Gämsen im Donautal auf der Abschussliste
Naturschützer fordern Abschuss aller Tiere im Oberen Donautal – Jäger lehnen das ab
STUTTGART (tja) - Abschießen oder erhalten? Um diese Frage streiten Jäger und Naturschützer im Oberen Donautal. Letztere plädieren dafür, alle Gämsen in der Region abzuschießen. Sie fräßen seltene Pflanzen und gefährdeten deren Bestand. Die Jäger dagegen wollen die Gämsen erhalten. Wanderer und Kletterer bedrohten die Pflanzen mindestens ebenso wie die Tiere. Die SPD hat nun das Umweltministerium zu dem Konflikt befragt. Dieses investiert rund 40 000 Euro, um mit Kameras zu beobachten, wer den Pflanzen am meisten schadet.
STUTTGART - Sie leben an den Hängen des Oberen Donautals, nun fordern Naturschützer ihren Tod: die Rede ist von den Gämsen. Um die Tiere tobt seit Jahrzehnten ein Streit, weil sie streng geschützte Pflanzen zerstören. Jäger wollen nicht alle Gämse erlegen, Naturschützer sehen aber keinen anderen Ausweg. Das Land will nun mindestens 40 000 Euro ausgeben, um den Konflikt zu lösen.
Die einzigartige Landschaft an der Donau ist streng geschützt. Exponierte Kalkfelsen, schmale Terrassen und Schutthalden bieten einer Vegetation Raum, die hier seit der Eiszeit wächst. Seltene Gräser und Pflanzen bilden den sogenannten Trockenrasen. Dieser ist wiederum Heimat vieler Insekten.
Horst Hipp (69) hat das Gebiet schon als Kind erkundet. Heute engagiert er sich beim Bund Naturschutz Alb-Neckar. „Wenn ein Rudel Gämse auf einer Felsterrasse war, sieht es aus, als wäre ein Ackergaul da durchgepflügt“, berichtet Hipp. Aus seiner Sicht hilft nur eins, um Heideröschen oder Schild-Ampfer zu schützen: „Na, der Totalabschuss. Die Vegetation ist aus Naturschutzsicht wertvoller als die Gämse.“
Im Oberen Donautal leben mehrere Dutzend dieser Tiere. Wie viele es sind, ist unklar. Sie sind nicht leicht zu zählen und wandern viel. Schätzungen gehen von rund 100 Tieren aus. In einem Gutachten der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) schreiben Experten, die Tiere hätten sich in den 1960er-Jahren angesiedelt.
Herkunft der Tiere umstritten
Je nachdem, wen man fragt, gibt es zwei Varianten der Gämse-Geschichte. Die einen sprechen davon, dass die Tiere in den 1930er-Jahren bei Balingen neu angesiedelt wurden und sich im Oberen Donautal eine neue Heimat suchten. Andere gehen davon aus, dass die Tiere seit Jahrtausenden immer wieder durchs Tal wanderten, etwa aus dem Alpenraum. Die Hänge und Felsen böten einen guten Lebensraum, daher seien die Gämse heimisch geworden.
Die Herkunft der Gämse spielt in der Debatte eine Rolle. Naturschützer wie Horst Hipp argumentieren: Die Tiere gehörten ursprünglich gar nicht ins Obere Donautal, der seltene Trocken rasen schon.Gerh ar dBronn er, Vorsitzender des Landes naturschutz verb an des(LNV ), sieht die Sache ähnlich. „Entweder man kann den Bestand der Gams durch Jagd so regulieren, dass die Tiere die Vegetation nicht gefährden. Wenn die Jäger nun argumentieren, eine weitere Bejagung würde zur Ausrottung der Gämse im Oberen Donautal führen – dann ist das leider so.“Schließlich gelten die seltenen TrockenrasenArten als bedroht. Die Gämse in Europa jedoch nicht.
Allerdings ist die Rechnung nicht ganz so einfach. In dem LUBW-Gutachten steht zwar: Die Gämse fressen einige seltene Pflanzen und bedrohen deren Bestand. Aber: Andere Pflanzen profitieren davon, dass die Gämse da sind. Zum einen fressen sie Schößlinge von Bäumen, so bleiben viele Felskuppen frei von Wald. Außerdem wandern sie, scheiden überall Samen von Pflanzen aus, diese können sich so ausbreiten.
Darauf weist auch Hans-Jürgen Klaiber hin, Kreisjägermeister in Sigmaringen. „Natürlich gibt es Gämseverbiss an der Vegetation. Aber was ist mit den Wanderern und Touristen, die auf den Felsen Fotos machen und alles niedertrampeln?“, fragt er rhetorisch. Auch das LUBW-Gutachten weist daraufhin, dass es neben zum Teil erheblichen Schäden durch die Tiere Probleme etwa durch Wanderer und Kletterer gibt.
Seit Jahren treffen sich Jäger, Naturschützer und Behörden an einem Runden Tisch, um das Gämse-Problem zu lösen. Dort legen sie fest, wie viele Tiere Jäger pro Jahr abschießen sollen. Diese Ziele werden nicht erreicht: 2017 und 2018 sollten Waidmänner jeweils 42 Tiere abschießen. Im ersten Jahr töteten sie 17, im zweiten 19 Gämse. Die Jäger sagen, der Bestand sei schon sehr stark dezimiert. Außerdem reißen die ins Donautal zurückgekehrten Luchse Gämse. Diese seien vorsichtiger geworden, das erschwere die Jagd. Die Naturschützer halten das für eine Ausrede. Die Verantwortlichen in den Landkreisen Sigmaringen und Tuttlingen wollten die Gämse erhalten, weil sie gut für den Tourismus seien. Gämse wirken auf Fotos besser als Trockenrasen.
SPD sieht Waidleute in der Pflicht
Die SPD-Politikerin Gabi Rolland ist in der Sache beim Umweltministerium vorstellig geworden. Dessen Auskunft: Das Haus von Franz Untersteller (Grüne) gibt für rund 40 000 Euro eine Studie in Auftrag. Wildtierkameras sollen zeigen, wie sehr Gämse und Wanderer die Vegetation zerstören. Außerdem wird getestet, ob Zäune helfen. Erste Ergebnisse sollen 2021 vorliegen.
Die SPD-Abgeordnete Rolland hält das für ein Ablenkungsmanöver. Das Umweltministerium wolle verdecken, dass bisher wenig geschehen sei. Man müsse stattdessen viel mehr Druck auf die Jäger ausüben. „Rein naturschutzrechtlich sind die betreffenden Pflanzen strenger geschützt als die Gämse, die vor allem der jagdlichen Leidenschaft der Jäger dienen. Die Erfüllung der Abschusszahlen muss durch die Landesregierung gewährleistet werden“, fordert die Sozialdemokratin.