Spahn setzt auf Widerspruchslösung
Gesetzentwurf will jeden Deutschen grundsätzlich zum Organspender erklären
BERLIN - Wegen des großen Mangels an Spenderorganen will eine Parlamentariergruppe im deutschen Bundestag mit einem neuen Gesetz die Deutschen durchgängig zu Organspendern erklären – es sei denn, sie widersprechen ausdrücklich.
Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach sowie der CSU-Gesundheitsexperte Georg Nüßlein und die Linke Petra Sitte gemeinsam in Berlin vorgestellt. Sie setzen auf die sogenannte doppelte Widerspruchslösung. Das heißt, jeder kann in einem Register festhalten lassen, dass er kein Organspender sein will. Hat er keinen Widerspruch eingelegt, können seine Angehörigen immer noch einer Organspende widersprechen, wenn sie glaubhaft machen können, dass der Sterbende das nicht gewollt hätte.
Hintergrund für die angestrebte Neuregelung des Transplantationsgesetzes ist, dass in Deutschland derzeit 9400 Kranke auf ein Organ angewiesen sind, aber nur 1000 Organspenden im vergangenen Jahr vorgenommen wurden. „2000 Menschen auf der Warteliste sterben jedes Jahr“, so Lauterbach. Doppelt so viele Menschen seien im Prinzip zu einer Organspende bereit, wie es Menschen mit Organspendeausweis gibt. „Diese große Lücke gilt es zu schließen“, sagte er. Georg Nüßlein ergänzte: „Die jetzige Spenderzahl wird dem technischen Fortschritt nicht gerecht.“Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery begrüßte den Vorschlag. Die Widerspruchslösung zwinge die Menschen dazu, sich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sie spenden wollten.
Bis jetzt gibt es einen weiteren Entwurf von Abgeordneten um Stephan Pilsinger(CSU), Ulla Schmidt (SPD) , Otto Fricke (FDP) und Annalena Baerbock (Grüne), der vorsieht, dass Organspenden eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben müsse, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf. FDP-Chef Christian Lindner sagte dem Sender n-tv: „Schweigen als eine Zustimmung zu werten, halte ich für nicht vereinbar mit dem Bild des selbstbestimmten Individuums, gerade in solchen besonders wichtigen Fragen.“
BERLIN - „Es wird doch niemand gezwungen“, sagt Georg Nüßlein (CSU). Aber „jeder könnte morgen darauf angewiesen sein“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Die beiden Befürworter einer doppelten Widerspruchslösung haben zusammen mit Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) einen gemeinsamen Gruppenantrag vorgelegt. Doch sie kämpfen für ihren Gesetzentwurf gegen viel Widerstand. „Wenn man schon nicht spenden möchte, sollte man sich doch wenigstens erklären“, verteidigt Lauterbach das Vorhaben, dass jeder von Haus aus Organspender sein soll.
Just an dem Tag, an dem das neue Transplantationsgesetz mit seinen Verbesserungen für die Praxis an Krankenhäusern in Kraft tritt, stellen die Abgeordneten in der Bundespressekonferenz ihren Entwurf vor. Der geht weit über die bisherige Freiwilligkeit hinaus, sich einen Organspendeausweis zu besorgen. Jeder soll Organspender sein – außer, er widerspricht. Das wird dann in einem neu zu schaffenden Register festgehalten.
Kritik aus der Kirche
Schon bei der Orientierungsdebatte im Bundestag im letzten November gab es zahlreiche Bedenken gegen eine solche Widerspruchslösung. Die katholische Kirche lehnt sie ab. Organspende sei für Christen ein Akt der Nächstenliebe, hat Prälat Jüsten vom Katholischen Büro festgestellt. Ethische Voraussetzung für die Organspende aber sei, dass der Spender, beziehungsweise seine Angehörigen, diesem Akt informiert, ganz bewusst, freiwillig und ausdrücklich zustimmen. Das geböten die Selbstbestimmung, das Konzept der Patientenautonomie und die Würde des Menschen, die auch über den Tod hinaus von Bedeutung sind. „Diese Prinzipien werden von der Widerspruchslösung unterminiert.“
Auch eine Gruppe von Abgeordneten um Stephan Pilsinger und Ulla Schmidt hat Bedenken angemeldet und will einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. „Die Regelung weckt Ängste und senkt das Vertrauen in die Organspende“, hat diese Gruppe, zu der auch Hilde Mattheis (SPD) gehört, in einer Pressemitteilung geschrieben. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper sei ein zentrales Element menschlicher Würde. Die Organspende nach dem Tod müsse deshalb eine bewusste und freiwillige Entscheidung des Spenders sein und dürfe nicht durch den Staat erzwungen werden.
Auf der anderen Seite wirbt Petra Sitte (Linke) für die Widerspruchslösung: „Heute werden wieder drei Menschen sterben, weil für sie kein Organ gefunden wurde.“Organspende sei ein „solidarischer Akt“gegenüber Mitmenschen. Die Spendenbereitschaft in Deutschland rutschte nach Skandalen um die Vergabepraxis und Betrug an Transplantationszentren 2017 auf einen Tiefststand, von dem sie sich auch 2018 noch nicht erholte. Bei 9400 Wartenden gab es 1000 Transplantationen. „Die jetzige Spenderzahl wird dem technischen Fortschritt nicht gerecht“, meint Georg Nüßlein. Ein zentrales Element für die Widerspruchslösung sei doch, dass jeder Betroffene selbst im Fall des Falles auf einen Spender hoffe. In Österreich gebe es seit 25 Jahren die Widerspruchslösung. Jens Spahn weist darauf hin, dass 20 von 28 EU-Staaten diese Lösung haben. „Sie sind als Deutscher in Spanien auch ein potenzieller Organspender.“
Patientenverfügung ändern
Wie viele schwierige Fragen zu beantworten sind, zeigte sich in der Pressekonferenz. So kann eine Organspende leicht in Widerspruch zur Patientenverfügung geraten. Die Entnahme eines Organs setzt eine intensivmedizinische Behandlung zum Erhalt der Organe voraus, die in ihren Patientenverfügungen viele ablehnen. „Eventuell muss die Patientenverfügung noch mal an die Organspende angepasst werden“, so Jens Spahn. Dann könne es bei der grundsätzlichen Entscheidung für das Abstellen von Maschinen bleiben, aber vielleicht erst nach ein paar Tagen. Kriterium aber bleibe der Hirntod: „Hirntot ist tot.“
Jens Spahn sagt, er habe vor sechs Jahren selbst an der Entscheidungslösung mitgearbeitet. Doch nur die abstrakte Spendenbereitschaft sei seitdem gestiegen. Der Bundestag wird die Auseinandersetzung führen, wenn auch die anderen Gruppenanträge als Gesetzentwurf vorliegen. Bislang ist nur der zweite Gruppenantrag angekündigt.
Einige Abgeordnete hatten sich gewünscht, dass dies erst dann sein sollte, wenn die Regeln des am 1. April modernisierten Transplantationsgesetzes greifen. Jens Spahn aber antwortet auf die Frage, warum er das nicht abwarten will: „Warten wir nochmals drei Jahre, kann es für viele zu spät sein.“