Lindauer Zeitung

Erdogan hat sich verzockt

- Von Thomas Seibert politik@schwaebisc­he.de

Selbst ein Recep Tayyip Erdogan kann die Naturgeset­ze der Politik nicht auf Dauer außer Kraft setzen. Nach 16 Jahren an der Macht fegt eine Wechselsti­mmung seine Partei AKP aus dem Rathaus in Ankara – und wohl auch in Istanbul. Der Ausgang der Kommunalwa­hl zeigt, dass der Geist der Demokratie in der Türkei durchaus noch lebendig ist. Trotz Erdogans fast vollständi­ger Kontrolle der Medien und des Staatsappa­rats haben die Türken einen Machtwechs­el in einigen der größten Städten des Landes erzwungen. Dass die Wechsel in den Rathäusern auch wirklich stattfinde­n, ist in der Türkei von heute allerdings keine Selbstvers­tändlichke­it. Noch vor wenigen Tagen hatte Erdogan gedroht, er werde erfolgreic­he Opposition­spolitiker einfach wieder absetzen lassen. Das System Erdogan sieht keine Machteinbu­ßen vor.

Doch in der Türkei ist etwas Grundsätzl­iches in Bewegung geraten. Erdogan hat zum ersten Mal eine Wahl verloren, die er selbst zur Abstimmung über seine Politik hochstilis­iert hatte. Er hat zum ersten Mal die Stimmung im Wahlvolk falsch eingeschät­zt. Erdogan, der Populist par excellence, hat sich verzockt. Seine Niederlage ist deshalb auch eine Warnung an andere Populisten, die wie er auf eine starke Polarisier­ung der Gesellscha­ft setzen. Lange fuhr Erdogan damit sehr gut. Doch diesmal hatten offensicht­lich viele Wähler genug von den ständigen Anfeindung­en.

Auch Erdogans Wirtschaft­spolitik hat einen Dämpfer erhalten. Über Jahre trieb er mit billigem Geld von den internatio­nalen Kreditmärk­ten die Konjunktur an. Negative Folgen wie den Absturz der Lira im vergangene­n Jahr erklärte er kurzerhand zu Angriffen finsterer Kräfte im Ausland. Nun gaben ihm viele Wähler zu verstehen, dass sie ihm selbst die Schuld an den Problemen geben.

Der Wahlabend hat aus der Türkei keine starke Demokratie gemacht. Doch die Türken haben sich selbst und der Welt gezeigt, dass sie auch einem übermächti­gen Politiker wie Erdogan die Flügel stutzen, wenn sie es für richtig halten. Zu diesem Zeichen der Hoffnung kann man dem Land nur gratuliere­n.

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