Wenn ein Prinz Prinzipien hat
Hans Werner Henzes Oper „Der Prinz von Homburg“an der Staatsoper Stuttgart spielt in kafkaesken Räumen
STUTTGART - Dass es fatale Folgen haben kann, wenn auch für einen Prinzen Prinzipien gelten, hat Heinrich von Kleist 1810 literarisch durchexerziert. Aus seinem Drama „Der Prinz von Homburg“destillierte Ingeborg Bachmann in den späten 1950er-Jahren ein Libretto für die gleichnamige Oper des mit ihr befreundeten Komponisten Hans Werner Henze. Stephan Kimmig hat den 1960 in Hamburg uraufgeführten Dreiakter jetzt an der Stuttgarter Staatsoper neu inszeniert. Vom Premierenpublikum wurde die Produktion einhellig gefeiert.
Die Handlung der Oper wirkt seltsam aus deren Entstehungszeit gefallen. Erst recht gilt dies für ihre sprachliche Aufbereitung. Der junge Prinz von Homburg träumt von seinem Sieg in der Schlacht und von der Vereinigung mit Prinzessin Natalie, der Nichte des Kurfürsten von Brandenburg, die er innig liebt. In seinem somnambulen Zustand überhört er die Weisung, mit seinem Regiment erst auf ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten einzugreifen. Sein eigenmächtiger Angriff führt jedoch zum Sieg. Wegen Befehlsverweigerung soll er hingerichtet werden.
Eine Begnadigung knüpft der Kurfürst an die Bedingung, der Prinz solle das Urteil als ungerecht bezeichnen, was dieser jedoch stur ablehnt. Da er nach wie vor das Vertrauen seiner Offiziere genießt, lässt sich der Kurfürst im letzten Moment erweichen. Bei Henze soll dieses merkwürdig altmodische Happy-End auf eine utopische Gesellschaft zielen, in der auch Gefühlen und Intuitionen eines Träumers Platz eingeräumt wird. Damit kollidiert freilich der „preußisch“anmutende Starrsinn des Prinzen, der seine Rettung nicht einer Ausnahme vom Gesetz verdanken will.
Kimmig verzichtet von vornherein darauf, die vom Text erzählte Geschichte realistisch in Szene zu setzen. Auf der von Katja Haß ausgestatteten Bühne beginnt hinter einer betonartig grauen Barriere, die als Vorhang dient, eine kafkaesk irreale Traumwelt. Leitern stehen im Dunkeln. An der Decke flackern zuckende Blitze defekter Neonröhren (Beleuchtung: Reinhard Traub). Im grellen Gegenlicht von Taschenlampengefunzel und baumelnden Glühbirnen werden Gestalten sichtbar. Später, wenn es hell wird in die- sen Seelenräumen, schauen wir in eine heruntergekommene Sporthalle. Männer und Frauen in karminroten Trainingsanzügen mit gelben Seitenstreifen (Kostüme: Anja Rabes) exekutieren gymnastische Übungen. Kleidung und Frisuren der Protagonisten verweisen auf die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders. Nach Bekanntgabe des Schlachtplans schmieren sich Männer in Unterwäsche in einem weiß gekachelten Raum Blut auf Brust und Arme. Ein schwarzgewandeter Samurai schlägt sein Schwert zu lautem Knall aus dem Orchestergraben in die Luft.
Während nach der Schlacht Stoffpuppenreste auf einem Schubkarren zum Sperrmüll weggefahren wer- den, cremt sich die Kurfürstin mit Nivea ein. Die minutiös ausgearbeitete und großartig umgesetzte Gestik der Darsteller bringt eine rituelle Note ins Spiel. Farbflimmern an den Wänden und dezente Videoprojektionen (Rebecca Riedel) schaffen im Schulterschluss mit Henzes Musik eine starke surreale Atmosphäre, an der sich Bachmanns Texte verfremdend reiben wie die verknöcherte politische Realität ihrer Zeit am Traum von einem freigeistigen Brandenburg alias Deutschland.
Für vokalen Glanz sorgen bei dieser Stuttgarter Erstaufführung von Henzes Kleist-Oper Robin Adams als stimmlich robuster Prinz, Vera-Lotte Böcker als leuchtkräftig singende Natalie, Stefan Margita und Helene Schneiderman als kurfürstliches Paar sowie Moritz Kallenberg (Feldmarschall Hohenzollern), Michael Ebecke (Kottwitz) und weitere Mitglieder des Ensembles.
Vorbildliches Orchester
Chefdirigent Cornelius Meister hat sich für die vom Komponisten 1991 revidierte Fassung der Partitur entschieden. Das Staatsorchester Stuttgart entfaltet ihre theatertauglichen Qualitäten vorbildlich. Zwölftönig spröde Passagen wirken heute eher als Konzession an damaligen Zeitgeist. Daneben werden auch traditionelle musikalische Chiffren bedient. Tiefe Streicherbässe künden bedrohlich von Unheil. Wenn von Fanfaren die Rede ist, sind sie alsbald zu hören. Kriegsthematik im Text ruft Marschrhythmen und scharfe Blechbläserdissonanzen auf den Plan.
Dass gegen Ende das lehrstückhafte Durchdeklinieren der Konstellation Gesetzestreue versus Gefühlstreue auch in Kimmigs spannender Inszenierung etwas holzschnittartig schematisch daherkommt, liegt am Stück. Am Ende lässt der Regisseur klug offen, ob auch die Aufhebung des Todesurteils nur geträumt wird. Der Titelheld wird mit Augenbinde unter eine hohe Bockleiter geführt, von der ein Strick baumelt. Die Szene mutet eher wie der Alptraum einer Scheinhinrichtung an. Bitteres Erwachen könnte folgen.