Der falsche Lehrer
62-Jähriger hält bundesweit Schulungen für Physiotherapeuten ab, obwohl ihm die Qualifikation fehlt
OBERALLGÄU - Eine böse Überraschung erlebten 52 Therapeuten, die seit dem Jahr 2009 Weiterbildungsseminare für eine spezielle Behandlungsmethode besucht und viel Geld dafür gezahlt hatten. Sie sind einem Betrüger aufgesessen. Denn der 62jährige Oberallgäuer hatte gar keine Berechtigung, die Kurse anzubieten. Die von ihm ausgestellten Zertifikate waren gefälscht. Das hatte schwerwiegende Konsequenzen für die Therapeuten: Gegen sie wurden Strafverfahren eingeleitet und sie mussten den Krankenkassen die Behandlungsgebühren zurückzahlen, weil ihre Berechtigung gefälscht war. Eine Masseurin aus der Region wurde sogar zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
Keiner Schuld bewusst
Jetzt saß der Mann vor Gericht, der sie betrogen hatte. Angeklagt war der 62-Jährige wegen Urkundenfälschung und Betrugs. Verurteilt wurde er zu drei Jahren Gefängnis. Zudem verhängte das Schöffengericht ein Berufsverbot gegen den Mann. Der Angeklagte war sich keiner Schuld bewusst. „Ich habe es immer nur gut gemeint“, sagte der 62-Jährige. „Ich wollte den Menschen nur helfen.“Er habe eine neue Behandlungstechnik entwickelt, die den Schulmethoden überlegen sei. Dafür habe er auch eine Sondergenehmigung der Krankenkassen gehabt, behauptete er. Im Dunkeln blieb, welche Qualifikation der Angeklagte dafür mitbringt. Er habe in England und Amsterdam seine Ausbildung absolviert, berichtete er vor Gericht.
„Die Geschädigten haben ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt - und zum Teil verloren“, sprach der Staatsanwalt von der „hohen kriminellen Energie“der Taten. Denn der Oberallgäuer, der sich zum Vorsitzenden von zwei Berufsverbänden wählen ließ, war sehr gezielt vorgegangen. Mit einer gefälschten Urkunde täuschte er laut Anklage seine Qualifikation als Fachlehrer vor und erschlich sich so die Berechtigung, Weiterbildungen durchzuführen. Er wurde sogar vom Verband der Ersatzkassen auf der offiziellen Liste geführt. So hielt er ab dem Jahr 2009 im gesamten Bundesgebiet Schulungen in einer anerkannten Therapiemethode ab, für die er auch Kurspläne einreichte, die den Richtlinien entsprachen. Doch die geforderten 260 Unterrichtseinheiten, die 45 Minuten dauern und in sechs Kurseinheiten erfolgen sollten, erlebte keiner der Seminarteilnehmer. Von der Polizei befragte Therapeuten berichteten, das Zertifikat bereits am ersten Kurstag bekommen zu haben. „Das ist, als würde man den Führerschein in der ersten Fahrschulstunde bekommen“, sagte ein Mitarbeiter des Ersatzkassen-Verbandes als Zeuge.
Doch trotz „sonderbarer“sehr theoretischer Lehrmethoden, die ein Zeuge beschrieb, schöpften die Therapeuten keinen Verdacht. „Warum sollte man bei einem Fachlehrer Zweifel haben, der auch noch Verbandsvorsitzender ist“, sagte ein 50Jähriger im Zeugenstand. Vor allem die Tatsache, dass der 62-Jährige auf der offiziellen Liste der Ersatzkassen geführt wurde, gab den Seminarteilnehmern Sicherheit. Sie erhielten ihre Zertifikate, behandelten nach der „erlernten“Methode und rechneten das bei der Krankenkasse ab. Der 62-Jährige verlangte Beträge von 1000 bis 3000 Euro als Seminargebühr. Von dem Konto eines Berufsverbandes hob er zudem zwei große Geldbeträge für private Zwecke ab.
Das Schöffengericht verurteilte den 62-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. „Wir sind überzeugt, dass der Angeklagte auf diese Liste wollte“, sagte Richterin Brigitte Gramatte-Dresse in Bezug auf die Fachlehrer-Aufstellung des Verbands der Ersatzkassen. Deshalb habe der Angeklagte ein gefälschtes Zeugnis eingereicht. Eine Sondergenehmigung der Kassen existiert nicht, unterstrich die Richterin. Deshalb seien die Kursteilnehmer vom 62-Jährigen betrogen worden, begründete die Richterin das Urteil des Schöffengerichts.
Der Angeklagte habe nicht nur seiner Berufsgruppe, sondern auch den therapierten Personen geschadet, die um die richtige Behandlung gebracht wurden. „Es geht um viel für die Patienten.“Der Angeklagte ließ offen, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.
„Die Geschädigten haben ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt - und zum Teil verloren. “Der Staatsanwalt beim Prozess