Rasen, drängeln, rechts überholen
Im Straßenverkehr fallen meist Männer in PS-starken Autos durch aggressives Verhalten auf
ALLGÄU - Die Beamten der Polizei im Lindauer Hinterland konnten ihn erst nach einer wilden Verfolgungsjagd stoppen. Auf der A 96 südlich von Wangen hatte sich ein 76 Jahre alter Autofahrer so richtig ausgetobt: Durch dichtes Auffahren und mit der Lichthupe zwang er eine 41 Jahre alte Autofahrerin, auf die rechte Fahrspur zu wechseln. Danach überholte der Senior mehrere Autos rechts, drängte andere ab und scherte derart eng vor einem anderen Fahrzeug ein, dass es fast zu einer Berührung der beiden Wagen gekommen wäre.
Unter dem Oberbegriff „Aggressionsdelikte“registriert die Polizei solche Taten. Für die Beamten Christian Larisch und Christoph Hausner von der Verkehrspolizeiinspektion (VPI) in Kempten gehören aggressive Fahrer zum Berufsalltag. „Drängeln, Missbrauch der Lichthupe und Ausbremsen sind die Klassiker“, berichtet Polizist Larisch. Ob die Fallzahlen zugenommen haben? „Nein“, sagt der Beamte. Doch wie sein Kollege hat er den Eindruck, „dass die Intensität der Delikte zunimmt“. Will heißen: Diejenigen, die erwischt oder angezeigt werden, sind immer rücksichtsloser unterwegs gewesen. Über 400 Fälle werden pro Jahr bei der Polizei im gesamten Allgäu angezeigt. Diese Zahl war in den vergangenen Jahren recht stabil. Und für Larisch steht fest: die Dunkelziffer sei enorm hoch, weil die wenigsten Aggressionsdelikte auf den Straßen angezeigt werden.
Meistens sind’s die Männer
Unfallforscher Siegfried Brockmann hat sich im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft mit den Folgen aggressiven Verhaltens im Straßenverkehr beschäftigt. Demnach führen deutliche Tempoüberschreitungen, riskantes Überholen, Schneiden und zu dichtes Auffahren zu einem Drittel aller tödlichen Autounfälle. Aus der Statistik der Allgäuer Polizei geht zudem hervor, dass es in den allermeisten Fällen männliche Autofahrer sind, die sich auf der Straße austoben. Von 2100 in den vergangenen fünf Jahren angezeigten Fällen saßen 1700-mal Männer hinterm Lenkrad. Bei einer Umfrage hatten sich 44 Prozent der Männer selbst als „mindestens latent aggressiv“bezeichnet, aber immerhin auch 39 Prozent der befragten Frauen. Polizist Larisch hat so etwas wie den typischen Drängler vor Augen: Häufig seien das Leute, die geschäftlich viel unterwegs sind. Meist fahren sie nach seinen Worten Autos aus dem Premiumsegment. Das liegt auch auf der Hand, denn mit einem Kleinwagen lässt es sich nicht gut drängeln. Frauen fahren laut Statistik häufiger PS-schwache Fahrzeuge. Generell kennt die Polizei zwei Risikogruppen im Straßenverkehr: die Jungen im Alter zwischen 18 und 24 sowie die Senioren ab etwa 65 Jahren.
Was kann die Polizei tun? „Wir setzen auf Prävention und Kontrolle“, sagt Larisch. Dazu gehörten beispielsweise regelmäßige Geschwindigkeitsmessungen auf Bundes- und Staatsstraßen – auch nachts und an Wochenenden. Und Videoaufzeichnungen, die beispielsweise zu dichtes Auffahren dokumentieren. Doch die Verwarnungsgelder seien in Deutschland zu niedrig, würden Autofahrer zu wenig abschrecken.
Solange zu dichtes Auffahren lediglich eine Ordnungswidrigkeit ist, drohen Geldbußen, Punkte in Flensburg und eventuell ein Fahrverbot. Begeht man durch seine Fahrweise eine Straftat („strafbare Nötigung“), drohen auch Führerscheinentzug, Geld- oder sogar Freiheitsstrafen.