Lindauer Zeitung

Der falsche Lehrer

62-Jähriger hält bundesweit Schulungen für Physiother­apeuten ab, obwohl ihm die Qualifikat­ion fehlt

- Von Michael Mang

OBERALLGÄU - Eine böse Überraschu­ng erlebten 52 Therapeute­n, die seit dem Jahr 2009 Weiterbild­ungssemina­re für eine spezielle Behandlung­smethode besucht und viel Geld dafür gezahlt hatten. Sie sind einem Betrüger aufgesesse­n. Denn der 62jährige Oberallgäu­er hatte gar keine Berechtigu­ng, die Kurse anzubieten. Die von ihm ausgestell­ten Zertifikat­e waren gefälscht. Das hatte schwerwieg­ende Konsequenz­en für die Therapeute­n: Gegen sie wurden Strafverfa­hren eingeleite­t und sie mussten den Krankenkas­sen die Behandlung­sgebühren zurückzahl­en, weil ihre Berechtigu­ng gefälscht war. Eine Masseurin aus der Region wurde sogar zu einer Freiheitss­trafe von neun Monaten verurteilt.

Keiner Schuld bewusst

Jetzt saß der Mann vor Gericht, der sie betrogen hatte. Angeklagt war der 62-Jährige wegen Urkundenfä­lschung und Betrugs. Verurteilt wurde er zu drei Jahren Gefängnis. Zudem verhängte das Schöffenge­richt ein Berufsverb­ot gegen den Mann. Der Angeklagte war sich keiner Schuld bewusst. „Ich habe es immer nur gut gemeint“, sagte der 62-Jährige. „Ich wollte den Menschen nur helfen.“Er habe eine neue Behandlung­stechnik entwickelt, die den Schulmetho­den überlegen sei. Dafür habe er auch eine Sondergene­hmigung der Krankenkas­sen gehabt, behauptete er. Im Dunkeln blieb, welche Qualifikat­ion der Angeklagte dafür mitbringt. Er habe in England und Amsterdam seine Ausbildung absolviert, berichtete er vor Gericht.

„Die Geschädigt­en haben ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt - und zum Teil verloren“, sprach der Staatsanwa­lt von der „hohen kriminelle­n Energie“der Taten. Denn der Oberallgäu­er, der sich zum Vorsitzend­en von zwei Berufsverb­änden wählen ließ, war sehr gezielt vorgegange­n. Mit einer gefälschte­n Urkunde täuschte er laut Anklage seine Qualifikat­ion als Fachlehrer vor und erschlich sich so die Berechtigu­ng, Weiterbild­ungen durchzufüh­ren. Er wurde sogar vom Verband der Ersatzkass­en auf der offizielle­n Liste geführt. So hielt er ab dem Jahr 2009 im gesamten Bundesgebi­et Schulungen in einer anerkannte­n Therapieme­thode ab, für die er auch Kurspläne einreichte, die den Richtlinie­n entsprache­n. Doch die geforderte­n 260 Unterricht­seinheiten, die 45 Minuten dauern und in sechs Kurseinhei­ten erfolgen sollten, erlebte keiner der Seminartei­lnehmer. Von der Polizei befragte Therapeute­n berichtete­n, das Zertifikat bereits am ersten Kurstag bekommen zu haben. „Das ist, als würde man den Führersche­in in der ersten Fahrschuls­tunde bekommen“, sagte ein Mitarbeite­r des Ersatzkass­en-Verbandes als Zeuge.

Doch trotz „sonderbare­r“sehr theoretisc­her Lehrmethod­en, die ein Zeuge beschrieb, schöpften die Therapeute­n keinen Verdacht. „Warum sollte man bei einem Fachlehrer Zweifel haben, der auch noch Verbandsvo­rsitzender ist“, sagte ein 50Jähriger im Zeugenstan­d. Vor allem die Tatsache, dass der 62-Jährige auf der offizielle­n Liste der Ersatzkass­en geführt wurde, gab den Seminartei­lnehmern Sicherheit. Sie erhielten ihre Zertifikat­e, behandelte­n nach der „erlernten“Methode und rechneten das bei der Krankenkas­se ab. Der 62-Jährige verlangte Beträge von 1000 bis 3000 Euro als Seminargeb­ühr. Von dem Konto eines Berufsverb­andes hob er zudem zwei große Geldbeträg­e für private Zwecke ab.

Das Schöffenge­richt verurteilt­e den 62-Jährigen zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren. „Wir sind überzeugt, dass der Angeklagte auf diese Liste wollte“, sagte Richterin Brigitte Gramatte-Dresse in Bezug auf die Fachlehrer-Aufstellun­g des Verbands der Ersatzkass­en. Deshalb habe der Angeklagte ein gefälschte­s Zeugnis eingereich­t. Eine Sondergene­hmigung der Kassen existiert nicht, unterstric­h die Richterin. Deshalb seien die Kursteilne­hmer vom 62-Jährigen betrogen worden, begründete die Richterin das Urteil des Schöffenge­richts.

Der Angeklagte habe nicht nur seiner Berufsgrup­pe, sondern auch den therapiert­en Personen geschadet, die um die richtige Behandlung gebracht wurden. „Es geht um viel für die Patienten.“Der Angeklagte ließ offen, Rechtsmitt­el gegen das Urteil einzulegen.

„Die Geschädigt­en haben ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt - und zum Teil verloren. “Der Staatsanwa­lt beim Prozess

 ?? SYMBOLFOTO: MATTHIAS BECKER ?? Insgesamt 52 Physiother­apeuten sind einem Betrüger aufgesesse­n. Der 62-Jährige hatte gar keine Berechtigu­ng, die Kurse anzubieten, und stellte den Krankengym­nasten gefälschte Zertifikat­e aus.
SYMBOLFOTO: MATTHIAS BECKER Insgesamt 52 Physiother­apeuten sind einem Betrüger aufgesesse­n. Der 62-Jährige hatte gar keine Berechtigu­ng, die Kurse anzubieten, und stellte den Krankengym­nasten gefälschte Zertifikat­e aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany