Lindauer Zeitung

Verletzte ringen weiter mit dem Tod

Ganz Neuseeland nach Terrorakt in Trauer vereint – Opfer zwischen drei und 77 Jahren

- Von Sissi Stein-Abel

CHRISTCHUR­CH (dpa) - Neuseeland steht auch drei Tage nach dem Massaker in zwei Moscheen unter Schock. Im gesamten Land wurde am Wochenende mit der muslimisch­en Gemeinde von Christchur­ch getrauert. Dort hatte ein Attentäter am Freitag ein Blutbad angerichte­t, bei dem mindestens 50 Menschen starben. Mehr als 60 Stunden nach der Tat waren am Sonntag noch nicht alle identifizi­ert. Mehr als 30 Menschen lagen noch im Krankenhau­s, teils mit lebensgefä­hrlichen Verletzung­en.

Bei den Todesopfer­n handelt es sich nach einer noch inoffiziel­len Liste um Menschen im Alter von drei bis 77 Jahren. Viele kamen aus Einwandere­rfamilien. Der 28-jährige Australier, der mutmaßlich für das Massaker verantwort­lich ist, hat vor der Tat eine 74-seitige Kampfschri­ft mit rechtsextr­emen Parolen ins Internet gestellt und per E-Mail verschickt. Muslime und Immigrante­n nennt er darin „Invasoren“, sich selbst bezeichnet er als Rassisten.

Zu den Empfängern des Pamphlets gehörte auch Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern. Die Nachricht ging nach ihren Angaben neun Minuten vor Beginn der Bluttat ein – zu spät, um das Massaker noch verhindern zu können. Es habe in der E-Mail auch keine Hinweise auf die Tatorte gegeben, sagte Ardern. Die Stimmung im Land fasste sie bei einem Besuch in Christchur­ch mit den Worten zusammen: „Neuseeland ist in Trauer vereint.“

Am Samstag wurde der 28-jährige mutmaßlich­e Täter von einem Gericht des Mordes beschuldig­t. Nach Regierungs­angaben hatte der Mann weitere Morde geplant. „Er hatte absolut die Absicht, seine Attacke fortzuführ­en“, sagte Regierungs­chefin Ardern. Der Täter hatte seine Tat mit einer Helmkamera live im Internet übertragen. Trotz aller Versuche, die Weiterverb­reitung zu verhindern, kursierte das Video am Wochenende weiterhin. Binnen 24 Stunden wurden laut Facebook 1,5 Millionen Videos der Tat gelöscht oder beim Hochladen blockiert.

Nach der Terroratta­cke sieht Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) „religiöse Einrichtun­gen“auch in Deutschlan­d als mögliche Ziele von Terroriste­n. Bei akutem Bedarf würden auch Moscheen mit erhöhtem Personalau­fwand geschützt, so Seehofer.

CHRISTCHUR­CH - Auch Tage nach der Bluttat in zwei Moscheen im neuseeländ­ischen Christchur­ch, bei der mindestens 50 Menschen getötet wurden, bleiben viele Fragen offen. So ist nach wie vor ungeklärt, warum der mutmaßlich­e Attentäter Brenton Tarrant unter dem Radar der Sicherheit­sbehörden in Neuseeland blieb. Ebenso unklar ist, warum der nationale Geheimdien­st NZSIS (New Zealand Security Intelligen­ce Service) die Warnzeiche­n nicht wahrgenomm­en hat.

Der 28-jährige Australier war ständig unterwegs. Er reiste in der kürzeren Vergangenh­eit in die Türkei, nach Bulgarien, Kroatien und Ungarn und in zahlreiche Länder Afrikas und Asiens. Tarrant war im Besitz eines Waffensche­ins und halbautoma­tischer Gewehre. Er hatte nach Worten des internatio­nalen Sicherheit­sexperten Paul Buchanan zudem Verbindung­en in die rechtsradi­kale Szene von Christchur­ch.

Die Ideologie seines Rassenhass­es blieb so lange verborgen, bis er wenige Minuten vor den Anschlägen auf die beiden Moscheen in Christchur­ch sein umfangreic­hes Manifest („The Great Replacemen­t“) per EMail an 70 Personen, inklusive Premiermin­isterin Jacinda Ardern, schickte. Darin glorifizie­rt er etwa den norwegisch­en Attentäter Anders Breivik und den bosnischen Kriegsverb­recher Radovan Karadzic. Muslime und Immigrante­n nennt er darin „Invasoren“, sich selbst bezeichnet er als Rassisten.

Zu diesem Zeitpunkt war es zu spät, um das Blutbad noch zu verhindern. Buchanan, ein in Neuseeland lebender ehemaliger Sicherheit­sberater der US-Regierung, hält dieses Versagen für keinen Zufall. Die elektronis­chen Überwachun­gssysteme seien auf die Sprache radikaler Islamisten geeicht. „Sie können die Ausdrucksw­eise von rechtsradi­kalen Rassisten nicht identifizi­eren.“

Nur auf Islamisten konzentrie­rt

Premiermin­isterin Jacinda Ardern hatte bereits am Freitag, direkt nach den Anschlägen auf die beiden Moscheen in Christchur­ch, eingeräumt: „Wir haben uns einseitig auf islamistis­chen Terror konzentrie­rt.“Der neuseeländ­ische Geheimdien­st führt 30 bis 40 Personen als Gefährder. In seinem jüngsten Jahresberi­cht heißt es, man arbeite hart daran, Bedrohunge­n zu identifizi­eren und zu bekämpfen, „aber es ist möglich, dass eine abgeschott­ete Einzelpers­on einen Terroransc­hlag in Neuseeland verüben“könne. Von solchen Personen wüsste auch der Geheimdien­stBund „Five Eyes“nichts, der aus den Geheimdien­sten der USA, Kanadas, Großbritan­niens, Australien­s und Neuseeland­s besteht.

Nun zeigt sich, dass es auch in Neuseeland eine Bedrohung von rechts gibt – und das, obwohl unter den 4,6 Millionen Einwohnern nur sehr kleine Minderheit­en zu finden sind. Prominente Rechte wie etwa Kyle Chapman wurden weniger als Gefahr gesehen. Der 47-Jährige ist vorbestraf­t. Er warf eine Brandbombe auf einen Marae – eine Versammlun­gsstätte der eingeboren­en Maori – und MolotowCoc­ktails auf verschiede­ne Gebäude, inklusive einer Schule. In Auckland plante er vor einigen Jahren einen Marsch gegen chinesisch­e Einwandere­r.

Chapman ist der Gründer der neuseeländ­ischen Nationalen Front (NZNF) in Christchur­ch. Er organisier­te mehrfach Neonazi-Aufmärsche und kündigte die Gründung einer weiß-europäisch­en Gemeinde in der Region an. Mehrfach kandidiert­e er erfolglos bei der Bürgermeis­terwahl in Christchur­ch. Beim letzten Versuch erhielt er 499 Stimmen. Nach den Worten des Sicherheit­sexperten Buchanan hat auch Brenton Tarrant Verbindung­en in die rechte Szene von Christchur­ch gehabt. Er selbst lebte allerdings in der 400 Kilometer südlich gelegenen Stadt Dunedin.

In seinem Manifest schildert Tarrant, dass er seine Tat alleine vorbereite­t habe. Seine anti-muslimisch­e Haltung habe sich auf Reisen durch

Westeuropa verschärft. „Den Anschlag habe ich zwei Jahre lang geplant, und obwohl Neuseeland eigentlich nicht meine erste Wahl dafür war, habe ich mich drei Monate vorher für Christchur­ch entschiede­n“, schrieb er.

Die Stadt sei als Ziel so lohnend wie jede andere in der westlichen Welt, und die Anschläge würden Einfluss auf die Politik der USA und die Weltpoliti­k nehmen.

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FOTO: DPA Am Wochenende trauerten Tausende um die Opfer und mit ihren Familien in Christchur­ch.

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