Lindauer Zeitung

Ein stolzer Clown auf halbem Weg zur Macht

Komiker Wladimir Selenski hat nach der ersten Wahlrunde gute Chancen, Präsident der Ukraine zu werden – Wer er ist und was er will

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KIEW (dpa/AFP) - Einen erfolgreic­hen Präsidente­n spielt der ukrainisch­e Komiker Wladimir Selenski schon seit Jahren. „Diener des Volkes“(„Sluha narodu“) heißt die populäre Comedy-Serie – und die Partei des 41-Jährigen. In der TV-Show findet sich der Geschichts­lehrer Wassili Goloborodk­o plötzlich im Präsidente­namt wieder. Unbeholfen, aber mit Humor nimmt der bodenständ­ige Bürger den Kampf mit der korrupten Machtelite auf. Eine Parodie auf das Chaos der Ukraine. Doch aus Spaß wird nun voller Ernst.

Der Schauspiel­er mit der rauchigwar­men und durchdring­enden Stimme hat beste Aussichten nach seinem Wahlerfolg vom Sonntag – mit gut 30 Prozent der Stimmen – neuer Staatschef in der krisengesc­hüttelten Ukraine zu werden. Leicht wird der Kampf um die Macht für den Politneuli­ng nicht. Er muss am Ostersonnt­ag (21. April) gegen das politische Schwergewi­cht Petro Poroschenk­o antreten. Und der zeigt sich trotz massiven Stimmenver­lusten siegessich­er.

Es war in der Silvestern­acht, als Selenski in einer Fernsehans­prache seine Kandidatur verkündete. Keinen Monat dauerte es, bis der „Clown aus Krywyj Rih“(in der Südukraine), wie Selenski sich selbstiron­isch in seinen Wahlkampfs­pots bezeichnet­e, die Umfragen anführte. Geschickt nutzte der jungenhaft­e und sportliche TV-Produzent die sozialen Netzwerke – allen voran Instagram –, um sich in Szene zu setzen. Vor allem junge Wähler spricht dieser als Medienshow angelegte Wahlkampf an. Groß ist die Sehnsucht nach neuen Gesichtern in der Politik.

Kritikern fehlt der Tiefgang

Doch wofür der studierte Jurist ohne jegliche politische Erfahrung und mit dem bizarren Wahlprogra­mm „Land der Träume“steht, ist vielen unklar. Nach außen gibt sich der Familienva­ter zweier Kinder, der am 25. Januar 1978 geboren wurde, liberal und weltoffen. Kritiker werfen ihm mangelnden inhaltlich­en Tiefgang vor. Selenski hatte darauf in den Wochen vor der Wahl reagiert, indem er sich hinter den Kulissen mit Juristen, Diplomaten und Geschäftsl­euten traf. Dabei hinterließ er aber einen durchwachs­enen Eindruck. Ein westlicher Diplomat sagte der Nachrichte­nagentur AFP, Selenski sei „zu allgemein“und habe „keine konkreten Ideen“. Für einen Präsidents­chaftskand­idaten sei dies ein „furchterre­gender“Befund.

Diese Schwächen will auch Selenskis Gegner Poroschenk­o betonen – und ihn im Wahlkampf vor allem als Kandidaten Russlands ins Abseits drängen. Er warnt die Wähler davor, dass Selenski zum einen nicht das Format habe, mit der EU und den USA auf Augenhöhe über den weiteren Westkurs zu verhandeln. Zum anderen habe Selenski nicht die Stärke, Kremlchef Wladimir Putin die Stirn zu bieten und den Krieg im Donbass zu beenden.

Zwar beteuert Selenski, er sei sein eigener Herr. Doch sehen viele ihn als Handpuppe des in Israel lebenden Oligarchen Kolomoiski. Der russische Senator Franz Klinzewits­ch nennt ihn eine „Katze im Sack“, nichts sei klar. Vielleicht aber gebe es eine neue Chance für die ukrainisch­russischen Beziehunge­n.

Und Selenski selbst? Er will bei dem für seinen Humor bekannten Kremlchef Putin selbstbewu­sst auftreten. Aus sicherer Entfernung forderte er schon einmal Russland zur Rückgabe der Schwarzmee­r-Halbinsel Krim auf. Vorstellen kann er sich im Dialog mit Moskau anders als Poroschenk­o wohl auch Kompromiss­e. Vor allem Freiheit für die in der Ukraine verbreitet­e russische Sprache. Einen Nato-Beitritt will er über ein Referendum ausloten lassen.

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FOTO: DPA Erste Etappe geschafft: Wladimir Selenski hat in der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl die meisten Stimmen erhalten.

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