Zeuginnen aus Litauen sollen Angeklagten entlasten
Juwelierraub-Prozess: Verfahren kann sich noch bis Mitte Mai hinziehen – Hat der Tatverdächtige ein Alibi?
RAVENSBURG (vin) - Der Juwelierraub-Prozess am Ravensburger Landgericht könnte sich noch bis Mitte Mai hinziehen. Kommende Woche werden auf Wunsch der Verteidigung zwei Entlastungszeuginnen aus Litauen vernommen. Die ExFrau und die Schwester des 38-jährigen Angeklagten sollen aussagen, dass der Mann zur Tatzeit im April 2015 Litauen nicht verlassen habe. Falls das stimmt, hätte er für den Raub auf das Juweliergeschäft in der Ravensburger Unterstadt ein Alibi.
Eins steht fest: Wäre der 38-Jährige nicht auf Facebook, säße er jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf der Anklagebank. Entdeckt wurde er nämlich zunächst über die Facebook-Freundesliste eines anderen Litauers, dessen DNA in einer internationalen Verbrecherkartei gespeichert war und der erwiesenermaßen an der Juwelierraub-Serie von 2015 beteiligt war. Da der Angeklagte dem Phantombild, das die Polizei mithilfe einer Ravensburger Zeugin erstellt hatte, stark ähnelte, wurde seine DNA ermittelt. Und siehe da: Mit einer Wahrscheinlichkeit von neun Millionen zu eins gehörten Hautschuppen, die auf der am Tatort zurückgelassenen Softairwaffe gefunden wurden, zu ihm. Er wurde mit einem Europäischen Haftbefehl gesucht, dingfest gemacht und nach zwei Monaten Auslieferungshaft in einem litauischen Gefängnis nach Deutschland ausgeliefert.
Was neben den DNA-Spuren ebenfalls schwer wiegen dürfte, ist das Vorstrafenregister, das am vierten Verhandlungstag zur Sprache kam. Seit seinem 18. Lebensjahr wurde der Mann immer mal wieder zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Dabei wurden mitunter mehrere Vergehen zusammengefasst: darunter Diebstahl, Waffenhandel, Drogenbesitz und Erpressung beziehungsweise Nötigung. Insgesamt verbrachte der Mann in den vergangenen 20 Jahren etwa neun Jahre im Gefängnis.
Furchtbare Zustände
Die Zustände in den litauischen Haftanstalten schilderte der Anwalt des Angeklagten in düsteren Farben: Sein Mandant habe sich in den zwei Monaten vor seiner Auslieferung nach Deutschland eine sechs Quadratmeter große Zelle mit bis zu drei weiteren Gefangenen teilen müssen. Pro Woche habe es eine Rolle Toilettenpapier für alle zusammen gegeben. Die Zelle sei so klein gewesen, dass man nicht aneinander vorbeikam, ohne sich zu berühren, was zu Konflikten geführt habe. Manche der Insassen seien auf kaltem Entzug gewesen. Als Matratzen hätten Unterlagen aus Stoff gedient, die mit Watte gefüllt waren. Es habe keine Schränke für die persönliche Habe gegeben. Die Gefangenen durften laut dem Anwalt nur einmal die Woche für 15 Minuten duschen. Es habe selten warmes Wasser gegeben. An den Wänden klebte offenbar ein undefinierbarer Schmutz, und es krabbelten unzählige Kakerlaken durch die Zelle. Das Essen sei ungenießbar gewesen und habe auch nicht satt gemacht.
Das Schlimmste aber sei die bestialisch stinkende Toilette gewesen. Sollte sein Mandant am Ende des Prozesses verurteilt werden, wäre es nach Ansicht des Verteidigers also angebracht, die Auslieferungshaft im Verhältnis zwei zu eins anzurechnen. Die zwei Monate entsprächen dann vier Monaten bereits geleisteter Haftstrafe.
Erstmals sprach der Angeklagte am Dienstag auch selbst, machte aber nur Angaben zur Person und nicht zur Sache. Dabei wurde ersichtlich, dass er eigentlich nicht auf die schiefe Bahn hätte geraten müssen. Er schilderte eine glückliche Kindheit in der ehemaligen Sowjetunion. Der Vater war in einer Spezialeinheit für Wirtschaftskriminalität bei der Polizei, die Mutter Krankenschwester. Die Eltern hätten ihre vier Kinder geliebt und ihnen wegen ihres relativ hohen Verdiensts ein schönes Leben bieten können. Nach einem guten Abitur habe er als Schreiner und Dachdecker gearbeitet, eine richtige Ausbildung zum Elektriker aber erst ab 2016 im Gefängnis gemacht. Ansonsten habe er in den letzten Jahren als Immobilienmakler gearbeitet und mehr als 1000 Euro monatlich verdient.
Frau arbeitet als Managerin
Trotz der Scheidung im Jahr 2010 versteht er sich mit seiner Ex-Frau so gut, dass das Paar der elfjährigen Tochter zuliebe weiter zusammenwohnt. Die Frau arbeitet als Managerin für eine Kette, die mit Uhren handelt, „allerdings nicht mit solchen, um die es in diesem Verfahren geht“, also keinen Rolex-Uhren, betont der Angeklagte.
Er kommt sympathisch rüber, beantwortet bereitwillig auf alle Fragen und lacht, als der Vorsitzende Richter Franz Bernhard einen kleinen Witz über sein Scheidungsdatum macht, an das er sich besser erinnern kann als an das Hochzeitsdatum. Gefragt nach seinen Hobbys, berichtet er begeistert davon, jeden Sonntag mit Freunden in den Wald zu gehen, um aufeinander mit Softairwaffen zu schießen. Aber dann fällt dem Mann, dem vorgeworfen wird, die Angestellten des Juweliers mit einer Waffe bedroht und eine der Frauen mit Pfefferspray verletzt zu haben, auch noch ein harmloseres Hobby ein: „Ich sammle Briefmarken.“
Die beiden Frauen aus Litauen werden am Freitag, 29. März, ab 9 Uhr vernommen. Ob an dem Tag schon plädiert oder gar ein Urteil gesprochen wird, erscheint ungewiss. Vorsorglich wurden drei Zusatz-Verhandlungstermine
vereinbart, die bis Mitte Mai gehen.