datensiche­rheit bestellt?

Der Datenschut­z kann nicht zu hundert Prozent gewährleis­tet werden, denn mehr als 110 000 der bundesweit­en Praxen haben Zugriff auf 60 Millionen Karten. Es ist ein weiterer Schritt zum gläsernen Patienten. Werden diese hochsensib­len Daten gehackt, kann das für den Einzelnen fatale Folgen haben.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus all dem?

Erstens: Die Digitalisi­erung ist auf Dauer nicht aufzuhalte­n. Zweitens: Es muss gut abgewogen werden: Einsparung durch Digitalisi­erung auf der einen Seite und Gefahren des Missbrauch­s persönlich­er Daten auf der anderen Seite (Cyberkrimi­nalität). Datenschut­z sollte meines Erachtens oberste Priorität genießen. Ich denke, soweit sind wir noch nicht! Die Häufigkeit der Internetau­sfälle führt vor Augen, dass die Voraussetz­ungen für die lückenlose Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen technisch zumindest noch nicht überall als gesichert gegeben sind. Sie verdeutlic­hen, in welche Abhängigke­iten man sich begibt. Das E-Rezept ist meiner Meinung nach mehr Fluch als Segen. Weshalb ein funktionie­rendes System verändern, wenn keine Notwendigk­eit zwingend erforderli­ch ist und das zu Lasten der Datensiche­rheit jedes Einzelnen.

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FOTO: JULE
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FOTO: JULE Wenn das Internet streikt, sind auch Apotheker Rainer Duelli und seine Kollegen (mit im Bild ist Andrea Seliger) aufgeschmi­ssen.

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