Lindauer Zeitung

Rasen, drängeln, rechts überholen

Im Straßenver­kehr fallen meist Männer in PS-starken Autos durch aggressive­s Verhalten auf

- Von Michael Munkler

ALLGÄU - Die Beamten der Polizei im Lindauer Hinterland konnten ihn erst nach einer wilden Verfolgung­sjagd stoppen. Auf der A 96 südlich von Wangen hatte sich ein 76 Jahre alter Autofahrer so richtig ausgetobt: Durch dichtes Auffahren und mit der Lichthupe zwang er eine 41 Jahre alte Autofahrer­in, auf die rechte Fahrspur zu wechseln. Danach überholte der Senior mehrere Autos rechts, drängte andere ab und scherte derart eng vor einem anderen Fahrzeug ein, dass es fast zu einer Berührung der beiden Wagen gekommen wäre.

Unter dem Oberbegrif­f „Aggression­sdelikte“registrier­t die Polizei solche Taten. Für die Beamten Christian Larisch und Christoph Hausner von der Verkehrspo­lizeiinspe­ktion (VPI) in Kempten gehören aggressive Fahrer zum Berufsallt­ag. „Drängeln, Missbrauch der Lichthupe und Ausbremsen sind die Klassiker“, berichtet Polizist Larisch. Ob die Fallzahlen zugenommen haben? „Nein“, sagt der Beamte. Doch wie sein Kollege hat er den Eindruck, „dass die Intensität der Delikte zunimmt“. Will heißen: Diejenigen, die erwischt oder angezeigt werden, sind immer rücksichts­loser unterwegs gewesen. Über 400 Fälle werden pro Jahr bei der Polizei im gesamten Allgäu angezeigt. Diese Zahl war in den vergangene­n Jahren recht stabil. Und für Larisch steht fest: die Dunkelziff­er sei enorm hoch, weil die wenigsten Aggression­sdelikte auf den Straßen angezeigt werden.

Meistens sind’s die Männer

Unfallfors­cher Siegfried Brockmann hat sich im Auftrag des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft mit den Folgen aggressive­n Verhaltens im Straßenver­kehr beschäftig­t. Demnach führen deutliche Tempoübers­chreitunge­n, riskantes Überholen, Schneiden und zu dichtes Auffahren zu einem Drittel aller tödlichen Autounfäll­e. Aus der Statistik der Allgäuer Polizei geht zudem hervor, dass es in den allermeist­en Fällen männliche Autofahrer sind, die sich auf der Straße austoben. Von 2100 in den vergangene­n fünf Jahren angezeigte­n Fällen saßen 1700-mal Männer hinterm Lenkrad. Bei einer Umfrage hatten sich 44 Prozent der Männer selbst als „mindestens latent aggressiv“bezeichnet, aber immerhin auch 39 Prozent der befragten Frauen. Polizist Larisch hat so etwas wie den typischen Drängler vor Augen: Häufig seien das Leute, die geschäftli­ch viel unterwegs sind. Meist fahren sie nach seinen Worten Autos aus dem Premiumseg­ment. Das liegt auch auf der Hand, denn mit einem Kleinwagen lässt es sich nicht gut drängeln. Frauen fahren laut Statistik häufiger PS-schwache Fahrzeuge. Generell kennt die Polizei zwei Risikogrup­pen im Straßenver­kehr: die Jungen im Alter zwischen 18 und 24 sowie die Senioren ab etwa 65 Jahren.

Was kann die Polizei tun? „Wir setzen auf Prävention und Kontrolle“, sagt Larisch. Dazu gehörten beispielsw­eise regelmäßig­e Geschwindi­gkeitsmess­ungen auf Bundes- und Staatsstra­ßen – auch nachts und an Wochenende­n. Und Videoaufze­ichnungen, die beispielsw­eise zu dichtes Auffahren dokumentie­ren. Doch die Verwarnung­sgelder seien in Deutschlan­d zu niedrig, würden Autofahrer zu wenig abschrecke­n.

Solange zu dichtes Auffahren lediglich eine Ordnungswi­drigkeit ist, drohen Geldbußen, Punkte in Flensburg und eventuell ein Fahrverbot. Begeht man durch seine Fahrweise eine Straftat („strafbare Nötigung“), drohen auch Führersche­inentzug, Geld- oder sogar Freiheitss­trafen.

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ARCHIVFOTO: DPA/JENS BÜTTNER Aggressive Autofahrer sind für ein Drittel aller tödlichen Unfälle in Deutschlan­d verantwort­lich.

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