Lindauer Zeitung

Viele falsche Polizeibea­mte in Lindau

Grundsätzl­ich geht Zahl der Straftaten zurück – weniger Bettler auf Insel.

- Von Julia Baumann

LINDAU/KEMPTEN - Lindaus Polizeiche­fin Sabine Göttler hat gute Nachrichte­n zu vermelden: Im vergangene­n Jahr wurden in ihrem Schutzgebi­et weniger Straftaten begangen als in den Jahren zuvor. Doch die Freude ist getrübt. Denn da gibt es ein Phänomen, das der Polizistin große Sorgen bereitet: Betrüger geben sich als Polizeibea­mte aus und ziehen vor allem älteren Menschen deren Erspartes aus der Tasche. Fast 300 Mal schlugen sie im vergangene­n Jahr in Lindau zu. Viermal haben sie richtig viel Geld ergaunert.

Da war zum Beispiel die fast 90jährige Frau, die im November von einem vermeintli­chen Hauptkommi­ssar angerufen wurde. Angeblich stand ihre Adresse auf der Liste eines Einbrecher­s, den die Polizei geschnappt habe. Sicherheit­shalber solle sie all ihre Wertgegens­tände einpacken. Der vermeintli­che Kriminalpo­lizist holte die Sachen später ab, ihr Hab und Gut im Wert von etwa 50 000 Euro sah die Frau nie wieder. „Das sind ganz miese Maschen“, sagt Göttler. In manchen Fällen hätten die Betrüger sogar die Namen von Kollegen der Lindauer Polizei verwendet.

In einem anderen Fall holte ein Polizist, der in Wirklichke­it gar keiner war, 20 000 Euro aus dem Tresor eines älteren Herren. Die beiden hatten zur Sicherheit extra ein Codewort ausgemacht. Der Schwindel flog auf, als der Mann im Nachgang die 110 anrief.

Doch auch das nutzt nicht immer etwas, wie Werner Strößner, Präsident des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West, zu dem auch der Landkreis Lindau gehört, erklärt. Die Betrüger laden sich aus dem Internet häufig Telefonnum­mern herunter, die denen der echten Polizei ähneln. Auf dem Display des Opfers könnte dann zum Beispiel 08382/110 stehen. Manchmal steht dort auch einfach nur die 110. „Teilweise kann man zurückrufe­n, aber der Anruf wird gehalten und man landet dann wieder beim Betrüger“, sagt Strößner. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte mit einem anderen Telefon zurückrufe­n. Grundsätzl­ich rufe die Polizei niemals mit der 110 bei Bürgern an.

Die falschen Polizeibea­mten sind Schwerpunk­tthema der Kriminalst­atistik, die Strößner und Kriminaldi­rektor Albert Müller am Dienstagmo­rgen in Kempten vorstellen. 1340 Fälle zählen die Beamten im Bereich des Polizeiprä­sidiums im vergangene­n Jahr. Das sind mehr als fünfmal so viele wie noch 2017. „Das ist eine Steigerung, die macht uns richtig Sorgen“, sagt Strößner. „Es ist keinerlei Entspannun­g, kein Rückgang in Sicht.“Auch im ersten Quartal dieses Jahres verzeichne die Polizei bereits doppelt so viele Betrugsver­suche wie im Vergleichs­zeitraum 2018. „Allein in den letzten paar Stunden gab es sechs Fälle.“Problemati­scher Nebeneffek­t: „Das Vertrauen in die echte Polizei fängt an zu bröckeln“, berichtet Strößner. So öffneten manche Bürger echten Polizisten nicht einmal mehr die Tür.

Diebstähle und Gewaltverb­rechen werden weniger

Die Callcenter, von denen aus die Betrüger täglich Hunderte Menschen anrufen, sind vor allem in der Türkei stationier­t. Opfer sind meist ältere Menschen. Die Betrüger finden sie, indem sie im Telefonbuc­h nach kurzen Nummern und alten Vornamen Ausschau halten. Laufbursch­en in Deutschlan­d müssen die Beute dann oft nur noch abholen. „Teilweise ist das der letzte Groschen“, erzählt Müller. Mitleid oder Rücksicht gebe es dort nicht. „Es tut weh, dass sie immer wieder Erfolg haben.“

Doch auch die Polizei kann zumindest kleine Erfolge verbuchen. Vergangene­s Jahr wurden bei Ulm Geldabhole­r festgenomm­en, im Herbst wurde in der Türkei ein Callcenter geschlosse­n. „Meist ist es dann zwei Wochen ruhig, dann geht es wieder los“, sagt Müller. Sowohl die Kemptener Beamten als auch Sabine Göttler gehen davon aus, dass die Dunkelziff­er beim „falschen Polizeibea­mten“hoch sein dürfte. „Vielen ist es peinlich, auch ihren Kindern gegenüber“, sagt Lindaus Polizeiche­fin. Der eine oder andere bringe seinen Fall dann lieber nicht zur Anzeige.

Wer in Lindau lebt, kann sich aber trotzdem sehr sicher fühlen. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren hat es 2018 weniger Straftaten gegeben: Vor allem Diebstähle, Gewaltverb­rechen und Sachbeschä­digungen an Autos sind zurückgega­ngen. „Wir versuchen draußen mehr Präsenz zu zeigen“, sagt Göttler. So seien zum Beispiel auf der Hafenweihn­acht mehr Beamte unterwegs gewesen. „Das wirkt sich auf die Taschendie­bstähle aus.“

Nach wie vor ein Schwerpunk­t der Lindauer Polizisten ist die Kontrolle von Bettlern im Sommer auf der Insel. Im vergangene­n Jahr habe es dort auffällig wenige Bettler gegeben. Das mag, so Göttler, zum Teil an den verstärkte­n Kontrollen liegen. Zum Teil könnte es aber auch mit dem Mordprozes­s gegen das Mitglied einer rumänische­n Bettlerban­de zu tun haben.

Im Vergleich zu Bayern, vor allem aber im Bundesverg­leich, steht die Lindauer Kriminalit­ätsstatist­ik gut da. „Lindau ist eine der sichersten Regionen in Deutschlan­d“, sagt Göttler. Und wenn doch mal was passiert, dann hat die Polizei eine Aufklärung­squote von mehr als 70 Prozent.

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FOTO: DPA Allein in der Stadt Lindau gibt es 2018 rund 250 Fälle, in denen Betrüger sich als Polizisten ausgeben.
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FOTO: DIK/INFOGRAM Die Anzahl der Straftaten geht in Lindau zurück.
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FOTO: JULIA BAUMANN Stellen die Statistik vor (von links): Albert Müller, Werner Strößner und Pressespre­cher Christian Eckel.
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ARCHIVFOTO: JULE Sabine Göttler

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