Ihr Ziel: „Es muss Lindau guttun“
LZ-Serie zum Jubiläum 100 Jahre Wahlrecht für Frauen – Heute: Miriam Krätschell
LINDAU - Mit Miriam Krätschell – sie ist Stadträtin der Freien Wähler Lindau – ein Klischee zu bedienen, ist schlichtweg nicht möglich. Die 37Jährige sieht sich sowohl in ihrem Beruf, sie ist Rechtsanwältin, als auch in der Kommunalpolitik absolut auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen.
Ihr Weg in die Kommunalpolitik war nicht geplant. Miriam Krätschell ist in Lindau aufgewachsen. Zum Jurastudium wechselte sie nach Augsburg, und nach dem ersten Staatsexamen nach Frankfurt, absolvierte dort ihr Referendariat und den Start ins Berufsleben. Daneben engagierte sie sich in der freiwilligen Bewährungshilfe und half in der Obdachlosenküche aus. 2012 bekam sie ein Angebot von einer Lindauer Anwaltskanzlei. Den Schritt zurück in die Heimat habe sie nie bereut. „Ich fühle mich sehr wohl hier. Ich liebe Lindau“, sagt sie. Und diese Liebe sei ein – guter – Grund, sich kommunalpolitisch zu engagieren, weiß sie heute.
Vor sieben Jahren wollte sie außer dem Beruf etwas Sinnvolles tun und war deshalb auf der Suche nach einem Ehrenamt. In dieser Zeit wurde sie von Jürgen Müller von der Lindau Initiative angesprochen. „Ich war bis hierher nie politisch aktiv. Aber ich wollte schauen, was da eigentlich auf kommunalpolitischer Ebene passiert“, erinnert sie sich. Und auch an ihr Erstaunen, als sie plötzlich auf Platz zwei der Liste steht und in den Stadtrat gewählt wird. „Dazu kam ich wirklich wie die Jungfrau zum Kind“, erzählt sie mit einem Lachen. Sie hätte Nein sagen können, „aber ich habe mich gefreut, dachte, okay, die Herausforderung nehme ich an. Manche Leidenschaft entdeckt man erst, im Tun.“
Sie sprang ins kalte Wasser und machte sich mit den Projekten vertraut. Im Mai 2017 wechselte sie die Fraktion, wurde Mitglied der Freien Wähler Lindau. Fühlte sich politisch am richtigen Platz. „Es ist gut zu sehen, wie viel Positives sich in Lindau bewegt. Es sind besondere Jahre in Lindau, in denen so viel abgearbeitet wird. Es ist ein schönes Gefühl, Teil der Entscheidungen zu sein.“
Sie sehe sich dabei als Teil der Fraktion, als Teil des gesamten Stadtrates und erlebe Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Muss nie „ihren Mann stehen“, um akzeptiert zu sein. Natürlich werde nicht immer Kuschelkurs gefahren, es werde hart diskutiert. Ein Redebeitrag werde auch mal auseinandergenommen. Aber nie mit dem Hinweis „typisch Frau.“Das könnte sie auch gar nicht verstehen. „Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass Männer und Frauen gleich sind, werde immer auf Augenhöhe behandelt. Ich glaube auch nicht, dass ich als Anwältin einen Fall gewinne oder verliere, weil ich eine Frau bin.“In der Kommunalpolitik erlebe sie das ebenso. Es gebe viele Themen, in die müsste jedes Stadtratsmitglied sich einarbeiten, recherchieren, nachforschen. Fragen stellen. Das sei nicht typisch weiblich oder männlich. „Ob Frau oder Mann, es muss das Interesse an der Sache vorhanden sein, sowie die Bereitschaft, Zeit aufzuwenden, um auch Dinge zu verstehen, die einem zuvor fremd waren.“Natürlich denke sie darüber nach, warum so wenig Frauen in der Kommunalpolitik zu finden sind. Gerade jetzt, wo die Kommunalwahlen bevor tehen. „Grundsätzlich soll ein Gremium wie der Stadtrat ein Abbild der Gesellschaft sein, in der die Frauen rund 50 Prozent ausmachen. Und jetzt schauen wir unseren Stadtrat an: 31 Personen, davon sechs Frauen. Also definitiv sind Frauen unterrepräsentiert.“Aber sie stelle sich die Frage, wo eine Frau anders reagieren würde als ein Mann? „Fehlen Frauen nur, weil Zahlen uns das vorgeben? Oder fehlen sie tatsächlich, weil sie anders abstimmen als Männer?“
Frauenquote? Bitte nicht
Sie selbst gehe absolut pragmatisch und rational an Themen heran. Wäge Pro und Contra ab und komme so zum Ergebnis, das ihr praktisch und sinnvoll erscheine. Das Ziel laute immer: „Es muss Lindau guttun“. Egal ob ein Mann oder eine Frau die Entscheidung trifft. „Ich halte von einer Frauenquote gar nichts. Weil ich es überhaupt nicht sinnvoll finde, gut qualifizierte Männer, die auch wirklich Interesse an der Sache haben, abzulehnen, nur, um mehr Frauen reinzubekommen, damit ich eine Quote erfülle, die mir am Schluss keinen Vorteil bringt. In der Politik, in der Arbeit, in der Gesellschaft – es kommt auf die Persönlichkeit, die Qualifikation, die Kompetenz an, und auf die Leidenschaft“, sagte sie. Dennoch wünsche sie sich – ganz unrational – mehr Frauen in der Politik. Die Problematik sieht sie in der Zeitfrage. Einer Frau, die neben der Familie fast immer noch einen Job hat, fehlt die Zeit schlichtweg. „Es liegt nicht am politischen Desinteresse der Frauen. Da bin ich mir sicher.“
Auch die vorherrschende Meinung der Gesellschaft spiele eine Rolle. Frauen werden zwanghaft als Mütter gesehen. Frauen stehen dadurch unter Druck, weiß sie aus eigener Erfahrung. „Ich habe letztes Jahr geheiratet und werde seither ständig gefragt, wann denn die Kinder kommen“, erzählt sie. Und dass sie auf völliges Unverständnis stoße, wenn sie antworte, dass sie noch nicht wisse, ob sie überhaupt Kinder wolle.
Eine Lösung für das Zeitproblem hat sie nicht. Sie wünscht sich aber, dass junge Frauen, die noch keine Familie haben, und Frauen, deren Kinder aus dem Gröbsten heraus sind, mitreden. „In der Kommunalpolitik sieht man jeden Tag, was man bewirkt hat. Sie ist die beste Art und Weise, Zukunft mitzugestalten. Jede Stimme zählt genau gleich viel. Hier kann eine Frau genau gleich viel erreichen wie ein Mann.“